Die späte Renault Alpine V6 Turbo wird von Porsche-Fahrer nicht ernst genommen. Die lässige Verarbeitung und der oft kritisierte Europa-V6 sind Schuld daran. Doch in Wahrheit begeistert das Ding aus Dieppe. Bitte erst fahren, dann urteilen! Das beweist der Fahrbericht. Eine Renault Alpine V6 Turbo? Liebe auf den ersten Blick ist es nicht. Die minimalistische, effiziente Renault Alpine Berlinette A 110 überzeugt als hochverehrte Rallye-Ikone, die Sechszylinder-Renault Alpine A 310 galt wegen ihrer aufreizenden Figur als Sex-Symbol der Siebziger, aber die Nachfolgerin Renault Alpine V6 GT? Na ja, ganz nett. Breit, kurz, niedrig, betonte Hüften, schöne Silhouette, roter Lack, feuriges Mexicorot. Ein Könner hat sie entworfen, Ex-Citroën Designer Robert Opron, Schöpfer des majestätischen Citroën SM und der feenhaft anmutigen Vierzylinder-Renault Alpine 310, besonderes Kennzeichen: das gläserne Scheinwerferband. Für Opron war es das Autogesicht der Zukunft. Der Funke der Leidenschaft will nicht sofort überspringen Obwohl die aufregende Form der Renault Alpine A 310 noch in ihr steckt, ihre Linienführung und vor allem die Frontpartie bestimmt, wirkt die Renault Alpine V6 Turbo irgendwie verwässert, leicht weichgespült. Sie hat zugelegt, ist jetzt ein echter Zweipluszwei, zeigt sich auch innen auf Komfort getrimmt. Die Renault Alpine V6 Turbo wirkt ein wenig madammig, als hätte die Komfort-Kalesche Renault 25 sich mit ihr eingelassen, sie gezähmt. Galten die Renault Alpine, vor allem die legendäre Reanult Alpine Berlinette nicht stets als kompromisslose, improvisierte Fahrmaschinen? Ihre betont einseitige Gewichtsverteilung mit dem Renault-Motor weit hinter der Antriebsachse machte sie im Grenzbereich mehr noch als den frühen Elfer zu kritischen Heckschleudern, nur von risikofreudigen Fahrkönnern zu zähmen. Das nötigte selbst Porsche-Fahrern Respekt ab. Die Renault Alpine V6 GT von 1985 ist dagegen eine perfektionierte Grande Tourisme für schnelle, mühelose Transeuropa-Touren. Das sagt schon das Kürzel, das nur bei der Vergaserversion aufblitzt. Die Turbo-Variante, ohne Kat 185 statt 200 PS stark, muss auf das Prädikat GT verzichten. Komfortable Ausgewogenheit ist der Trumpf der Renault Alpine V6 Turbo, und das ist wörtlich zu nehmen. Vorne lasten 40 Prozent des Leichtgewichts von 1.180 Kilo, auf der zurückversetzten Hinterachse nunmehr 60, das dämpft die Übersteuerneigung wie ein hochwirksames Sedativum. Man braucht keinen Helm mehr, um Renault Alpine zu fahren, ein untergeschlagenes Halstuch genügt. Unscheinbare Alpine mit viel Potenzial Keine Frage, ohne ihre charismatische Vorgängerin Renault Alpine A 310 hätte es die A 500, so heißt intern unser von 1985 bis 1991 immerhin in 6.534 Exemplaren gebautes Modell, viel leichter gehabt. Wenn Renault das vollblütige Alpine-Erbe des Gründers Jean Rédélé bewahrt und und mit extravaganten Heckmotor-Sportwagen weitergeführt hätte, dann ginge es der Renault Alpine A 500 heute besser und Porsche hätte die lukrative Nische nicht für sich allein. Dann wäre mit der Renault Alpine V6 GT nicht der vorletzte Renault Alpine-Akt aufgeführt worden. Der Vorhang fiel 1995 mit der letzten Renault Alpine A 610 Turbo, eine mit Schlafaugen aufgehübschte Variante, technisch so perfekt wie eine Renault Alpine nur sein kann. 250 PS presst der Turbo aus dem Europa-V6 und zeigt damit sein wahres oft unterschätztes Potenzial. Aber das Gesicht scheint austauschbar. Toyota Celica Supra , Nissan 300 ZX , Ford Probe? Klappscheinwerfer machen Autos anonym. Erst im Profil zeigt die Form der Renault Alpine A 610 Charakter, da ist sie wieder typisch Alpine. Das mexicorote Turbo-Coupé lässt aus keinem Blickwinkel Zweifel ob ihrer Identität aufkommen. Form, Leistung und Fahreigenschaften begeistern die Besitzerin Es gehört Linda Schmidtborn, einer 32-jährigen Augenärztin aus Stuttgart. Sie hat es von Ihrem Vater, einem leidenschaftlichen Renault Alpine-Afficionado, übernommen. Bei ihr sprang der Funke sofort über, schließlich ist sie mit den rasanten Sportwagen aus Dieppe aufgewachsen. "Form, Leistung und Fahreigenschaften meiner Renault Alpine V6 Turbo faszinieren mich gleichermaßen", schwärmt die zierliche Frau mit der fast unsichtbaren randlosen Brille. "Das Auto ist in seiner Gesamtheit so authentisch wie kaum ein zweites, die Sitzposition in den körperbetonten Ledersitzen passt mir perfekt und die Nachdrücklichkeit, mit der es beschleunigt, beeindruckt. Leider wird es selbst von Autokennern oft unterschätzt", bedauert die junge Ärztin. Doch schon die reinen Fahrleistungen der Renault Alpine V6 Turbo überzeugen jeden Skeptiker. Selbst auto motor und sport verbeugte sich vor der Dynamik des Polyester-Geschosses und attestierte "feuriges Temperament, das unter dem Katalysator kaum gelitten hat", will sagen Spitze 254 km/h, Nullaufhundert in 6,7 Sekunden. Renault Alpine mit Europa V6 Motor Auch sonst muss sich der kettengetriebene Zweiventiler namens Europa-V6 noch nicht einmal über Gebühr anstrengen. Das Drehzahlniveau bleibt in der Renault Alpine V6 Turbo selbst bei sportlicher Fahrweise angenehm niedrig, und der heisere, angenehm melodische Sound des durchzugskräftigen Leichtmetallmotors bleibt stets angenehme Hintergrundmusik. Für die druckvolle Turbovariante der Renault Alpine V6 schufen die Renault-Ingenieure eine neue Kurbelwelle mit 10 mm kürzerem Hub und geändertem Hubzapfenversatz, beide Maßnahmen fördern die Laufkultur bei nunmehr von 2,85 auf 2,5 Liter reduziertem Hubraum. Das Fünfganggetriebe aus dem Renault 25 lässt sich leichter und exkater schalten als in jedem 911er vor der 964-Ära. Unter 2.000/min hat die Drehmomentkurve eine kleine Delle. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, bis der Garrett-Lader mit maximal 0,7 bar Ladedruck einsetzt und die Renault Alpine V6 Turbo gehörig nach vorne pustet. Man fühlt sich dabei wie in einem entfesselten Liegestuhl, Tribut an die flache Flunder, die Renault-typischen Pilot-Vordersitze umklammern den Fahrer mit sanfter Strenge, weniger überzeugend gerieten Lederlenkrad und Instrumente, sie wirken verspielt und irgendwie zu stylish. Zentralrohrrahmen und aufwendiges Fahrwerk Das sieht zwar spannend aus, aber funktionelle Sportwagen-Ergonomie ist nicht die Stärke der Renault Alpine. Doch fällt im Vergleich zur lässig-lasziven Vorgängerin A 310 die deutlich bessere Verarbeitungsqualität der Renault Alpine V6 Turbo auf. Spaltmaße, Verwindungssteifigkeit und auch die Qualität der Interieur-Materialien liegen nun auf einem Niveau, das dem einst 72.500 Mark teuren Sportwagen nicht mehr peinlich sein muss. Die Langzeithaltbarkeit profitiert bei den 500er-Modellen auch von einem neuen Fertigungsverfahren, das stärker automatisiert ist. Die einzelnen Schichten es glasfaserverstärkten Polyesters werden nicht mehr von Hand eingestrichen, in Zusammenarbeit mit Bayer wurden sowohl Werkstoff als auch Verfahren optimiert. Die Kunststoff-Karosserie der Renault Alpine V6 Turbo ruht auf einem soliden Zentralrohrrahmen, auch die Achsen, beides aufwendige Querlenker-Konstruktionen, finden in dem käfigförmigen Stahl-Rückgrat eine solide Aufhängung. Kurvengierig fegt die Renault Alpine V6 Turbo um enge Biegungen, ihre Übersteuerneigung ist zunächst leicht mit Gegenlenken kontrollierbar, wer es jedoch zu bunt treibt, muss immer noch mit einen ziemlich plötzlichen Ausschwenken des Hecks rechnen. Das agile Handling der Renault Alpine V6 Turbo profitiert auch von der sehr direkten, angenehm leichtgängigen Zahnstangenlenkung, die bei dem geringen Gewicht auf der Vorderachse ohne Servounterstützung auskommt. Auch die späte Renault Alpine V6 Turbo hat es nicht leicht, sie muss gegen Vorurteile ankämpfen. Sie kommt aus Frankreich, hat eine Kunststoffkarosserie und baut auf ein Triebwerk im Heck, dass im Rohzustand nicht gerade ein Ausbund an Drehfreude und Kultiviertheit war. Mit der Porsche-Toleranz, die über viele Schwächen hinwegsieht, ist sie nicht gesegnet. Sie will verstanden und erobert werden, erst dann gibt sie einem zu verstehen, was für ein großartiges Auto sie ist.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 04.03.2011
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