Die Laverda 1000 ist etwas ganz besonderes: Ihr finsterer Dreizylinder mit 180-Grad-Kurbelwelle ist einzigartig, ihr Klang so verstörend wie betörend. Wer einmal einer Laverda 1000 verfallen ist, kommt nicht mehr davon los. Am besten nutzen wir die Gelegenheit und räumen gleich zu Beginn mit einem weit verbreiteten Irrglauben auf. Wer nämlich auf einer Dreizylinder-Laverda mit 180-Grad-Welle unterwegs ist, trifft unweigerlich auf wohlmeinende Zeitgenossen, die besorgt fragen, wie man denn die fürchterlichen Vibrationen ertrage. Dabei haben die wenigsten jemals eine 1000er-Laverda in natura gesehen - geschweige denn gefahren. Flotter Dreier nach italienischem Rezept Deshalb ein für alle Mal: Ja, der mächtige Dreizylinder, bei dem sich der mittlere Kolben am unteren Totpunkt befindet, wenn die beiden äußeren Kolben am oberen Punkt sind, vibriert - aber kaum stärker als ein gleichfalls rollengelagerter Vierzylinder à la Kawasaki Z 900. Warum das so ist, hat unsere Schwesterzeitschrift Motorrad bereits 1975 erklärt: Betrachtet man die Massenmomente, ist eine unorthodoxe 180-Grad-Welle einer gleichmäßig angeordneten 120-Grad-Welle überlegen. Dazu stellte Laverda-Cheftechniker Luciano Zen fest, dass der 180-Grad-Drilling im unteren Drehzahlbereich deutlich mehr Qualm hat als ein Versuchsmotor mit 120-Grad-Welle. Allerdings klingt so ein 180-Grad-Dreizylinder im Standgas wie eine Waschmaschine mit Schluckauf. Und während der Klang eines 120-Grad-Triples wie der Triumph Trident unter Last an einen 911 erinnert, brüllt die 180-Grad-Laverda bei voller Flutung der Brennräume so böse wie ein ungedämpfter Ferrari Testa Rossa aus den Fünfzigern. 1971, als die Laverda 3C in Mailand als erste Serien-1000er präsentiert wurde (lassen wir mal Harleys Sportster beiseite), war das noch in Ordnung. Zehn Jahre später war die heftige Leistungsentfaltung nicht mehr ganz so angesagt, zudem bekam man die Geräuschvorschriften nicht in den Griff. Luciano Zens Nachfolger Giuseppe Bocchi verordnete dem Dreizylinder daher eine 120-Grad-Welle - und musste den Motor fortan in Gummi lagern, um die zerstörerischen Vibrationen vom Chassis fernzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt aber waren die wirklich großen Zeiten der kleinen Motorrad-Manufaktur aus dem Veneto schon wieder vorbei. 1989 veräußerte die Familie Laverda die Namensrechte und schloss die Fertigung in Breganze. Die Fangemeinde aber erinnert sich bis heute gern an die Zeit, als man die Motorräder als Lamborghini auf zwei Rädern bezeichnete und der Familienbetrieb auf der Rennstrecke die Großen der Branche aufmischte. Laverda hieß zunächst: Landmaschinen aus Breganze Die Geschichte des Unternehmens reicht zurück bis 1873, als Pietro Laverda in Breganze am Fuße der Dolomiten Laverda Macchine Agricole gründete und Landmaschinen herstellte. Sein Enkel Francesco suchte nach dem Zweiten Weltkrieg nach neuen Betätigungsfeldern und baute 1947 das erste Laverda-Motorrad, einen 75 Kubik-Viertakter - zusammen mit einem jungen Techniker namens Luciano Zen. Ende 1949 wurde Moto Laverda offiziell eingetragen, im Jahr darauf begann die Produktion der 75er, und zur Werbung vertraute Francesco Laverda typisch italienisch auf den Sport. Mit Erfolg: Bei Milano-Taranto, der Mille Miglia für Motorräder, gewann Nino Castellani auf der Laverda 75 seine Klasse, insgesamt waren 17 Laverda unter den ersten 20. Mitte der sechziger Jahre übernahmen Francesco Laverdas motorradbegeisterte Söhne Massimo und Piero das Ruder, erkannten die Zeichen der Zeit und setzten auf Hubraum. Zen zeichnete einen 650er-Paralleltwin mit obenliegender Nockenwelle, der bald zur 750er wurde und noch vor Produktionsanlauf beim Giro d?Italia 1968 seine Klasse gewann. Nun begann eine gute Dekade ebenso atemloser wie atemberaubender Entwicklung und sensationeller Erfolge: Die robust wie Landmaschinen gebauten Laverda 750 wirbelten die Langstreckenszene mächtig durcheinander. 1971 etwa gewannen die orange lackierten Laverda 750 SFC in Imola, Zeltweg, Vallelunga und Modena sowie die 24 Stunden von Oss und Barcelona. Laverda V6 wird zur Legende - und verboten Währenddessen entwickelte Zen ab 1969 die Dreizylinder, die standesgemäß vor Produktionsanlauf 1972 in Zeltweg ihr erstes Rennen gewann. Und während der Verkauf der Laverda 1000 erst richtig in die Gänge kam, arbeitete Zen bereits mit Maserati-Cheftechniker Giulio Alfieri an der ultimativen Laverda-Legende: der V6. Diese heulte beim Bol d?Or 1978 mit 283 km/h über die Mistral-Gerade in Paul Ricard, 38 Einheiten schneller als die später siegreiche Honda. Die V6 hatte leider ihren Kardanantrieb zermatscht, doch als die oberste Motorrad-Sportbehörde sah, zu welch süssem Wahnsinn die Laverda-Techniker fähig waren, verboten sie sofort Motoren mit mehr als vier Zylindern. Damit war die Luft raus. Von den straßenzulassungsfähigen Motorrädern bleibt die Laverda 1000 als extremstes Beispiel trotziger Individualität und Charakter, der einzige jemals gebaute Dreizylinder mit 180-Grad-Welle. Mit knapp 80 PS und Fahrwerksqualitäten, die die Japaner erst zehn Jahre später erreichen sollten, hatte die Laverda zu Beginn der Siebziger kaum Gegner. Dennoch wirkte sie schon damals trotz aller Modernität etwa mit zwei obenliegenden Nockenwellen wie ein Relikt aus grauer Vorzeit; ihre brutale Kraftentfaltung und ihr mörderischer Sound wurden bald Kult. How to lose your license in style Das gilt besonders für England, wo die Slater Brothers die noch schärfere Jota anboten, die als Erste mit mehr als 140 Meilen gemessen wurde. Die Tester überboten sich damals mit Sprüchen wie "How to loose your license in style" oder "Du schwingst nur dann ein Bein über dieses Untier, wenn du deine Limits ausloten willst. Je schneller sie rennt, desto besser wird sie, und dir gehen wahrscheinlich eher die Straße oder das Talent oder die Nerven aus - oder alles zusammen -, bevor irgendetwas streift." Das gilt noch heute. Es gibt Tage, da kehre ich nach zehn Kilometern um, weil eben kein Laverda-Tag ist, und stelle das Tier wieder in die Garage. Da nimmt man besser eine BMW. An guten Tagen aber gibt es nichts Aufregenderes als diese Laverda 1000, nach der ich jahrelang gesucht habe. Dann begeistern die rohe Kraft ab 3.000 Umdrehungen und der Tritt ab 5.000, immer untermalt von dem bösen Brüllen des Dreizylinders, und dann flutscht auch die hakelige Rechtsschaltung. Die Sitzposition ist ohnehin perfekt, die Schräglagenfreiheit endlos, und die Brembos waren damals mit Abstand das Beste auf dem Markt - sie bremsen heute noch gut. Dieses Motorrad ist fast 40 Jahre alt, dennoch kann man immer noch leicht den Führerschein verlieren. Dass die Laverda 1000 Antriebsketten und Hinterreifen frisst und schon wieder nach einer neuen Primärkette schreit - na und? Und natürlich vibriert sie ein wenig. Das Biest aus Breganze lebt eben. Der alte Test - das schrieben die Kollegen in Motorrad 10/1978 Die Laverda 1000 absolvierte einen 25.000 Motorrad-Dauertest. Das Ergebnis wurde in Motorrad 10/1978 unter dem Titel "Schnell, hart, aber pflegebedürftig" präsentiert. "Wir jedenfalls haben uns von der großkalibrigen Signora so überzeugen lassen, dass wir sie gekauft haben - denn ein Langstreckentest ist für diese Maschine schon überfällig", resümierte die Zeitschrift Motorrad am Ende des Tests der Laverda 1000 in Heft 8/1975. Über 25.000 Kilometer - damals eine ungeheure Menge, kurz zuvor hatte man sich noch mit 10.000 begnügt - wollte man dem Dreizylinder auf den Zahn fühlen. Was nicht besonders gut begann: Das erste Motorrad entpuppte sich als Montagsmaschine, überdies unglücklich gewartet, und wurde kurzerhand getauscht. Auch die Neue nervte immer wieder mit Kleinigkeiten speziell in der Elektrik, zeigte sich aber in der Konstruktion grundsolide. Am Ende des Dauertests wäre die Laverda 1000 ohne Arbeiten nochmal für die gleiche Distanz gut gewesen und rannte immer noch weit über 200. Oft zitiert wird das Schlusswort von Tester Franz-Josef Schermer: "Ein guter Mann auf einer 1000er Laverda - das kann für weit mehr als 25.000 Kilometer eine optimale Kombination sein." Piero Laverda und seine V6 Vermutlich waren ihre Motorräder in den Siebzigern deshalb so außerordentlich, weil die Brüder Massimo und Piero Laverda vor allem eines waren: leidenschaftliche Motorradfahrer. "Wir wollten Motorräder bauen, die nicht nur gut fahren, sondern auch ein Leben lang halten - jedes Teil wurde zehnmal stärker gemacht als nötig", erzählt Piero Laverda, der unter anderem in den 70ern das Rennteam leitete. Sein Bruder Massimo starb im Oktober 2005, Piero aber lässt es sich bis heute nicht nehmen, ständig auf der ganzen Welt Treffen der eingeschworenen Laverda-Gemeinde zu besuchen oder mit seinem historischen Rennteam an entsprechenden Veranstaltungen teilzunehmen. Meist hat der 63-jährige dann die legendäre V6 dabei - das einzige fahrbereite Exemplar - und erfreut die Zuschauer mit ihrem F1-artigen Heulen. Interessant: "Der Motor war seit 1978 nicht mehr offen, wir haben nur die Zündkerzen gewechselt", sagt Piero Laverda. Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 31.05.2011
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