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Classic Driving News

Werksrenner für V2-Treiber

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Das Typenkürzel XR hat nicht nur in Harley-Kreisen einen glorreichen Klang – die Harley-Davidson XR 1000 von 1983 ist der straßenzugelassene Ableger der erfolgreichen Werksrennmaschine XR 750.

Es ist alles ein großes, man könnte auch sagen: tragisches Missverständnis. Beim Thema Harley-Davidson denken die meisten Mitmenschen an langgabelige Chopper, schwer mit Chrom beladen wie ein Christbaum mit Lametta und ungefähr so agil und kurventauglich wie ein 38-Tonner. Dabei kann die 1903 gegründete amerikanische Traditionsmarke aus Milwaukee durchaus auf eine ebenso lange wie erfolgreiche Motorsport-Historie verweisen.

Wer jetzt süffisant anfragt, seit wann denn mit Harleys Rennen gefahren werden, dem sei ebenso spöttisch geantwortet: seit 1908. Da nämlich holte Walter Davidson, einer der vier Firmengründer, bei einem Geländewettbewerb auf New York Island mit dem einzylindrigen Modell 4 die Maximalpunktzahl. Wobei schon in den Jahren zuvor einige Kunden mit ihren Motorrädern an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen und zum Teil auch dicke Pokale abgeräumt hatten. Nur waren das eben keine Werkseinsätze.

1912 aber sichern sich William Harley und die drei Brüder Arthur, William und Walter Davidson die Dienste des genialen Motorenmannes William Ottoway, der bislang bei der heute längst vergessenen Marke Thor tätig war, und geben im Jahr darauf offiziell die Gründung eines Werks-Rennteams bekannt. In der Folge fährt Harley-Davidson zwischen 1915 und 1918 die Konkurrenz in Grund und Boden und gewinnt alle großen nationalen Rennen - und weil das auf den staubigen Sand- oder Bretterbahnen nicht immer ohne Blessuren abgeht, bezeichnen die Zeitungen das Harley-Werksteam nicht ohne Hochachtung als "Wrecking Crew", sprich Verschrottungs-Truppe.

Die legendäre Wrecking Crew

Auch in den zwanziger und dreißiger Jahren eilt die legendäre Wrecking Crew auf den längst zum Markenzeichen gewordenen mächtigen V2 - zum Teil mit acht Ventilen - von Sieg zu Sieg. Fahrer wie Joe Petrali, der von 1933 bis 1936 alle seine Rennen gewinnt, werden zur Legende. Nach dem Krieg mischt Milwaukee weiter munter mit, beim AMA Grand National Championship, einer Mischung aus verschiedenen Dirt-Track-Disziplinen und Straßenrennen, tragen Harley-Fahrer von 1954 bis in die Siebziger in 49 Rennen 38 Mal die Startnummer 1. 1972 präsentierte Harley-Davidson die XR 750 mit einem komplett aus Aluminium gebauten V2 - und gegen die ist bis heute im Dirt-Track-Bereich kaum ein Kraut gewachsen. Allein von 1988 bis 1998 etwa trägt sich der großartige Scott Parker neun Mal in die ewige Bestenliste ein.

Zu diesem Zeitpunkt sind auch die Serienmotoren aller Harleys längst vollständig aus Aluminium, sehr sauber gefertigt und nur noch mit Gewalt zu zerstören, weshalb die Company von einem Verkaufsrekord zum anderen reitet und derzeit beispielsweise in Deutschland Rang drei der Zulassungsstatistik belegt. Das sah zu Beginn der Achtziger noch ganz anders aus: Harley-Davidson gehörte damals zum AMF-Konzern, die Shovelhead-Motoren mit gusseisernen Zylindern und Köpfen galten als anfällig, und die Japaner nervten mit immer besseren Harley-Kopien.

Über-Harley als Beweis für das Potential des V2

Eine Über-Harley musste her, um der Welt zu zeigen, wie man einen V2 baut - und um die Zeit bis zur Einführung der neuen Evolution- Motoren zu überbrücken. Anfang 1983 machte sich Dick O'Brien, der langjährige Chef der Rennabteilung, ans Werk und entwickelte auf Basis des Sportster-Triebwerks mit den Leichtmetall- Zylinderköpfen der XR 750 und einigen feinen Teilen die XR 1000. Diese leistete stramme 106 PS - genug, um mit dem Dirt Track-Champion Jay Springsteen im Sattel beim Battle of Twins- Rennen in Daytona im März 1983 mit 272 km/h über die Gerade zu jagen und die vollkommen fassungslose europäische Konkurrenz zu verblasen. Passender Name des in den Werksfarben orange-schwarz lackierten Renners: Lucifers Hammer.

Für den Jay Springsteen in uns allen stand dann ab April 1983 der Serien-Ableger mit gleicher Typenbezeichnung in den Showrooms der Harley-Dealer. Das Fahrwerk stammte von der Serien-Sportster (die übrigens bereits 1957 vorgestellt wurde, damals als reinrassiges Sportgerät galt und seither stets verbessert wurde). Im Vorjahr hatte die XL 1000 gerade wieder einen neuen, stabileren Rahmen mit größerer Schräglagenfreiheit erhalten; für die zu erwartende Mehrleistung kam an der XR vorne eine Doppelscheibenbremse zu Einsatz.

Das Herzstück aber ist natürlich der 1000er-V2. Und mehr als jede andere Harley ist die XR 1000 vor allem ein groß artiger Motor, an den das Nötigste zum Fahren drangeschraubt wurde. Bei Kurbelgehäuse, Primärantrieb und Getriebe griff Dick O'Brien ins Teileregal der Serie, pflanzte darauf modifizierte Grauguss-Zylinder und verband die Aluminium-Zylinderköpfe mit durchgängigen Zugankern mit dem Gehäuse.

Der Kopf macht den Unterschied - 67 PS bei 5600/min

Diese XR-Köpfe sind das eigentliche Erfolgsgeheimnis: Jeder Einzelne wurde bei Jerry Branch in Kalifornien bearbeitet und zusammengesetzt und dann wieder zurück nach Wisconsin zur Endmontage geschickt. Im Unterschied zu allen Serien-Harleys ist dabei der hintere Kopf um 180 Grad gedreht, um auf der echten Seite Raum für zwei einzelne Vergaser (anstelle des sonst üblichen einen Gemischaufbereiters) zu schaffen. Zum Einsatz kommen 36er-Dell'Orto, wie sie auch an frühen Guzzi Le Mans verwendet wurden. Links bläst eine schwarze, hochgelegte zweiflutige Auspuffanlage die Explosionsrückstände ins Freie. Das Resultat sind straßenzugelassene 67 PS bei 5.600 Touren, mit einem Rennkit (schärfere Nockenwellen, höher verdichtende Kolben und offene Auspuffanlage) ließ sich die Leistung noch kräftig steigern. Die Kehrseite der Medaille war vor allem das Preisschild: Im Showroom stand die XR 1000 neben der preiswertesten Sportster, der XLX, sah auf den ersten Blick nicht viel anders aus - kostete aber mit über 7.000 anstelle von 3.995 Dollar fast das Doppelte. Entsprechend schleppend verkauften sich die gebauten 1.000 Stück, nur sieben Exemplare sollen damals offiziell nach Deutschland gelangt sein.

Erholungspause alle 100 Kilometer beim Tanken

Heute eine XR 1000 aufzutreiben, die nicht auf der Rennstrecke geschreddert oder von Easy-Rider-Fans verchoppert wurde, gestaltet sich schwierig - auch Horst Kaiser musste nach seiner XR lange suchen. Dafür präsentiert sich sein 1983er Exemplar bis auf Kleinigkeiten im ungeöffneten Originalzustand - obwohl er auf dem Reiteisen schon bis nach Spanien unterwegs war. "Da ist man allerdings froh, wenn man durch den kleinen Tank alle 100 Kilometer zum Tanken darf", meint er. Trotz Minimalkomfort und maximaler Vibrationen aber überwiegt für den Stuttgarter die Faszination: "Dieses Motorrad ist ein Naturereignis."

Das will ich gerne glauben, schließlich zählt die XR 1000 für mich zu den absoluten Sagengestalten, seit Peter Limmert in MOTORRAD 16/1983 formulierte: Die imponierende, gewalttätige Art der Beschleunigung hat etwas an sich, das sich schlecht beschreiben lässt. Vielleicht kommt es dem Gefühl nahe, das einen mit einer zurückschwappenden Atlantikwelle ergreift.

Ein Druck auf den E-Starter, etwas Gas, schon poltert der 45-Grad-V2 vernehmlich los. Die mechanischen Geräusche sind angesichts der Urgewalten, die im Langhuber vonstatten gehen, erstaunlich gering. Erster Gang, das Getriebe schaltet ein wenig knorpelig, die Kupplungshandkraft ist vergleichsweise zivil. So weit alles ganz normal, wie bei einer Serien-Sportster. Bis etwas über 2.000 Touren ändert sich an diesem Eindruck nichts, so kann man gemütlich durch die Stadt pottern.

Ein Dreh am Gasgriff, die Beschleunigerpumpen der beiden Dell'Ortos schmeißen je einen Fingerhut voll Sprit in die dachförmigen Alu-Bennräume - auf einmal stürmen die 231 Kilogramm ganz fürchterlich voran. Bis gut 5.000 Umdrehungen brennt der Langhuber ein Feuerwerk ab, dass einem Hören und Sehen vergeht; das Abgasgrollen wird dabei deutlich vom Ansaugschlürfen der Dell'Ortos überlagert.

Das Gefühl ist unbezahlbar

Das Gefühl, dieses Naturereignis jederzeit abrufen zu können, ist unbezahlbar und sorgt beim XR-Fahrer für eine ziemliche Gelassenheit: Wenn nötig, kann er jederzeit deutlich moderneren und kräftigeren Motorrädern demonstrieren, wozu amerikanisches Schwermetall fähig ist, wie präzise und spurstabil sich so ein Sportster-Fahrwerk bewegen lässt und wie kräftig die Doppelscheibe vorn verzögert. Nicht von ungefähr gibt es im Schwarzwald eine Truppe wilder Buell-Reiter, die stets von einer XR 1000 angeführt wird.

Gebraucht kostet das Naturereignis heute beinahe doppelt so viel wie 1983, womit die XR 1000 einmal mehr bestätigt, dass zu Lebzeiten schwer verkäufliche Harleys in der Zukunft zu raren Sammlerstücken werden. Aktuell gibt es im Modellprogramm den neuzeitlichen Nachfahren XR 1200, die sich auch nicht gerade verkauft wie geschnitten Brot. Ihre Chance - ask your local Harley-Dealer.

 

Quelle: Motor Klassik

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