Handel mit Führerschein-Punkten: Legal oder illegal?

Hauptberuf: Führerschein-Sündenbock

Sven Förster

verfasst am Mon Jun 04 18:35:05 CEST 2018

Websites bieten die Übernahme von Punkten in Flensburg und Fahrverboten an - in dem sie einen anderen gegen Geld zum Sündenbock machen. Rechtlich ist das möglich - noch.

Den Blitz eines Radars sieht niemand gelassen. Doch wenn in der Folge der Verlust des Führerscheins droht, suchen Autofahrer nach Auswegen. Führerschein-Punktehändler bieten sie - zu vierstelligen Preisen und in einer rechtlichen Grauzone
Quelle: picture alliance / Daniel Reinhardt/dpa

Berlin – „Ich übernehme Ihre Punkte und Ihr Fahrverbot“ prangt in großen Lettern auf Rene Meiers Homepage. Auf seiner Domain landen Autofahrer, die um ihren Führerschein fürchten. Weil der Punktestand in Flensburg nah am kritischen Wert von acht Zählern liegt – und das Radar unlängst erneut blitzte. Oder weil es zu einer einmaligen, aber maßgeblichen Ordnungswidrigkeit kam - die den Verlust des Lappens für ein bis drei Monate bedeutet.

In beiden Fällen gilt: Wenn nun offiziell Herr Meier am Steuer saß, ist der eigentliche Täter aus dem Schneider. Und Herr Meier lässt stattdessen sein Auto stehen. Warum der eine Übertretung zugeben soll, die er gar nicht begangen hat? Weil es sich um ein lukratives Geschäftsmodell handelt. Autofahrer bezahlen vierstellige Summen, um so rechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Herr Meier ist nicht alleine. Weder im Unternehmen (er dürfte die Strafen zum Großteil an weitere bezahlte Strohmänner dirigieren) noch auf dem Markt. Im Internet finden sich mehrere Agenturen, die einen ähnlichen Service anbieten.

Geld gegen Sündenbock, ist so etwas legal? Darüber sind sich die Juristen und Gerichte nicht einig. Im Allgemeinen sieht es so aus, als läge hier ein rechtliches Schlupfloch vor – noch. Verkehrsminister der Länder wollen die Praxis nun unterbinden. MOTOR-TALK fragte zwei Verkehrsrechts-Experten, wie groß die Chance auf ein Ende der bezahlten Punkteübernahme stehen.

1.030 Euro statt zwei Monaten Fahrverbot

Gleich vorweg: Es geht den Kunden solcher Agenturen ausschließlich darum, den Führerschein zu behalten. Günstiger als die Strafe kommt die Übernahme durch einen Dritten garantiert nicht. Wir tippen eine Geschwindigkeitsübertretung von 50 km/h innerorts in Rene Meiers Preisrechner – regulär wäre die Übertretung mit einem Bußgeld von 200 Euro (plus 30 Euro Verwaltungskosten) sowie zwei Monaten Fahrverbot belegt. Der Preisrechner zeigt eine Gebühr in Höhe von 1.030 Euro für das Geständnis des Sündenbocks. Das Bußgeld wäre bereits enthalten.

Laut Brancheninsidern wählen die Agenturen als Ersatzschuldige einen Führerscheinbesitzer gleichen Geschlechts und im ähnlichen Altersbereich wie der tatsächliche Verkehrssünder. Bei zu großen Unstimmigkeiten mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person würde die Sache sonst nicht klappen.

Wer beim KBA in Flensburg acht Punkte sammelt, muss die Fahrerlaubnis abgeben. Bei schweren Einzelvergehen ist ein Fahrverbot von bis zu drei Monaten möglich
Quelle: picture alliance / dpa / Oliver Berg

Der Sündenbock muss Schreiben

Es handelt sich ja schließlich um eine glatte Lüge. Der Geständige befand sich nicht einmal in der Nähe des geblitzten Autos. Beachten Agentur und Kunde ein paar Details, haben sie rechtlich wenig zu befürchten - selbst dann nicht, wenn der Schwindel auffliegt. Am Wichtigsten: Den Anhörungsbogen (das Formular mit den Angaben zum Fahrer) muss der Strohmann ausfüllen und einsenden, nicht der tatsächliche Schuldige. Wer jemanden fälschlich einer Ordnungswidrigkeit (wie einer Geschwindigkeitsübertretung) beschuldigt, macht sich strafbar. Doch eine Selbstbezichtigung bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Folgen, sie wäre nur bei Straftaten problematisch (Vortäuschung einer Straftat).

Freilich ist das Kraftfahrt-Bundesamt mit der Praxis nicht einverstanden. Wer sich freikaufen kann, hat wenig Motivation, sich an die Regeln zu halten. Autofahrer, die andere durch überhöhten Speed gefährden, bleiben dem Straßenverkehr so erhalten. So etwa die klassische Argumentation. Die macht auch aus Sicht der meisten Juristen Sinn.

Weder Betrug, noch Urkundenfälschung

Doch bislang klappte es dennoch nicht, den Punktehandel zweifelsfrei als illegal zu erklären. Der Tatbestand des Betruges wäre nur gegeben, wenn das KBA als Folge nicht zu seinem Geld käme – der Sündenbock zahlt allerdings die geforderte Summe. Der Vorwurf der Fälschung öffentlicher Urkunden greift ebenso wenig – unter anderem, weil das Punktezentralregister des KBA nicht öffentlich einsehbar sei, erklärt Rechtsanwalt Arndt Kempgens gegenüber MOTOR-TALK. Allenfalls sei wegen "falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft" eine Strafe zu befürchten. Doch es ist nur ein Fall (aus 2015) bekannt, in dem ein Gericht so entschied. Man könne sich in derartigen Fällen nicht an der Logik orientieren, sondern nur am Wortlaut des Gesetzes.

Neben zu hoher Geschwindigkeit drohen Fahrverbote auch bei zu wenig Abstand, Telefonieren am Steuer, Rotlicht-Verstößen und Alkohol am Steuer
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Eine Schwierigkeit, mit der sich Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf in nächster Zeit auseinandersetzen will. Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass Behörden an der Nase herumgeführt würden und dies oft auch noch sanktionslos bleibe, erklärte er gegenüber den Stuttgarter Nachrichten. Und fordert, den Punktehandel im Internet unter Strafe zu stellen.

Wie viele Punkte und Fahrverbote in der Praxis von Dritten übernommen werden, lässt sich nicht sagen. Kurioserweise entflammte die Kritik aufgrund eines Falles, der nicht nach dem typischen Modell ablief: Ein Strohmann gab den Namen einer nicht existierenden Person an. Als der Schwindel aufflog, war das Verkehrsvergehen bereits verjährt.

Wie der Punktehandel illegal wird

Wollen Minister Wolf und das KBA die „klassische“ Punkte-Übernahme unmissverständlich für illegal erklären, braucht es eine Gesetzesänderung. Keine tiefgreifenden Neuformulierungen, aber ein paar Ergänzungen. So könnten Ordnungswidrigkeiten in die Regelungen zur Selbstbezichtigung mit aufgenommen werden, stellt Verkehrsrechts-Fachanwalt Uwe Lenhart im Gespräch mit MOTOR-TALK fest. Man müsse jedoch stets bedenken, was sich der Gesetzgeber bei der ursprünglichen Formulierung gedacht habe. Die Änderungen hätten schließlich auch Auswirkungen auf Bereiche außerhalb des Straßenverkehrs.

Ein absolutes Aus der Punkte-Übernahme könnten derartige Maßnahmen nicht garantieren, sagt Lenhart. „Mord gibt es ja auch noch, obwohl er verboten ist.“ Doch Internetauftritte wie jenen von Rene Meier würde es dann wohl nicht mehr geben. Der langjährige Punktehändler heißt im wahren Leben übrigens ganz anders. So richtig überzeugt von der Legalität ihres Treibens scheinen die Punktehändler also nicht. Die gewinnträchtige Grauzone dürfte trotzdem noch eine Zeit lang Bestand haben. Die nötigen Gesetzesänderungen würden rund drei Jahre in Anspruch nehmen, schätzt Arndt Kempgens.

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Quelle: picture alliance / Patrick Pleul/dpa
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Quelle: picture alliance / Christin Klose/dpa-tmn