Mercedes Benz /8 W114/W115 (1967): Modellgeschichte
Ein Revolutionär und Langläufer
Der Mercedes Strich 8 passte perfekt in die Zeit von Revolution und Klassenkampf: Ein schlichter statt prunkvoller Mittelklasse-Benz. Mit Motoren für (fast) alle.
Köln - Er passte perfekt in eine Zeit, die aus den gewohnten Fugen geraten war. Der „kleine Mercedes“ - von allen Fans nur Strich-Acht (/8) genannt wurde vor einem halben Jahrhundert vorgestellt - kurz vor der 68er-Revolution. Die 4,68 Meter lange Mittelklasselimousine brach mit den Konventionen - sie demokratisierte das Premiumsegment: moderater Luxus für ein Millionenpublikum anstelle von Prunk für einige Wenige. Schlichte Eleganz statt einer opulenten Flosse am Heck.
Vom Knauser-Diesel bis zum Sechsender
Die Baureihen W114 und 115 boten robuste Fahrwerkstechnik und große Motorenvielfalt. Taxifahrer und Landwirte schworen auf den fast unzerstörbaren 55-PS-Diesel im 200 D. Später wurde der Strich-Achter zum beliebten studentischen Fortbewegungsmittel und parkte neben Renault R4 oder Citröen 2 CV vor der Mensa. Konzernchefs und die Politprominenz bevorzugten die Kraft des Sechszylinder-Modells 280 E. Motoren mit bis zu 185 PS, das gab es bis dahin nur bei Sportwagen und in starken Oberklasse-Modellen. Eine elektronisch gesteuerte Einspritzanlage steckte in keinem anderen Mercedes-Modell: Die hatte nur das 150 PS starke Coupé 250 CE. In Summe bot Mercedes in diesem Modell bis zu zehn Aggregate parallel an.Ursprünglich sollte sich die Fahrzeugfront der Typen W114 und W115 unterscheiden. Für die Vierzylinder (W 115) waren quer liegende Rechteckscheinwerfer vorgesehen. Die Sechszylinder (W 114) sollten mit vertikalen Leuchten im Stil des Pagodendach-SL die Überholspur frei räumen. Stattdessen gab es beim Marktstart durch die Bank Understatement. Nur Details wie die Stoßstangenlänge verrieten die Spitzenaggregate. Keinen Neid und keine soziale Missgunst wecken - in den 1970er-Jahren eine angesagte Tugend. Der Strich-Acht-Mercedes erfüllte sie. Die Fachpresse kommentierte die Modellpallette im Einheitslook mit Bezug auf die politischen Veränderungen als „stilistischen Linksruck.“
"Stilistischer Linksruck"
Der Strich-Acht prägte die Vor-VW-Golf-Generation und erreichte bis Produktionsende 1976 fast zwei Millionen Zulassungen - mehr als alle anderen Nachkriegs-Mercedes bis dahin zusammen. Die größte Sensation gelang dem Bestseller ausgerechnet während der ersten Ölkrise, als der Benz den VW Käfer bei den Absatzzahlen überholte. Nicht einmal der brandneue Golf konnte anfangs den betagten Stern angreifen.Klar, Mercedes hielt die Limousine durch regelmäßige Modellpflegen attraktiv. Außerdem dürfte das konkurrenzlos große Motorenangebot zur anhaltenden Popularität beigetragen haben. Am Preis lag es eher nicht. Absolut gesehen gehörte der Mercedes nicht zu den günstigen Vertretern am Markt. Die Nachfrage blieb dennoch konstant hoch. Lange Lieferzeiten wurden in der Zeit des Strich-Acht zu einem Mercedes-Markenattribut. Als das letzte bestellte Modell die Werkshalle verließ, stand der Nachfolger W-123 bereits in den Mercedes-Schauräumen.
4,6 Millionen Kilometer Mit dem 240 D
Wie der schwedische Autobauer Volvo setzten die Schwaben auf Sicherheit und Langlebigkeit. Die Presse bezeichnete diesen Mercedes als „Panzer“. Es gab technische Raffinessen ganz abseits der Sicherheitsfahrgastzelle. Bremskraftverstärker und Scheibenbremsen an allen vier Rädern, das war damals noch eine Seltenheit. Die pedalbetätigte und per Zugknopf zu lösende Feststellbremse, abgekupfert vom Citroën DS. Die per Unterdruck arretierbaren Vordersitzlehnen im Coupé. Die originellen Schmetterlingsscheibenwischer. Oder ab 1973 die analog zur S-Klasse eingeführten geriffelten, schmutzabweisenden Rückleuchten.Als längsdynamisches Wunder ist der Strich-Acht nicht bekannt. Womöglich lag das an der schwachen Performance der Selbstzünder: Mehr als eine halbe Minute gönnte sich der phlegmatische 200 D, bis seine Tachonadel die 100-km/h-Marke erreichte. Die minimal kräftigeren Typen 220 D und 240 D galten ebenfalls als Wanderdünen. Die Langlebigkeit wurde zum Verkaufsargument. Ein 240-D-Taxi gilt bis heute als Mercedes mit der höchsten bekannten Kilometerleistung. Sein griechischer Besitzer legte mit dem Viertürer 4,6 Millionen Kilometer zurück. Heute steht der Benz im Stuttgarter Werksmuseum.
Der 240D 3.0 war 1974 der erste Großserien-Fünfzylinder-Diesel und galt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 148 km/h als einer der rasantesten Diesel weltweit. Für den Kaufpreis wären allerdings noble englische V8-Modelle drin gewesen. Andererseits: Der Kauf eines Strich-Acht galt damals als relativ risikolose Langzeitinvestition. Die große Zahl bis heute überlebender Modelle beweist die Richtigkeit der damaligen Annahme.
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Quelle: SP-X
Leider heftige Roster, der 220 Diesel den ich mal hatte benötigte bei 180000km schon einen halben Liter Öl auf 1000 Kilometer .🙁
Die Fahrleistungen waren so unterirdisch, es gab nur Leerlauf oder Vollgas .😊
Mir gefallen die leicht schräg aussehenden Coupes, die hatten wenigsten auch alle ein paar PS .
Das Coupe 280CE ohne B-Säule und dem Pagodendach ist heut noch herrlich schön.
Auf den beiden Alu-Dachzierleisten war ein spezieller Dachgepäckträger an 4 Nuten montierbar.
Niemehr gab es diese Lösung.
DAS Taxi schlechthin.
Auch der Satz „der Mercedes beschleunigt nicht sondern „nimmt fahrt auf““ ist legendair als Bezeichnung für seine ausgeprägte Langsamkeit. Gequalmt haben die altbackenen Vorkammer-Diesel dabei auch entsetzlich.
Wer kennt nicht DÖF: „ ...ich warte auf das brummen von ein Mercedes Diesel aber es brummt nit“ 😆
Dennoch hat er mit seinem Design Mercedes geprägt. Vor allem das schnittige Coupé ist unsterblich. Eine Augenweide.
Eine Ikone der Automobilgeschichte!
Wir hatten einen 200 D mit Automatik gehabt. War wie ein Lastesel. Sicherheitsgurte, Fehlanzeige 😆. Meine Eltern haben ihn 1974 neu aus Sindelfingen geholt. Unser Vater hat ne Anhängekupplung anbauen lassen , damit zog er uns mit dem Schlitten den Berg rauf, natürlich mit Schneeketten. Und einen großen Umzug hat er auch mitgemacht.Erst der Rost war dann mehr oder weniger das Ende.
Ein Mercedes war eigentlich in allen Eigenschaften überdurchschnittlich, beim Korrosionsschutz jedoch nie.
Das waren noch Zeiten, als einem im Stau hinter einem weißen Benz (mit schwarzer Heckpartie) vom leicht süßlichen Geruch des Vorkammerdiesels schlecht wurde 😆
In der heutigen Zeit der SUV-Geschwüre wirkt er fast schon grazil.😱 Seinerzeit war Mercedes den (meisten) Mitbewerbern meilenweit voraus, daher rührt auch der Erfolg (trotz der hohen Preise).😊
Doch gab es, bei der Pagode, sogar beim 107er SL bis 1989
Auf einem 200er habe ich meinen Führerschein gemacht. Vielleicht liegt es daran, dass ich an diese Autos keine guten Erinnerungen habe. Mein Vater hatte einen 240er T-Modell, 84 und 85 bin ich jeweils zur Überbrückung Taxi gefahren.
Bevor hier wieder alle in kollektive Verzückung verfallen:
Ich finde die Autos weder hübsch, sondern einfach den damaligen Zeitgeist gestaltet. Das Fahrwerk war weich gefedert, etwas davon würde ich mir heutzutage wieder wünschen, auf alles andere kann ich gut verzichten. Insbesondere auf die Motoren. Schadstoffstark, leistungsarm. Bei den Taxen wurde regelmäßig der Dieselruss vom Heck gewischt. In der kühleren Jahreszeit bei jedem Start die Rudolf- Diesel -Gedenksekunde...... Der unsägliche Fuß-Feststellbremsknopf..... Eine Kupplung, auf die man sich wirklich einstellen musste. Sitze, die einem das Hemd aus der Hose zogen....
Und woher das legendäre Haltbarkeitsimage kommt, ist mir ein Rätsel. Wenn ich sehe, welche Wartungsorgien damals statt gefunden haben........
Ich weiß, ich bin ein Spielverderber. Aber vergleiche ich die Anforderungen, die ein Auto heute erfüllen muss, mit dem, was gerade diese Autos liefern, fällt mir der Kult schwer.
Richtig: andere konnten es auch nicht besser. Von daher erübrigt sich eine Diskussion. Ist halt meine Meinung über die Autos dieser Zeit.
Ja stimmt, aber diese beiden Modelle hatte ich bereits mit einbezogen. Hab ja beide im Stall.
Incl. 500er 89er.
Jetzt habe ich fast 30 Jahre den Führerschein und der Strich-8 blieb immer das Auto, was ich mir nie leisten konnte. Als ich 1000DM hatte, kostete er 2000 und so weiter. Heute könnte ich schon etwas mehr auftreiben und was gibt es dafür? Trümmer und Untote. Der Wert ist auf jeden Fall beständiger als das Blech. Aber ich freue mich immer, wenn ich einen sehe.
Im Artikel wird W114 mit W115 verwechselt: Die 4- und 5-Zylinder waren die W115 und die Sechszylinder waren die W114.
Bild 5/9 zeigt keinen 230er, sondern einen 250er. Zumindest bei den Benzinern gab es erst ab dieser Motorisierung die doppelte Stossstange vorne. Beim 280er war zudem die hintere Stossstange bis zu den Radauschnitten gezogen (ich spreche von den Limousinen).
Ich wuchs als Kind und Jugendlicher mit einem 230/6 auf. Aufgrund der Fussfeststellbremse bzw. der fehlenden Handbremse, welche die Begleitperson hätte ziehen können, konnte ich meinen Führerschein nicht auf diesem tollen Auto machen (war zumindest in der Schweiz so).
Schade, dass der Meilenstein Mercedes /8 in so einer schwülstig verklärten Form geehrt wird, die so wenig mit der Realität zu tun hat. Da bei SpotPress News aber Recherchearbeit wenig Relevanz zugeschrieben wird und Kompetenz keinen hohen Stellenwert bekleidet, war wohl auch nichts anderes zu erwarten. Dass W114 und W115 vertauscht wurden passt dabei ebenso ins Bild wie wie die Überhöhung der doch sehr dezenten Peilkanten der kleinen (W110) und großen Heckflosse (W111) zu „opulenten Flosse[n] am Heck“…
@ VolkerIZ:
Ich hatte Mitte der '80er Jahre zwei /8: ein 230.6 Automatik, eine Saufziege vor dem Herrn, unter 16 l/100km ließ sich der Wagen auch bei schonendster Fahrweise nicht bewegen und einen 200D, mit dem man sich vor allem an Steigungen Überholvorgänge sehr gründlich überlegen musste. Am Hardtberg bin ich nicht an einem Tanklastzug vorbei gekommen. Beide Autos waren aber recht günstig zu bekommen, iirc habe ich für den 230.6 seinerzeit 1.600,- DM bezahlt, für den 200D exakt 200,- DM. Der Diesel ging dann später in den Schrott, den 230.6 wieder zu verkaufen gestaltete sich hingegen sehr schwierig, das Ding wollte wegen des extrem durstigen Vergaser-Sechszylinders tatsächlich niemand haben.
Nichts desto trotz würde ich mir heute eher einen W114 (ein 280E wäre toll) zulegen, als einen in meinen Augen sehr langweiligen W124…
@ JürgenS60D5:
Den /8 gab es nie als T-Modell, folglich kann Dein Vater auch keinen besessen haben. Sicher gab es den /8 auch als Bestattungsfahrzeug oder als Krankenwagen, diese Autos wurden aber auf Basis der Limousine von Spezialisten wie Binz oder Rappold aufgebaut.