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Wiesmann: Besuch bei der Traumfabrik im Münsterland

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Exklusive Einblicke: MOTOR-TALK besuchte die Wiesmann-Manufaktur in Dülmen und blickte hinter die Kulissen der edlen Sportwagen-Kleinserienproduktion.

Ur Wiesmann Prototyp Ur Wiesmann Prototyp Große Aufregung ist im beschaulichen westfälischen Münsterland nicht unbedingt an der Tagesordnung. Verschlafene Kleinstädte und eine über Jahrhunderte gewachsene, grüne Kulturlandschaft bestimmen das Bild zwischen Ruhrpott und Teutoburger Wald. Auch Dülmen macht da keine Ausnahme: Wer hier um 14.00 Mittag essen will, wird auf die Abendkarte ab 17:30 vertröstet. Bis dahin kann er sich die Schautafel eines Fördervereins der Dülmener Bärenstatue durchlesen.

Aufregung in Kleinserie entsteht dagegen im Dülmener Industriegebiet. Zwischen Feldern, Ponyhöfen und Drive-Ins baut die Firma Wiesmann hochwertige und hochpreisige Sportwagen. Ein gewachsener Familienbetrieb: 1986 entstehen erste Skizzen und Prototypen in Garage und Keller der Wiesmann-Brüder. 1988 wird der erste Wiesmann auf der Essen Motor Show präsentiert, 1989 beginnt die Produktion von Hardtops für Cabriolets. Zu dieser Zeit, sagt Marketingchef Jan Molitor, gab es für die meisten Cabrio-Modelle am Markt keine solchen praktischen Winterdächer. Außer bei Wiesmann. Gelegentlich findet man noch heute ein gebrauchtes Hardtop in Privatverkäufen.

1991 bezieht die junge Firma eine Produktionshalle am Telgenkamp, in der die Hardtops gebaut und die eigenen Modelle weiterentwickelt werden. 1993 geht nach fünf Jahren Entwicklung der erste Wiesmann in Serie: Der Roadster MF3. Eine puristische Fahrmaschine, die auf soviel elektronischen „Schnickschnack“ wie möglich verzichtet, aber auf nichts, was gut und teuer ist.

Die Altstadt von Dülmen Die Altstadt von Dülmen Von Anfang an ist klar, das Wiesmann eine möglichst große Fertigungstiefe im eigenen Haus besitzen soll. Hier entstehen heute neben Prototypen die Rahmen, Teile der Karosse und Teile des Fahrwerks, die komplette Innen- und Elektroausstattung und natürlich auch die Endmontage. Ein Großteil der Zulieferer sitzt direkt im Münsterland, von hier kommen z.B. Karosserieteile, Fahrwerksteile und auch Einbauteile wie z.B. Tank-Komponenten und Abgasanlagen, Autoglas vom regionalen Glaser und sogar Rundinstrumente. Das, sagt Molitor, ermöglicht eine maximale Flexibilität, um den vielfältigen Wünschen der zahlungskräftigen Käufer nachkommen zu können.

GT in Orange ... GT in Orange ... Auch hier: V8 Twin Turbo statt V10

Was Motor-Getriebe-Kombinationen angeht, etablierte Wiesmann früh die Verbindung zu BMW. Im Moment werden Sechs- und Achtzylinder aus Bayern bei Wiesmann verbaut. Den Zehnzylinder S85 verwendet Wiesmann nicht mehr, das Downsizing macht auch vor den exklusiven Münsterländern nicht halt. Inzwischen wird im Spitzenmodell MF5 der bekannte V8 TwinScroll Twin Turbo der M GmbH verwendet, mit sicherlich nicht untermotorisierten 555 PS und brutalen 680 Nm ab 1.500/min.

2005 stellte Wiesmann den MF4 vor, eine Weiterentwicklung des MF3. Insbesondere das Aluminium-Monoque anstelle des Gitterrohrrahmens beim MF3 war ein deutlicher Schritt nach vorne, sowohl beim Gewicht als auch bei der Steifigkeit, sagt Jan Molitor. Aber der MF4 sei auch sonst in jeder Hinsicht deutlich komfortabler als der kleinere MF3 geraten, fährt sich erheblich gelassener als die puristische Fahrmaschine.

Das aktuelle Produktionsgebäude, die „gläserne Manufaktur“ in Gecko-Form, wurde 2008 in Betrieb genommen. Keine einfache Zeit für den Autobauer: Parallel zu den lange geplanten, für ein Unternehmen dieser Größe gewaltigen Investitionen in das neue Werk ließ die internationale Wirtschaftskrise einen Großteil des Absatzes wegbrechen.

gleich wird die Karosserie komplettiert gleich wird die Karosserie komplettiert Vor allem der Export nach Osteuropa kam fast zum Erliegen, erzählt Molitor. So musste das Unternehmen u.a. Kurzarbeit anmelden. Mittlerweile haben sich der Absatz und damit die Produktion aber wieder auf etwa 180-200 Fahrzeuge im Jahr stabilisiert.

In den kommenden Jahren, sagt Jan Molitor, will Wiesmann seine Produktion auf etwa 400 Fahrzeuge im Jahr verdoppeln.

"Schon" ab 60.000 Euro: Gebraucht-Roadster

Betritt man das Wiesmann-Gebäude, steht man direkt im Showroom, quasi dem Werksverkauf. Etwas ungewöhnlich für einen Autohändler, stößt man hier zuerst auf Gebrauchtwagen. Kostet so ein brauchbar ausgestatteter Wiesmann neu locker über 200.000 Euro, kann man hier schon für die Hälfte oder - im Falle eines rekonstruierten Unfall-MF3 - auch schon für knapp 60.000 Euro fündig werden.

Wem das nicht exklusiv genug ist, der wird sich seinen Wiesmann bestellen müssen. „Wir bauen fast nur bestellte Autos“, sagt Molitor, nur gelegentlich wird ein Wiesmann für Promotion- und Ausstellungszwecke gebaut.

Showcar Wiesmann Spyder Showcar Wiesmann Spyder Einer davon ist die Studie Wiesmann Spyder, die auf dem Genfer Salon 2011 zu sehen war. Für die IAA 2011 legt Wiesmann die „Final Edition“ des MF3 auf, die gerade in der Werkshalle zusammengeschraubt wird.

Vorteil Manufaktur: Totale Flexibilität

Da so ein Wiesmann ein Einzelstück auf Bestellung ist, genießen die Käufer beim Konfigurieren jede Menge Freiheiten. Die Lederausstattung kann komplett individuell gestaltet werden, aber auch bei der Ausstattung mit elektronischen Gadgets und Anzeigen gibt es fast nichts, was nicht geht. Schließlich wird für jedes Auto der komplette Kabelbaum im Haus zusammengeknotet. Ein zusätzliches Anzeigeinstrument, eine extra Schnittstelle - alles kein Problem. Aber auch am Auspuffsound oder an der Sitzgröße können die Monteure noch einiges drehen.

Vormontage des Kabelbaums Vormontage des Kabelbaums Apropos Kabelbaum: Die hohe Handarbeitsquote in dieser Abteilung macht auf einen Blick deutlich, warum die elektrischen Arbeiten während der Krise 2008 als erster Kandidat für eine Produktionsauslagerung gehandelt wurden. Wiesmann entschied sich für die konservativ-mittelständische Lösung: Die Elektrik blieb im Haus. „Es sind nur relativ wenige Stellen, die wir dafür brauchen. Aber sie erlauben uns, die Qualität zu produzieren, die wir brauchen. Und wir können so extrem flexibel auf Änderungen und Fehler reagieren. Wenn man einen fertigen Kabelbaum geliefert bekommt und mit dem stimmt was nicht, dann hat man ein Riesenproblem, so wird ein Fehler eben mal schnell in ein paar Minuten korrigiert“, sagt Marketingchef Molitor.

Genauso beeindruckend ist ein Blick in die hauseigene Sattlerei. Jedes Lederteil wird hier von Hand „aus der Kuh“ geschnitten und vernäht bzw. verklebt. Auch hier regiert der kaufmännische Rotstift: Sport der Lederschneiderinnen ist es, aus jeder Haut so wenig Verschnitt wie möglich übrigzubehalten.

Unser Testwagen: MF4 Roadster Unser Testwagen: MF4 Roadster Jetzt aber genug geredet...

Wir wollen es schließlich hören, und fühlen, das Wiesmann-Gefühl. Da steht es, flach, schwarz und mit Werkskennzeichen: Ein MF4 Roadster mit Sportautomatik. Schnell das Verdeck runter und den komplett in dunkelrotem Leder und Velours ausgekleideten Innenraum freigelegt. Sonderausstattung: Navi, zusätzlicher Tacho hinterm Lenkrad. Die Taschen verschwinden im Kofferraum, (ja, auch das gibt’s) und los gehts.

In dieses Auto steigt man nicht, man sinkt man hinein und sitzt dann direkt kurz über dem Asphalt. Eng, aber nicht zu eng. Die tiefe Sitzposition trägt nicht direkt zur Übersicht bei, die ausgestellten Leuchteinheiten lassen sich aber durchaus noch erahnen, da am anderen Ende der langen Motorhaube. Vorläufig nehme ich auf dem Beifahrersitz Platz und lasse wirken.

Unser Testwagen: MF4 Roadster Unser Testwagen: MF4 Roadster Schlüssel gedreht, Startknopf gedrückt, und es blubbert los - in meinem Rücken, obwohl der V8 zweifellos vor uns sein sollte. Klarer Fall von Abgasanlagen-Sounddesign. Das klingt schon ziemlich geil, und dann geht es auch schon los: Wir rollen vom Parkplatz, und dann durch die schmale Straße, an deren Ende das Werk liegt.

Schon hier wird klar, was gemeint war mit der Aussage, MF4 und MF5 seien komfortabler als der MF3. Eigentlich merkt man kaum, dass man in einem Cabrio sitzt, obwohl das Wetter sich nicht von der allerbesten Seite zeigt. Auf freier Piste tritt der Fahrer mal kurz das Gaspedal durch, und die Beschleunigung beginnt, meinen Magen zu verformen. Ein Fan davon, bei so was auf dem Beifahrersitz zu sitzen, werde ich wohl nie. Also Zeit, den Wiesmann selbst durchs Münsterland zu lenken.

Mühelos auf 180

Kurze Verwirrung, denn die Handbremse ist rechts, dann lenke ich das majestätische Cabrio in den spärlichen münsterländischen Mittagsverkehr. Fahrwerk und Lenkung reagieren so direkt, wie man es von einem Oberklassesportler erwarten darf, die Straße fühlt sich auch aus der ungewohnt tiefen Position schnell wie zuhause an.

Das eigentliche Highlight ist aber der V8 aus dem Hause BMW. Leistungsreserven ohne Ende verleihen dem Sprint von 80 auf 180 eine erstaunliche Mühelosigkeit. Erst ab 150 wird es schwierig, sich bei offenem Verdeck zu unterhalten. Bei kurviger Fahrt kommt dem MF4 zudem sein im Vergleich zu den meisten Großserienfahrzeugen dieser Leistungsklasse sehr geringes Gewicht zugute. Anders als so manchem anderen Sportwagen fehlt ihm aber alles zickige. Satt und sauber liegt das Fahrzeug auf der Straße, und bei gemächlicher Fahrt kommuniziert der V8 mit sonorem Brubbeln, dass es nicht immer Vollgas sein muss. Man hat absolut nicht das Gefühl, dass der MF4 einen ungeduldig dazu drängt, sein Potenzial auszuschöpfen. Wenn man sich dazu entscheidet, ist es aber sofort da.

Showroom: MF4 GT Showroom: MF4 GT Luxus, der Lust macht

Unterm Strich steht das wohl nur schwer zu übertreffende Fahrerlebnis eines reinen, konsequenten Freizeitautos für Besserverdienende. Denn wenn man es sich überlegt, so ein Wiesmann Roadster muss ja gar nichts: Er muss nicht preiswert sein, nicht sparsam, nicht effizient in der Herstellung, und schon gar nicht praktisch und übersichtlich. So kann er sich ganz auf das konzentrieren, was er sein will: Schnell, schön, exklusiv, elegant in Optik, Haptik und Handhabung und verdammt spaßbetont.

Die meisten Wiesmann verbringen einen Großteil ihres Lebens in der Garage und werden höchstens am Wochenende mal für eine Spritztour herausgeholt. Ein paar schwere Unfall-Fälle im Servicebereich zeigen, dass manche auch ein hartes Leben auf der Rennstrecke haben. Den meisten geht es aber wie den Beagles der Queen: Sie werden gehegt und gepflegt, und Geld spielt dabei keine Rolle. Braucht man so ein Auto? Natürlich nicht. Will man es haben? Irgendwie schon. Will man es auf jeden Fall mal fahren? Unbedingt.

(bmt)

Video: Mitfahrt im Wiesmann MF4 Roadster

Quelle: MOTOR-TALK

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