Auf eine parlamentarische Anfrage hin listet die Bundesregierung alle deutschen Rückrufe seit Jahresbeginn auf. Bereits 940.000 Fahrzeuge waren demnach betroffen.
Berlin - Die Liste ist schier endlos. Auf neun Seiten ist aufgeführt, welcher Autobauer im ersten Halbjahr 2015 Fahrzeuge wegen Mängeln zurückgerufen hat. Ein Schreiben aus dem Bundesverkehrsministerium zählt vor: Mit mehr als 50 Herstellern ist praktisch die ganze Branche betroffen, etwa 940.000 Autos, Motorräder, Laster und Wohnmobile wurden von Januar bis Juni 2015 zurückbeordert, etwa wegen Mängeln an Airbags, Bremsen oder der Software. 2013 lag der Wert laut Kraftfahrtbundesamt bei etwa 770.000. Im ganzen Jahr. Initiator der Anfrage ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Tressel. "Die Zahl der Rückrufe ist in den letzten Jahren immens gestiegen", sagt er. Neue Modelle würden "immer schneller und kostengünstiger auf den Markt kommen". Je schneller dies geschehe, desto eher schlichen sich Qualitätsprobleme ein, warnt der Grüne. Quelle: dpa/Picture Alliance Ganz so düster sehen Experten das Thema nicht. Man dürfe das "nicht überdramatisieren", sagt Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach. "Die Qualität der Fahrzeuge insgesamt ist eher besser geworden, die Sicherheitsausstattung hat zugenommen." Die Autos seien im Zuge der Digitalisierung nun mal technisch deutlich anspruchsvoller geworden. VDA: Kein QualitätsproblemDer Verband der Automobilindustrie (VDA) sagt: Die Liste weise in keinerlei Weise auf ein Qualitätsproblem hin. Ganz im Gegenteil: "Die Qualität der deutschen Modelle ist so hoch wie noch nie zuvor." Tatsächlich ist das Zahlenwerk der Bundesregierung nur beschränkt aussagekräftig. Der größte Brocken der Statistik entfällt auf den Autobauer BMW, der seit Januar gut 400.000 Fahrzeuge zurückbeordern musste. Davon entfielen 396.000 auf eine einzige Rückrufaktion, die schon im Sommer 2014 bekannt gegeben wurde. Doch weil zunächst Ersatzteile besorgt werden mussten, ging es erst Anfang 2015 mit den Einbestellungen in die Werkstätten los. Dieser eine Fall bläst die Statistik mit ihren ingesamt gut 150 Rückrufaktionen gewaltig auf. Bei den 396.000 BMW geht es um den Takata-Fall, der die Branche erschüttert hat. Bei den Airbags des japanischen Zulieferers wurde eine Explosionsgefahr festgestellt. Dudenhöffer: USA als VorbildFerdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen sagt, das Problem höherer Rückrufzahlen werde wohl an Brisanz zunehmen. "Hinter jedem Rückruf steckt ein Sicherheitsproblem für Verbraucher." Dudenhöffer sieht einen folgenschweren Kostendruck in der Branche: Wenn Autokonzerne Geld einsparten, ginge dies zulasten der Zulieferer. "Je höher der Kostendruck, umso stärker steigt das Fehler- und damit das Rückrufrisiko." Stefan Bratzel warnt vor Imagebelastungen durch die höheren Rückrufzahlen. Nach seiner Meinung sind die jüngsten Rückruf-Zahlen ohnehin nur die "Spitze des Eisbergs" - nur etwa ein Siebtel der Fälle werde offiziell bekannt, der Rest werde klammheimlich durchgeführt, etwa im Rahmen des Routinechecks. Bratzel verweist bei dem Thema auf die USA. "Dort ist das Klagerisiko am höchsten, so dass Hersteller eher offene Rückrufe initiierten." Dudenhöffer zeigt ebenfalls gen Amerika - man solle sich ein Vorbild an den USA nehmen, findet er. Dort würden Mängel an Autos hart inder Öffentlichkeit diskutiert. In Deutschland sei das anders, hier sei das Kraftfahrtbundesamt "ein zahnloser Tiger“. |