Stickoxide: SCR-Aufrüstung auf Euro 6

ADAC: Das Twintec-System wirkt

Björn Tolksdorf

verfasst am Mon May 22 18:37:23 CEST 2017

Vor Kurzem berichteten wir über SCR-Nachrüstsysteme für Diesel-Pkw. Der ADAC hat das System nun getestet. Fazit: Umrüstung ist machbar. Aber noch lange nicht einsatzbereit.

Auf Euro 6 umgerüsteter Prototyp von Twintec: Der ADAC hat das Fahrzeug nun getestet und bestätigt im Prinzip die Wirksamkeit des Umbaus

München – Rund 13 Millionen Dieselautos in Deutschland erfüllen nicht die Euro-6-Norm. Viele Fahrer eines solchen Autos fragen sich, ob sie künftig damit noch in die meisten Innenstädte fahren dürfen? Die Gefahr ist real. In einigen Städten werden Diesel-Fahrverbote konkret diskutiert, zum Beispiel in Hamburg, München und Stuttgart.

Wie die Abgase sauberer werden können, haben wir vor Kurzem berichtet: Der Anbieter Twintec bietet eine Nachrüst-Lösung für Euro-5-Diesel, die den Stickoxid-Ausstoß effektiv senken soll. Diese Lösung hat der ADAC nun in einem von Twintec gestellten Prototypen getestet.

Bis zu 90 Prozent sauberer

Wirksamkeit des SCR-Systems: mit aktivierter Adblue-Einspritzung bleiben die Stickoxid-Emissionen fast durchgängig unterhalb des Euro-6-Grenzwertes
Quelle: ADAC

Die gute Nachricht: Die Nachrüstung der Abgas-Reinigungstechnik SCR (selektive katalytische Reaktion) zeigte sich im Test prinzipiell effektiv. Das ergaben Untersuchungen des Clubs an dem VW Passat 1.6 TDI (B7), den Twintec umgerüstet hatte. Das VW-Update für Betrugs-Diesel ist bei diesem Auto noch nicht durchgeführt worden.

Mit aktiviertem Nachrüst-System sank der Stickoxid-Ausstoß des Fahrzeugs im Test um bis zu 90 Prozent. Sowohl im künftig gültigen WLTP-Messzyklus als auch im ADAC-eigenen Autobahnzyklus erfüllte der Euro-5-Passat die Abgasnorm Euro 6, der Stickoxid-Ausstoß blieb unter dem Grenzwert von 80 mg/km.

Einschränkungen gibt es laut ADAC nur direkt nach dem Kaltstart. Hier sei laut der Entwickler das Energiemanagement noch nicht ideal abgestimmt.

Das Twintec-System besteht aus einer Dosiereinheit (Bosch), die Adblue (Harnstofflösung) gasförmig in den Abgastrakt einbläst. Weitere Komponenten wie Sensoren und Filter stammen von Continental und Volkswagen. Der Adblue-Tank befindet sich in der Reserveradmulde. SCR-Systeme wandeln Stickoxide in einem chemischen Verfahren zu Wasserstoff und Stickstoff um.

Mehrverbrauch: Fünf Prozent

Im Test verbrauchte das System rund zwei Liter der Flüssigkeit auf 1.000 Kilometer. Der ADAC schätzt, dass für einen sauberen Betrieb je nach Fahrzeug 1,5 bis drei Liter Adblue je 1.000 Kilometer notwendig seien.

Gleichzeitig steige der Stromverbrauch durch das zusätzliche technische System, so der ADAC - es benötigt bis zu 400 Watt. Da dieser Strom über die Lichtmaschine produziert werden müsse, ergebe sich ein Mehrverbrauch und damit ein erhöhter CO2-Ausstoß. Den beziffert der ADAC auf im Schnitt fünf Prozent.

Noch nicht serienreif

Trotz der erfolgreichen Tests: Serienreif ist das System noch nicht. „Systemeinbindung in das Fahrzeug (u.a. Fehlerüberwachung), Dauerhaltbarkeit und Betriebssicherheit“ seien vor einem Serieneinsatz zu klären, schreibt der ADAC. Zudem kann bei einer Überdosierung von Adblue Ammoniak in die Umwelt gelangen. Es müsse sichergestellt werden, dass dies nicht zu neuen Schadstoffemissionen führt.

Ein Serien-Motorraum sieht anders aus: Der Prototypenstatus des Fahrzeugs ist deutlich erkennbar
Quelle: Twintec Baumot
Bei dem Twintec-Prototypen fiel den Prüfern auf, dass die Start-Stopp-System den Motor nur noch selten abschaltete. Dies sei ein Hinweis, dass die „zusätzlich benötigte elektrische Energie nicht ohne weiteres bereitgestellt“ werden könne. Eine Anpassung des Energiemanagements des Fahrzeugs sei bei Nachrüstung der SCR-Technik „unbedingt notwendig“.

Bisher arbeitet der Prototyp autark von der Fahrzeugelektronik mit komplett eigener Sensorik und Steuerung. Lediglich das Abschalten des Motors wird vom Twintec-System verarbeitet.

ADAC: Nachrüstung ist möglich

Der praktische Test des ADAC bestätigt, dass ein Nachrüst-SCR-Katalysator in älteren Dieselfahrzeugen funktionieren kann. Von der Serienreife ist der Anbieter jedoch noch ein Stück weit entfernt. Ebenso wie von der Integration in beliebige Fahrzeugmodelle. Bei kleineren Fahrzeugen erwartet der ADAC Probleme mit fehlendem Bauraum.

Und was kostet das? Das kann derzeit noch niemand sagen. Die Kosten des Systems beziffert der Hersteller bislang mit ca. 1.500 Euro plus Einbau. Mit verbesserter System-Integration in die Technik des Fahrzeugs würden die Kosten mit der Komplexität zunächst einmal steigen. Über die Stückzahlen könnten sich später wieder Skaleneffekte ergeben.

Autohersteller bevorzugen bisher ein Software-Update für ihre alten Euro-5-Diesel. Auch diese Lösung bewertet der ADAC grundsätzlich positiv. VWs Nachbesserungen in Folge des Dieselskandals hätten gezeigt: Mit Software-Updates lasse sich der Stickoxid-Ausstoß eines Pkw um bis zu 60 Prozent reduzieren. Für Euro 6 würde das nicht reichen. Aber die Systemkosten wären deutlich niedriger als bei einer Hardware-Lösung.

Das Twintec-System arbeitet bisher weitgehend autark von der Motorsteuerung des Fahrzeugs und besteht aus Serien-Komponenten von Bosch und Continental sowie VW-Originalteilen
Quelle: Twintec Baumot
Wirksamkeit des SCR-Systems: mit aktivierter Adblue-Einspritzung bleiben die Stickoxid-Emissionen fast durchgängig unterhalb des Euro-6-Grenzwertes
Quelle: ADAC
Mehrverbrauch: In jedem Test lag der Verbrauch mit aktiviertem SCR-System höher. Das liegt am Stromverbrauch der zusätzlichenTeile
Quelle: ADAC
Ein Serien-Motorraum sieht anders aus: Der Prototypenstatus des Fahrzeugs ist deutlich erkennbar
Quelle: Twintec Baumot

 

Quelle: Den kompletten Test gibt es beim ADAC