Es ist immer wieder ein beliebtes Spiel mit einer unbefriedigenden Antwort. Wer ist der beste Fahrer aller Zeiten? Herauskommt, dass die Fahrer verschiedener Epochen nicht zu vergleichen sind, weil die Anforderungen und das Umfeld in den 50er Jahren ganz anders waren als in unserer Zeit. Die Antwort wird also immer subjektiv gefärbt sein. Die Nostalgiker nennen Juan-Manuel Fangio oder Stirling Moss. Die Puristen Ayrton Senna. Die Engländer Jim Clark. Die Franzosen Alain Prost. Und die Deutschen und alle Statistiker Michael Schumacher. Doch wer ist der beste Fahrer unserer Zeit? Wir haben in dieser Saison sechs Weltmeister im Angebot. Sechs Superstars, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Michael Schumacher, der Mann mit den meisten Rekorden. Fernando Alonso, der eiskalte Vollstrecker. Sebastian Vettel, das Naturtalent mit dem sonnigen Blick und dem unnachgiebigen Ehrgeiz. Lewis Hamilton, der Vollblutracer, dem im Zweikampf schon mal der Gaul durchgeht. Jenson Button, der unbeschwerte Taktiker, der die Reifen streicheln kann wie kein Zweiter. Oder Kimi Räikkönen, den coolen Iceman, der mit nichts etwas am Hut hat. Wir vergleichen die sechs Fahrer, die es zusammen auf 14 WM-Titel und 188 GP-Siege bringen. Michael Schumacher - der Rekordmann Die Zahlen sprechen für ihn. Keiner hat mehr Titel, mehr Siege, mehr schnellste Runden, mehr Pole Positions, mehr Führungskilometer. Und er ist mit 43 Jahren immer noch bei der Musik. Beinhart im Zweikampf, wie eine Rakete beim Start. Seit sein Mercedes wieder ein schnelles Rennauto ist, fährt der Altmeister wieder regelmäßig in die ersten zwei Startreihen. Und sticht den 16 Jahre jüngeren Nico Rosberg bislang klar aus. Niki Lauda würde jetzt sein Kapperl ziehen. Die Kritiker, vornehmlich aus England, verstummen. Vor einem, in dem der Ehrgeiz immer noch so brennt wie vor 21 Jahren, muss man einfach Respekt haben. Es ist ein anderer Michael Schumacher als der aus der ersten Karriere. Einer, der gelernt hat mit Niederlagen zu leben. Das will bei einem Super-Ehrgeizigen wie Schumacher etwas heißen. Das war vermutlich der größte Schritt in seinen 19 Jahren Formel 1-Zugehörigkeit. Die Erkenntnis, dass einem die Umstände Grenzen setzen können, hat ihm die Gelassenheit gebracht, mit der er heute gegen die Jugend antritt. Wir warten bei ihm nur noch auf eine Antwort. Wie wird er sich schlagen, wenn sein Mercedes auch mal auf eine Renndistanz ein Siegerauto ist? Fernando Alonso - der Magier Nach dem Sieg in Malaysia haben sie ihn bei Ferrari den Magier getauft. So wurde früher nur Ayrton Senna genannt. Weil auch er mit Autos an die Spitze fuhr, die dazu eigentlich nicht das Zeug hatten. Alonso ist wahrscheinlich der kompletteste Fahrer aus der Weltmeister-Combo. 179 Grand Prix Erfahrung auf dem Buckel. Praktisch fehlerlos. Gleich stark bei allen Wetterbedingungen. Eiskalt im Ausnutzen seiner Chancen. Brillant in kritischen Autos. Keiner hat so eine Übersicht wie er im Rennauto. Alonso trifft manchmal bessere Entscheidungen als der Kommandostand. Auch Alonso hat gelernt zu verlieren. Das zeichnet ihn gegenüber Hamilton und Vettel aus. Er hat ein untrügliches Gespür für das, was machbar ist. Auf dieses Ziel geht er unbeirrbar los, schaut weder nach links, noch nach rechts und will schon gar nicht mit dem Kopf durch die Wand. Alonso ist der heimliche Chef bei Ferrari. Die Konstanz seiner Ergebnisse macht ihn dazu. Einzige Schwäche. Er genehmigt sich jedes Jahr zwei Rennen, bei denen er eher unauffällig bleibt. Sebastian Vettel - der Perfektionist Keiner seiner Gegner war so früh so weit. Mit 24 Jahren schon zwei Mal Weltmeister und 21-facher GP-Sieger. Mit einem Kopf auf den Schultern, den die Weisheit eines 30-Jährigen auszeichnet. Dazu sein unbändiger Ehrgeiz. Vettel saugt jede Information, die er kriegen kann, auf wie ein Schwamm. Und er sorgt dafür, dass er sie bei Bedarf auch wieder abrufen kann. Er kann stundenlang mit seinem Renningenieur Rocky über einem Problem sitzen. Bis er eine Lösung findet. Da ist Vettel Pedant. Talent hat er genug. Er aber will sein Rennauto verstehen, weil ihm das Verständnis das eine oder andere Zehntel bringt. Damit sticht er Teamkollege Mark Webber aus. Vor allem, wenn das Auto im Grenzbereich kritisch ist, das Ausloten dieses Grenzbereiches aber den entscheidenden Vorteil bringt. Stichwort angeblasener Diffusor. Der aktuelle Red Bull ist ein eher traditionelles Rennauto. Deshalb fährt Webber auch wieder auf Augenhöhe. Wenn Vettel eine Schwäche hat, dann ist es sein eigener Anspruch. Er will immer gewinnen, und lernt gerade, dass es Umstände gibt, die das nicht möglich machen. In dem Punkt ist er Hamilton nicht unähnlich. Die beiden fahren, bis sich das letzte Rad am Wagen dreht. Andere hätten da längst abgestellt. Lewis Hamilton - das Naturwunder Er ist vielleicht der schnellste Mann im Feld. Und der härteste im Zweikampf. Keiner überholt schöner als Hamilton. Und keiner mit mehr Risiko. Er ist ein Mansell-Typ. Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Dazwischen gibt es nichts für den Vollblutracer Hamilton. Auch er kämpft wie Vettel bis zur letzten Patrone. Doch Hamilton ist anfällig gegenüber Stimmungen. Das Privatleben lenkt ihn zu sehr ab. Er lässt sich zu viel von anderen steuern. Wie Gerhard Berger richtig sagt: "Lewis ist ein Racer, kein Showstar." Hamilton glaubt, der beste seiner Zunft zu sein. Das tut jeder in dieser Preisklasse, doch Hamilton meint, das müsse immer und überall so sein. Wenn ihm dann Jenson Button eine überbrät wie in Melbourne, dann stimmt das Weltbild nicht mehr. Hamilton wünscht sich innerlich wahrscheinlich eine weniger harmonische Ehe bei McLaren. Doch Button tut ihm diesen Gefallen nicht. Er ist klug genug, Hamilton keine Angriffsfläche zu bieten, die ihn extra motivieren könnte. Alonso hat 2007 erlebt, was dann passiert. Er war auf das Naturwunder Hamilton nicht vorbereitet. Man müsste den Weltmeister von 2008 in sein erstes Formel 1-Jahr zurückbeamen. Die Mischung aus Unbekümmertheit und Aggressivität hat ihn damals zu einem Fahrer gemacht, der bereits mit Jim Clark verglichen wurde. Bis jetzt ist er nur Mansell. Jenson Button - der Taktiker Der Weltmeister von 2009 ist ein Phänomen. Er schleicht sich an Siege heran, ohne dass man es merkt. Plötzlich ist er da, und man fragt sich, woher er überhaupt kommt. Das ist die größte Stärke des Jenson Button. Er wird unterschätzt. Vielleicht hat er nicht den Speed eines Hamilton oder Vettel, doch das kleine Defizit gleicht er durch seine Gelassenheit und seinen Renninstinkt wieder aus. Button ruht in sich selbst. Deshalb fährt er unbelastet. Man merkt es, wenn er Fehler zugibt. Er gab sich für die Kollision mit Narain Karthikeyan in Malaysia sofort die Schuld und hat dabei gelacht. Das zeigt: Dieser Fauxpas war geistig bereits abgehakt. Er wird ihn beim nächsten Rennen in China nicht mehr beschäftigen. Button wird zu Recht mit Alain Prost verglichen. Sein Fahrstil ist ähnlich rund und sanft wie der des Professors. Und er ist ein glänzender Taktiker. Er hat Hamilton im Team politisch abgekocht, ohne Politik zu machen. Er hat gelernt, auf seine Chance zu warten. Soll sich Hamilton ruhig an seinen Pole Positions aufgeilen, Buttons Stunde schlägt im Rennen. Da schon er die Reifen wie kein Zweiter und legt sich seine Gegner zurecht. Im Zweikampf kann Button härter sein, als man es seinem Fahrstil nach glauben mag. Manch ein Gegner verliert im Rad-an-Radduell gegen ihn, weil er den 13-fachen GP-Sieger unterschätzt. Kimi Räikkönen - der Iceman Kimi kam zurück, als hätte es eine Pause nie gegeben. Nur beim ersten Abschlusstraining in Melbourne wirkte er etwas eingerostet. Schon beim zweiten Grand Prix nach zwei Jahren Pause lag die Pole Position in Reichweite. Im Rennen markierte er die 36. schnellste Rennrunde seiner Karriere. Man kann jetzt schon sagen: Wenn der Heimkehrer mal ein problemloses Wochenende hat, ist er ein Siegkandidat. Und wenn Lotus im Entwicklungstempo mit McLaren, Red Bull und Ferrari mithalten kann, dann wette ich darauf, dass der 32-jährige Finne um den Titel mitfährt. Weil er immer irgendwie zur Stelle ist. Das haben bereits die ersten beiden Rennen gezeigt. 16 WM-Punkte von den Startplätzen 17 und 10. Beide Male spielte er seine ganze Routine aus. Fuhr schnell, wenn es die Bedingungen erlaubten, nahm Tempo raus, als er sich auf den Intermediates nicht wohl fühlte oder im Pulverdampf der ersten Kurve von Melbourne eine Karambolage witterte. Räikkönens Stärke ist, dass ihm alles egal ist. Unmöglich, ihn mental aus dem Gleichgewicht zu bringen. Daran ist schon Juan Pablo Montoya gescheitert. Kimi hat wahrscheinlich das beste Fahrgefühl der sechs Weltmeister. Er ist auf allem schnell, was vier Räder hat. Kaum anzunehmen, dass einer seiner Kollegen mit einem Rallyeauto auf Anhieb so in der Weltspitze mitfahren könnte wie er. Dass sein Comeback reibungsloser beginnt als das von Michael Schumacher hat aber einen anderen Grund. Der Lotus E20 ist ein deutlich besseres Auto als der MercedesGPW01 von 2010.
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 10.04.2012
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