Kia ProCeed (CD) 1.6 T-GDI GT DCT7 Test
21.03.2022 21:31 | Bericht erstellt von JohnFuel
Testfahrzeug | Kia ProCeed (CD) 1.6 T-GDI GT DCT7 |
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Leistung | 204 PS / 150 Kw |
Hubraum | 1591 |
HSN | 1260 |
TSN | AEU |
Aufbauart | Kombi |
Kilometerstand | 7000 km |
Getriebeart | Automatikschaltung |
Erstzulassung | 7/2021 |
Nutzungssituation | Privatwagen |
Testdauer | einige Monate |
Einleitung
Beschrieben wird ein Kia ProCeed GT mit Doppelkupplungsgetriebe und Erstzulassung 2021. Das Fahrzeug wird sowohl für Stadtfahrten als auch für regelmäßige Pendelfahrten (30 km mit hohem Autobahnanteil) und lange Urlaubsfahrten genutzt. Fahrweise ist überwiegend (>90%) moderat und zurückhaltend. Als Fahrmodus wird fast ausschließlich (~99%) "Sport" gewählt. |
Karosserie
Über die schlechte Sicht nach hinten möchte ich keine vielen Worte verlieren. Es ist offensichtlich, dass man sich das elegante Design mit der hohen Gürtellinie und dem sanft abfallenden Seitenfensterbogen mit einer schlechten Sicht erkauft. Kritik daran finde ich albern und unprofessionell. Wer gut nach hinten gucken will, kauft sich einen Backsteinvolvo aus den 90ern mit drei Quadratmeter großen senkrechten Seitenscheiben und Heckscheibe. Wer geil aussehen will, kauft sich einen ProCeed GT und weiß, dass er die schlechte Sicht in Kauf nehmen will. Die Materialanmutung und -haptik im Innenraum ist durchwachsen. An manchen Stellen in Ordnung, an manchen Stellen schwach. Schaltwippen, innere Türöffner und Zierelemente am Armaturenbrett und an den Türgriffen bestehen aus silber lackiertem Kunststoff, der somit nach Aluminium aussehen soll. Die Oberfläche ist durchaus angenehm. Die Schaltwippen schmeicheln regelrecht der Hand und hier fühlt sich das Material wertig an. Das gilt für die inneren Türöffner im Grunde auch, jedoch schwächt hier die geometriebedingte Elastizität etwas den Eindruck, da sie nicht sehr steif sind. Die inneren Türöffner lassen sich leicht durch nur wenig Druck etwas in die Mulde hineinbiegen. Bei Premiumfahrzeugen sind die inneren Türöffner aus Metall oder deutlich steifer. Am Innengriff der Fahrertür ist bei mir beim Öffnen der Tür, d.h. beim schwungvollen Drücken gegen die Tür, ein fast unmerkliches, minimales Klacken zu spüren. Es ist mehr ein Gefühl, zu hören ist es nicht wirklich. Hier scheint irgendwo unter der Türverkleidung an der festen Verankerung von Türblech und Griff eine Verbindung minimal Spiel zu haben. Schlimm ist es nicht. Und sicherlich auch eher ein Einzelfall. Bei anderen Fahrzeugen dieses Modells ist das eventuell bombenfest. Es zeigt aber nur exemplarisch, dass für den Preis selbstverständlich kein Premiumfahrzeug zu erwarten ist. Nach ca. 5.000 km ist die intelligente Kofferraumklappensteuerung kaputtgegangen. Das Fahrzeug blinkt und piepst noch (und wiederholt das pausenlos, wenn man dahinter stehenbleibt), aber der Kofferraum öffnet sich nicht. Nach ca. 5.000 km und einem Fahrzeugalter von ca. einem halben Jahr nicht besonders rühmlich. Im Kofferraum selbst befinden sich unterhalb des Bodens mehrere Staufächer, die durch ein großes Kunststoffteil mit mehreren Ausbuchten gebildet werden. Dieses Kunststoffteil als ganzes Stück mit allen Staufächern kann man herausnehmen (darunter befindet sich das Reifenkit). Das Kunststoffteil weist auf der Unterseite mehrere Stege auf, die einerseits sicherlich der Steifigkeit und andererseits der richtigen Positionierung dienen. Diese Stege wiederum sind mit länglichen Filzstreifen umklebt, um ein Klappern zu vermeiden. Diese Filzstreifen sind ca. 2 cm breit und relativ lang; so lang wie der Steg halt ist. Gut gedacht, schlecht gemacht: Die Filzstreifen wurden um die unteren Kanten der Stege herumgeklebt, so dass sie um 180° geknickt sind. 1 cm der Breite klebt somit auf der einen Seite, und 1 cm der Breite auf der gegenüberliegenden Seite des Steges. Leider haben die Filzstreifen eine relativ hohe Rückstellkraft, und die Klebekraft reicht nicht aus, so dass sich die meisten der Filzstreifen nach ca. 5.000 km bzw. ca. einem halben Jahr Fahrzeugalter (oder schon früher, habe vorher nicht danach geschaut) auf einer Seite schon wieder lösen, da sie die 180°-Knickung nicht aushalten. Noch ist das Fahrzeug ruhig, aber wenn es irgendwann anfängt zu klappern, dann weiß ich dass ich zuerst im Kofferraum nachschaue. Schade, dass Kia da eine Dämmung eingebaut hat, die dazu prädestiniert ist, über kurz oder lang abzugehen. Bei der offiziellen Angabe der Kofferraumliter von fast 600 sollte man übrigens bedenken, dass Kia die Staufächer unter dem Kofferraumboden mitzählt. Dennoch finde ich den Kofferraum als Familie (Eltern + 2 Kinder) ausreichend. Ab einer Geschwindigkeit von 130 km/h beginnt ein leichtes Antriebsstrang-/Karosseriedröhnen, das ab 140 km/h störend laut ist und sich mit steigender Geschwindigkeit noch verschlimmert. Hierbei spürt man die Preislücke zu Premiumfahrzeugen besonders. Ich vermute, dass für die Unterdrückung / Dämmung von Vibrationen und Geräuschen des Fahrzeugs als Gesamtsystem bei hohen Belastungen respektive hohen Geschwindigkeiten aufgrund der Komplexität der Thematik relativ viel Entwicklungsarbeit erforderlich ist. Diese Investitionen werden im Premiumsegment eben getätigt, und bei einem preiswerten Fahrzeug wie dem ProCeed nicht. |
Platzangebot vorn: | eng | geräumig | |
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Platzangebot hinten: | eng | geräumig | |
Kofferraum: | klein | groß | |
Übersichtlichkeit: | schlecht | gut | |
Qualitätseindruck: | minderwertig | hochwertig |
- + Eines der schönsten Autodesigns der gegenwärtigen Zeit
- - Sehr laut ab 150 km/h
Antrieb
Der Motor tut was er soll und verhält sich entsprechend der typischen Drehmomentkurve eines aufgeladenen Motors. Der Verbrauch liegt bei mindestens knapp unter 6 L/100km auf Autobahn und ca. 7 L/100km in der Stadt bei sparsamster Fahrweise. Nach oben hin offen, je nach Fahrweise. Das Doppelkupplungsgetriebe muss man differenziert betrachten. Die Mechanik, d.h. die Schaltvorgänge sind bezgl. Geschwindigkeit, Geräuschentwicklung und Rucke gut. Das Getiebe schaltet ruhig und flüssig. Die Logik hinter der elektronischen Schaltentscheidung ist jedoch mangelhaft. Der Klappenauspuff ist recht gut. Leider werden darüber oft sinnlose und bescheuerte Diskussionen geführt, auch hier im Forum, bei denen erbittert über die "Echtheit" oder die "Qualität" des Klangs gestritten wird. Die Vertreter der "klingt-künstlich-und-ist-Mist"-Fraktion führen immer die Diskrepanz zum Klang eines echten Sportwagens ins Felde. Das ist saudämlich. Bei dem Motor handelt es sich um einen modernen kleinen Vierzylinder mit moderner Einspritzanlage mit einem Common-Rail. Der klingt natürlicherweise nach nichts. Kein Hubraum, keine Unmenge an Zylindern, kein Vergaser, alles maximal abgeschirmt durch Katalysator und Partikelfilter... Der Klappenauspuff hat nichts weiter als ein paar kleine heiße luftige Stoßwellen, aus denen er was zaubern soll. Und das macht er ganz gut. Wenn man einen Rundgang ums Fahrzeug bei laufendem Motor macht, ist es schon ein bisschen albern. Vorne hört man das leise Tickern eines Kleinwagenmotors, und hinten hört man das tiefere Schnurren, dass Hubraum imitieren soll. Aber: es gibt definitiv schlechtere Sportauspuffanlagen. Ich war mal auf der Autobahn mit einem Opel unterwegs (allerdings mit Zubehörauspuff, nicht mit Originalsportauspuff), der hat mir so penetrant und hässlich die Ohren zugedröhnt, dass ich am liebsten an der Raststätte gehalten und das ganze Rohr eigenhändig abgerissen hätte. Es war nicht zum aushalten. |
Motorleistung: | schwach | stark | |
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Durchzug: | unelastisch | elastisch | |
Drehfreude: | zäh | agil | |
Getriebe/Schaltverhalten: | schlecht | gut | |
Verbrauch: | durstig | effizient | |
Reichweite: | gering | hoch |
- + Recht guter Durchzug mit spaßigem Sound
- - Mensch und Maschine haben nicht immer die gleiche Vorstellung vom passenden Schaltzeitpunkt
Fahrdynamik
Wendekreis: | groß | klein | |
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Beschleunigung: | langsam | schnell | |
Lenkung: | schwammig | direkt | |
Bremsen: | schwach | standfest | |
Fahrverhalten: | unausgeglichen | ausgeglichen | |
Kurvenverhalten: | unsicher | sicher | |
Wendigkeit: | träge | agil |
- + Fährt sich für seine Fahrzeugklasse recht sportlich
- - Frontantrieb halt...
Komfort
Der Komfort muss differenziert betrachtet werden: Da ich nicht genau weiß, wo ich eine Bewertung des Infotainments einordnen soll, platziere ich sie hier bei Komfort. (Das Infotainment nimmt inzwischen einen solch großen Stellenwert ein, dass es eine eigene Kategorie in diesem Bewertungsmuster haben sollte!) Unter dem Kapitel Infotainment subsumiere ich übrigens auch der Einfachheit halber im folgenden alle Fahrerassistenzsysteme (FAS). |
Federung (sportlich): | schlecht abgestimmt | gut abgestimmt | |
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Sitze vorn: | unbequem | bequem | |
Sitze hinten: | unbequem | bequem | |
Innengeräusche: | laut | leise | |
Bedienung: | kompliziert | intuitiv | |
Heizung/Klimatisierung: | schwach | wirkungsvoll |
- + Gute geformte Sitze und eine Ausstattung zum Verwöhnen
- - Sehr laut ab 150 km/h
Emotion
Das ganze Fahrzeug ist klar auf Emotionen ausgelegt. Die mathematisch perfekte Rundung des Seitenfensterbogens, das Rautengitter des Kühlergrills mit dezentem roten Einsatz, der dem ganze Fahrzeug eine raubtierhafte Optik gibt, die Sportsitze, das abgeflachte Lenkrad... Wenn man das alles akzeptiert, dann kann man sich mit ein klein bisschen Naivität fühlen, als sei man in einem Maserati Quattroporte unterwegs. |
Design: | langweilig | attraktiv | |
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Temperament (sportlich): | ausbaufähig | realisiert | |
Image: | negativ | positiv |
- + Schöner als mancher Jaguar oder Maserati
- - Einmal die Tür zugeschlagen, und der schöne Schein von Jaguar oder Maserati verpufft
Gesamtfazit zum Test
- + Sex-Appeal
- + gute bis sehr gute Fahrerassistenzsysteme
- + angemesse, halbwegs sportliche Motorleistung
- + moderater Verbrauch
- + schön ausbalancierter Klappenauspuff ohne viel Nervpotential
- + teilweise gute Haptik im Innenraum (Lenkrad, Schaltwippen, Automatikwählhebel)
- + Sex-Appeal
- + stimmiges Gesamtpaket
- + 7 Jahre Garantie (!)
- - starke Karosserieresonanzen bei höheren Geschwindigkeiten
- - Doppelkupplungsgetriebe mit unsportlich schwerfälligem Antritt
- - Doppelkupplungsgetriebe mit geringer Schaltintelligenz
- - beschissene Infotainmentprogrammierung
- - teilweise schlechte Haptik im Innenraum (Armauflage, Hartplastik)
- - schlechte Detaillösungen (Umfilzung Kofferraumschale)
- - Mittelklasse-Qualität (Fakematerialien, Knacken im Türgriff, Heckklappe nach 3 Monaten kaputt etc.)
Das berühmte Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei diesem Fahrzeug gut. Wer auf Style steht und kein Urlaubsgepäckmessi ist, wird mit dem Fahrzeug jeden Tag Freude haben. Noch sieht man das Fahrzeug sehr selten auf der Straße. Man ist nicht nur ein ästhetisches Highlight im öffentlichen Straßenverkehr, man ist auch eine Rarität! Einen Panamera sieht man derzeit häufiger als einen ProCeed GT.
Es wäre dumm, anzunehmen, dass zu dem deutlich teureren Shooting Break CLA keine Qualitätslücke klaffen würde. Den CLA im speziellen bin ich noch nicht gefahren, aber andere Mercedes-Fahrzeuge, und die Laufruhe bei höheren Geschwindigkeiten bewegt sich in einer ganz anderen Dimension. Auch gibt es weniger Fakematerialien im Mercedes.
Auch ist das Fahrzeug naturgemäß nicht für beliebig große Menschen gedacht, aber das liegt nicht an schlechter Entwicklungs- oder Produktionsarbeit, sondern am Fahrzeugkonzept. Wer mit seinem Haupthaar ans Dach stößt, muss halt auf den vier Zentimeter höheren Ceed umsteigen.
Für leicht reizbare IT-Perfektionisten ist das Fahrzeug auch ungeeignet. Die würden irgendwann das integrierte Infotainment mit den bloßen Händen rausreißen und bei 130 km/h aus dem Fenser werfen.
Für Schnellfahrer gilt ebenso: Finger weg vom ProCeed, oder setzt euch auf der Autobahn einen Baustellengehörschutz auf.
Thu Jun 09 09:27:49 CEST 2022 |
Carportparker
So muss ein Testbericht sein. Informativ, emotional und auch kleinste Details erwähnt (Filszstreifen...). So was lese ich gerne und deshalb gab es den Daumen hoch.
Das Fahrzeugmodell ist mir auch schon im Verkehr aufgefallen - aber er ist tatsächlich selten.
Allzeit gute Fahrt und ruhig Blut mit dem Infotainment System....
Thu Oct 13 19:48:48 CEST 2022 |
JohnFuel
War lange nicht online, aber danke für das Lob, Carportparker ^^
Übrigens: Nach dem ersten vorschriftsmäßigen Service ist mir eine Weile später bei der Grundreinigung des Kofferraums aufgefallen, dass die Filzstreifen fehlen. Ich muss die Werkstatt nochmal ansprechen, ob die die komplett entfernt haben, ohne mich zu fragen...