Britische Industrie kritisiert Brexit-Unsicherheit
"Bisher haben wir keine Ahnung, wie das endet"
In 9 Monaten soll der britische EU-Austritt vollzogen sein. Nur, was kommt dann? Die britische Wirtschaft kritisiert den harten Brexit-Kurs von Premierministerin May.
London - Airbus, Siemens, BMW, Jaguar Land Rover: die britische Industrie wagt sich in Sachen Brexit inzwischen aus der Deckung. Sie fordert eine Abkehr vom harten Brexit-Kurs der Regierung. Vor allem fordert sie endlich Klarheit, wie das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien aussehen soll.
Die Unsicherheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen des Handels mit der EU habe in der Autoindustrie dazu geführt, dass Investitionen im Vergleich zum Vorjahr beinahe um die Hälfte gesunken seien, teilte der Verband der britischen Autohersteller (SMMT) jüngst mit. Die derzeitige Position der Regierung mit widersprüchlichen Signalen und roten Linien gehe "direkt gegen die Interessen der Automobilbranche in Großbritannien, die vom Binnenmarkt und der Mitgliedschaft in der Zollunion profitiert hat", sagte SMMT-Chef Mike Hawes.
Die Zollunion garantiert freien Warenverkehr über Binnengrenzen hinweg. Voraussetzung dafür sind gemeinsame Außenzölle. Der Binnenmarkt sorgt dafür, dass keine rechtlichen Hürden die Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Geld und Dienstleistungen innerhalb der EU einschränken. Bislang will London aus beiden Regelwerken austreten, gleichzeitig aber den Handel so "durchlässig wie möglich" gestalten. Wie das gehen soll, ist noch ein Rätsel.
Jaguar will mehr Sicherheit
"Über die beiden vergangenen Jahre hinweg war die Wirtschaft geduldig", sagte der Chef des britischen Handelskammerverbands BCC, Adam Marshall. Jetzt sei jedoch das Fass am Überlaufen. Deutlich wird das vor allem daran, dass sich inzwischen viele Unternehmen kritisch zu Wort melden, die bisher geschwiegen haben.
"Wir brauchen dringend mehr Sicherheit, um weiter stark in Großbritannien zu investieren und unsere Lieferanten, Kunden und 40.000 Angestellte in Großbritannien zu schützen", erklärte Jaguar Land Rover am Donnerstag. Wenn der freie Handel mit der EU und der unbeschränkte Zugang zum Binnenmarkt verloren gingen, sei die Zukunft ungewiss.
Bis Ende des Sommer müsse Klarheit herrschen, sagte der BMW-Manager Ian Robertson, Ende Juni dem Sender BBC. Der Konzern besitzt die Marken Mini und Rolls-Royce und hat rund 8.000 Beschäftigte im Vereinigten Königreich. "Wenn wir in den nächsten Monaten keine Klarheit bekommen, müssen wir damit beginnen, Alternativpläne zu entwickeln." Sonst würde man Geld in Konstruktionen investieren, "die wir vielleicht nicht benötigen, in Lagerhallen, die vielleicht künftig nicht brauchbar sind".
Ghosn: "Keine Ahnung, wie das endet"
Ebenfalls stark sind in Großbritannien die japanischen Autobauer Honda, Nissan und Toyota. Die hatten bereits im Februar gemeinsam mit dem japanischen Botschafter Koji Tsuruoka bei Theresa May vorgesprochen. Wenn es sich nicht mehr lohne, die Geschäfte in Großbritannien fortzuführen, könne dort kein Privatunternehmen seine Arbeit aufrechterhalten, sagte Tsuruoka nach dem Treffen.
Toyota hatte sich zwar entschieden, die Produktion des Kompaktmodells Auris in Großbritannien zu belassen. Der Camry als Ersatz des Avensis wird jedoch künftig aus Japan kommen. Nissan-Chef Carlos Ghosn äußerte sich gegenüber der britischen "BBC" ebenfalls genervt. Der Brexit müsse ja nicht schlecht sein für die Wirtschaft. Vielleicht werde er besser als alle erwarteteten. Aber: "Bisher haben wir keine Ahnung, wie das endet. Und wir wollen keine Entscheidungen treffen, die wir in der Zukunft bereuen könnten".
Nissan hat laut der Zeitung "The Chronicle" zwei neue Modelle für die größte britische Autofabrik in Sunderland eingeplant, darüber hinausreichende Entscheidungen aber aufgeschoben. "Wenn die Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben ist, wird es einen Rückzug geben. Der mag eine Weile dauern, aber es wird ihn geben", ergänzte Ghosn.
Airbus: Zukunft gefährdet
Auch nach Angaben von Siemens wird ein EU-Ausstieg ohne Abkommen den Betrieben und Arbeitsplätzen im Vereinigten Königreich schaden. Siemens hat etwa 15.000 Beschäftigte im Land. Die Produkte reichen von Gasturbinen bis zu medizinischen Geräten. Airbus hatte im Fall eines harten Brexits ohne Abkommen mit dem Teil-Rückzug aus Großbritannien gedroht. "Einfach ausgedrückt gefährdet ein Szenario ohne Deal direkt die Zukunft von Airbus im Vereinigten Königreich", erklärte der Leiter der Verkehrsflugzeug-Produktion, Tom Williams. Falls das Land den Binnenmarkt und die Zollunion unvermittelt verlasse, würde dies zu einer "«schweren Störung und Unterbrechung" der Produktion führen.
Auch in der Finanzbranche wird die Ungeduld spürbarer. Die Bank of America kündigte kürzlich an, sie werde drei führende Mitarbeiter nach Paris versetzen, 125 sollen nach Dublin gehen. Barclays will Medienberichten 50 Jobs nach Frankfurt verlegen. Insgesamt wird befürchtet, dass bis zu 75.000 Arbeitsplätze bei Banken und Versicherungen in Großbritannien verloren gehen könnten.
Boris Johnson: Alles Mumpitz?
Ob die Brexit-Hardliner im Kabinett den Bossen zuhören? Außenminister Boris Johnson soll darauf angesprochen mit einem Kraftausdruck reagiert haben, der mit "Scheiß auf die Wirtschaft" übersetzt werden kann. Er nennt die Sorgen der Konzerne gern "Mumbo Jumbo", was so viel wie "Mumpitz" bedeutet.
Sein Kabinettskollege, der Schatzkanzler Philip Hammond, dürfte das komplett anders sehen. Am Freitag könnte sich zeigen, wer von beiden am längeren Hebel sitzt. Dann will das Kabinett sich auf einen Plan für die Nach-Brexit-Zeit einigen. Klarer Bruch mit Brüssel - oder eine möglichst enge Partnerschaft? Spekulationen, May könnte nun doch eine enge Anbindung an die EU suchen, haben das Brexit-Lager misstrauisch gemacht. Denn sicher ist nur eines: Die Uhr tickt, und am 29. März 2019 wird Großbritannien aus der EU ausscheiden, mit Abkommen oder ohne.
Schlittert das Land im kommenden Jahr ohne Abkommen aus der EU, wäre auch die bereits verabredete Übergangsphase von knapp zwei Jahren hinfällig. Am Brexit-Tag würde Chaos ausbrechen. Zölle müssten eingeführt werden, Warenkontrollen an den Grenzen wären nötig. Ein Szenario, für das weder die britischen Zollbehörden noch ihre Kollegen auf dem Kontinent gerüstet wären.
Quelle: dpa; bmt
...ganz einfach: Das Ende der Rosinenpickerei.
Und: Die EU wird auch weiterhin an Allem schuld sein... 😉
Jo!
Ach, da gibt es riesige Märkte, so in Rußland,China oder so. Aber das geht ja nicht, wir brauchen ja "Sanktionen" gegen diese Länder, um Trump in der Allerwertesten zu kriechen. Die abgehalfterte "EU" in der heutigen Verfassung braucht kein Mensch.
Es passiert doch schon jetzt. Ein großer Triebwerk-Produzent verlagert bereits elementare Bereiche aufs Festland. U.A. auch nach Deutschland. Ganz nebenbei setzt man dort mal eben 4.600 Leute an die Luft.
Airbus erwägt ähnliche Schritte an seinen Fertigungsstätten. Dort wären ca. 11.000 Mitarbeiter direkt betroffen.
Das sind nur 2 Fakten, die nicht einmal mit der Auto-Industrie in Zusammenhang stehen. Etliche andere Bereiche werden dazu kommen.
Ich bin mir nicht klar, ob man sich dort der Auswirkungen wirklich bewusst ist. Boris Johnsons Spruch passt da ganz gut rein.
Man darf gespannt sein. Ein BREXIT kennt ganz sicher KEINE Gewinner.
Warum jammern?
Es wurde ausdrücklich vor den Folgen gewarnt. Ein paar Demagogen haben ein extremen Rückschritt angeschoben, meine Meinung: kommt klar damit, man hat es so gewollt. Der Verlierer ist immer der kleine Mann/Frau. Und die Verhandlungen mit der EU zeigen, nix gelernt, immer noch auf Hardliner machen.
Ich sehe das anders die EU exportiert sehr viele Güter nach England. Warum sollte man sich von diesem Markt abgrenzen. Ich denke es läuft weiter wie bisher 😊
Wenn man einknickt, dann sendet es das falsche Signal aus. Dann heißt es: Zugang zum Binnenmarkt ohne Mitgliedschaft (und daher auch ohne Abgaben). Das würde dann schnell die Runde machen, und die nächsten die Abspringen wollen stehen schon Schlange. 🙄
Dann kann man die EU komplett vergessen. Und ich würde dieses erneute Entgegenkommen an die Briten auch als Europäer nicht sonderlich gutheißen. Die EU hat den Briten über Jahrzehnte fast alle Wünsche und Sonderregelungen erfüllt.
Jetzt ist halt Schluss damit.
@Ascender: genau so! Absolute Zustimmung.
Nun denn, man darf gespannt sein... Allerdings ist für mein Dafürhalten das Konstrukt "EU" an sich schon längst gescheitert. Es ist einfach nicht möglich, wirtschaftlich unterschiedlich starke Länder auf einen gemeinsamen Kurs zu bekommen, denn während Deurtschland beispielsweise den Öko-Vorreiter spielen will in Sachen Elektromobilität, haben andere Länder wie Griechenland, Portugal und Italien ganz andere wirtschaftliche Probleme. Polen und Tschechien als zukünftige Kandidaten kaufen alles auf, was hier billig an Euro-4/5 Dieseln ausgesondert wird, bauen fleißig weiter Atomkraftwerke und interessieren sich einen Kehricht für Energiesparverordnungen & Co. Berechtigt, wie ich meine...
Großbritannien hat hier ja eigentlich nur den Anfang gemacht und wird das erleben, was anderen Ländern noch bevorsteht. Aber davon abgesehen, einen EWR gab es schon lange vor der EU, mit relativ gleichen Vorteilen. Man hätte sich von vornherein darauf beschränken, diesen aber besser ausbauen sollen. Für Zoll und Reisefreiheit, ebenso wie wirtschaftlich enge Zusammenarbeit innerhalb der EWR-Staaten, gibt es keine Voraussetzung, die zwingend "Europäische Union" heißen muss - unter Gängelung einiger weniger, die sich einbilden, den Ton angeben zu müssen.
Man wird auch immer wieder mal das Gefühl nicht los, dass man irgendwie auf Krampf versucht, dem amerikanischen Vorbild nachzueifern, sozusagen die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, obgleich unsere Geschichte ja nun wirklich eine gänzlich andere ist. Und genau deshalb würde sowas auch scheitern.
Ich halte mich hier mal genehm zurück, aber wer weiß, so wirklich wird man heute da noch keine Prognose stellen können. Der Schuss kann nach hinten losgehen, muss aber nicht...
Aber hier mal ganz interessant abgehandelt:
Zitat: "Solange die Abstriche, die man vom kaum erreichbaren und vielleicht auch nicht um jeden Preis wünschenswerten Ideal einer Gemeinschaft von 28 oder 27 Staaten mit gleicher Währung, gleicher Wirtschafts- und Sozialpolitik, gleicher Bildungs- und Migrationspolitk machen muss, nicht die demokratische Substanz der EU betreffen, wird die EU ein attraktiver Wirtschafts- und Gesellschaftsraum bleiben. Nach wie vor ist die EU der größte Binnenmarkt der Welt. Nach wie vor übertrifft ihr Bruttoinlandsprodukt das der USA. Nach wie vor besitzt die EU die beste Infrastruktur der modernen Industriestaaten. Dass Europa schon lange nicht mehr das große leuchtende Ziel darstellt, ein Menschheitsutopia, nach dem jeder sich sehnt, liegt auch mit an seinem weltweiten historischen Erfolg. Im Zeitalter der Globalisierung ist Europa nur noch Teil der Lösung, die bei aller kulturellen Differenz die sichere und würdige, den Menschenrechten gemäße Lebensform für jeden einzelnen ermöglichen sollte und bezüglich der internationalen Konfliktgestaltung immer noch hinstreben muss zur Utopie des Kantschen Ewigen Friedens."
Wenn es kommt, müssen die Briten auf niedrigerem Niveau durchstarten. Ein Fall in den Keller ist jedoch zunächst gesetzt. Für die Reichen der Insel ist das alles nicht spürbar. Es darf dann auch einmal gerne in die Tiefe gehen:
http://www.spiegel.de/.../...er-fuer-schwimmbad-und-kino-a-933358.html
Hier ist der Fall in den Keller durchaus luxeriös.
Die Zeche werden die Angestellten der Unternehmen zahlen, die sich auf der Insel ausdünnen müssen, um innerhalb der EU an anderer Stelle tätig zu sein, wo die Prozessketten weniger kostenbelastet und somit intakter arbeiten können.
Man könnte dann aber auch argumentieren, dass ein wiedervereinigtes Deutschland gescheitert wäre, weil man wirtschaftlich unterschiedliche Länder unter einer Gemeinschaftswährung zusammengefasst hat.
Ist aber Blödsinn.
Der Unterschied ist: Die BRD hatte eine Fiskalunion, die EU hat sie nicht...
Warum ohne Abgaben? Norwegen bezahlt als nicht-EU Mitglied auch seinen Obolus an die EU um Zugang zum Binnenmarkt zu haben. Hat aber nichts in der EU mitzuentscheiden sprich nichts zu sagen. Der von den drei Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein im Rahmen des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) übernommene Teil des EU-Rechts wird als EWR-Acquis bezeichnet.
Ich glaube das kostet Norwegen jährlich irgendwas bei 1,7Mrd. Euro. Für UK wäre der Obolus deutlich teuer da größere Volkswirtschaft. Aber die wollen ja sowieso nicht...