Tuktoyaktuk Winter Road: Fahrt auf der Eisstraße

Nach Tuk fährt man ohne ESP und mit viel Gefühl

verfasst am Sun Jan 21 07:46:21 CET 2018

Eine der längsten Eisstraßen der Welt taut ab: Die Tuktoyaktuk Winter Road im Norden Kanadas wird geschlossen. Ein letzter Ritt auf Eis, nördlich des Polarkreises.

Pannen sind auf der Ice Road besonders ärgerlich. Bei Temperaturen zwischen -25 und -40 Grad lässt es sich schwer schrauben
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de

Tuktoyaktuk – Der Fahrertürgriff des Mercedes GLE ist festgefroren. Irgendwie muss Wasser in die Mechanik gekommen sein. Jetzt, bei etwa minus 25 Grad, bewegt sich nichts. Nur der Kofferraum öffnet sich nach ein paar Versuchen knirschend. Also krabbele ich von hinten nach vorne und starte den Motor.

Kratzen wäre umweltfreundlicher. Aber so weit im Norden ist das fast nicht machbar. Mit der Motorwärme geht es zumindest nachhaltig. Bis die Scheiben frei sind und das Eis taut, vergehen ein paar Minuten. Zeit, um gedanklich die kommende Route auf der Tuktoyaktuk Winter Road in Kanada abzufahren.

Tuktoyaktuk Winter Road: Von Inuvik nach Tuk

Während der Fahrt sind wir fast allein. Wenn ein Auto entgegenkommt, ist es meist etwas Spektakuläres
Quelle: Daimler
Sie ist einmalig, führt über den gefrorenen Mackenzie River und endet in der Beaufortsee. Jahrelang verband die Winterstraße die Städtchen Inuvik und Tuktoyaktuk (kurz Tuk) mitten im Nirgendwo. Vor Kurzem eröffnete die kanadische Regierung eine ganzjährig befahrbare Straße im Osten. Grund genug, vorher die Eisstraße noch einmal unter die Reifen zu nehmen.

Das Eis hat null Grip, nur ein bisschen Schnee darauf lässt uns nicht sofort wegrutschen. Peitschender Wind drückt gegen den Mercedes GLE, schiebt ihn Richtung Fahrbahnmitte. Das Fahren auf dieser Eisstraße ist gewöhnungsbedürftig und gefährlich. Unter den Reifen liegen 80 Zentimeter bis 1,5 Meter Eis. Darunter: Wasser. Kracht es, sinken wir bis zu 1.100 Meter durch tiefe Dunkelheit auf den Grund. Keine schöne Vorstellung.

Doch genau dieser Nervenkitzel zog bisher Abenteurer und Naturliebhaber an. Die meisten nahmen die lange Fahrt über den Dempster-Highway bis nach Inuvik auf sich. Von dort bis nach Vancouver sind es schon rund 4.000 Kilometer. Das kleine Nest Inuvik selbst ist mit rund 3.400 Einwohnern zwar die größte Stadt in Kanada nördlich des Polarkreises – aber nicht die Reise wert.

Der Ort bietet bis auf ein heruntergekommenes kleines Einkaufszentrum, ein paar schäbige Cafés und Kneipen wenig touristische Höhepunkte. Die meiste Zeit des Jahres ist es hier windig und kalt. Anfang Januar sinkt das Thermometer auf minus 50 Grad. Die Durchschnittstemperatur liegt von Dezember bis Februar bei minus 30 Grad.

180 Kilometer über die Winter Road

Unter der Eisdecke (80 cm bis 1,5 m) geht es bis zu 1.100 Meter nach unten
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Das einzig Interessante an Inuvik beginnt 100 Meter hinter dem Ortskern: die Zufahrt zum Mackenzie-Fluss. 90 Kilometer geht es darauf zur Küste der Beaufort Sea, dann noch mal gut 90 Kilometer übers offene Meer. Seit den 1960er-Jahren wurde jedes Jahr das Eis geglättet, um Tuk im Winter auf Rädern erreichen zu können. In den anderen Jahreszeiten war das wegen der sumpfigen Tundraböden nur mit Schiffen oder Flugzeugen möglich.

Der GLE schiebt sich langsam über den Schnee aufs Eis, unter den Reifen knirscht es leise. Ein gefährliches Knacken hören wir zum Glück nicht. Mit Allrad und 333 PS könnten wir jetzt in sechs Sekunden auf 100 km/h sprinten, bis zu 247 km/h schnell fahren. Wenn, ja, wenn der Straßenbelag griffig genug wäre.

Doch die niedrigen Reibewerte des Eises lassen die Traktionskontrolle sofort eingreifen. Schon nach einem zarten Gasstoß blinkt die ESP-Lampe auf. So eingebremst lässt es sich kaum fahren. Ich schalte das System ab und fahre mit viel Gefühl im Fuß.

Das Eis muss glatt sein

Tuktoyaktuk Winter Road
Quelle: Daimler
Auf dem Mackenzie-Fluss gleiten wir gemächlich mit 70 km/h an Richards Island vorbei, an Rentieren und ein paar verlassenen Häusern. Boote stecken im Eis fest, warten auf den Sommer. Neben der freigeräumten Straße säumen kleine Eishügel den Weg, begrenzen die Straße auf natürliche Weise. Die Hügel stammen von Räumdiensten, die die Straße von Schnee befreien und dicke Eisklötze mit Spezialgeräten wegschmelzen. Klingt für Europäer seltsam, für Kanadier ist die Arbeit lebensnotwendig.

„Wenn auf dem Eis zu viel Druck entsteht, bricht das Eis an manchen Stellen auf. Auf der Fahrbahn kann das die Reifen zerfetzen“, sagt Polizist Nic Brame. Und einen Reifen bei minus 40 Grad zu wechseln, mache keinen Spaß. Ihm passierte das ausgerechnet an Weihnachten. Die Reifen unseres Mercedes sind deshalb extra dick. Keine Winterreifen, sondern kleine, aber festere Lkw-Reifen. Spikes sind auf der Straße übrigens verboten, die würden die Straße zerstören.

Trotz des robusten Gummis fahre ich vorsichtig, streichele das Gaspedal, lupfe lieber lange vor einer Kurve als zu bremsen, lenke geschmeidig statt ruckartig. Denn auch mit ABS steht der GLE 400 erst nach etwa 100 Metern. Auf dem Mackenzie-Fluss ist das aber kein Problem – hier herrscht meist freie Bahn. Erst nach einer knappen Stunde Fahrt kommt mir das erste Auto entgegen. Nach guten drei Stunden endet die Ice Road in Tuk.

Es geht um den Weg, nicht um Tuk

Kratzen unmöglich: Eine dicke Eisschicht und - 25 Grad Außentemperatur
Quelle: Daimler
Besonders einladend ist der Ort nicht. Viele Häuser sind unbewohnt. Die Stadt hat wie Inuvik mit hoher Arbeitslosigkeit, Langeweile und hohem Alkoholkonsum zu kämpfen. Vor ein paar Jahren stellten die Ölkonzerne ihre Bohrungen ein, es gibt fast keine Fischindustrie mehr. Auch der Tourismus hält sich in Grenzen. Die etwa 850 Einwohner verkriechen sich im Winter lieber in ihren warmen Häusern. Hinter dem Ort beginnt die Beaufortsee. Die Hälfte des Jahres ist sie zugefroren, die Oberfläche gleicht einer Mondlandschaft und unterscheidet sich vom schneebedeckten Land kaum.

Mit der Abgeschiedenheit wird es bald vorbei sein. Zwischen 2014 und Ende 2017 baute die Regierung für 300 Millionen kanadische Dollar (knapp 200 Millionen Euro) eine ganzjährig befahrbare Straße inklusive acht Brücken von Inuvik nach Tuk. Die Straße war notwendig: Die Klimaerwärmung knabbert am Eis, die feste Schicht wird dünner. Außerdem hatte sich ein internationales Konsortium um Bohrlizenzen vor der Küste beworben, um Gasfelder zu erschließen. Die ersten Bohrungen waren für 2020 geplant. Ein Moratorium der Regierung hat das allerdings vorerst untersagt.

Offiziell wird deshalb die Eisroute geschlossen, zumindest die lange Strecke nach Tuk. Der Weg über den gefrorenen Mackenzie-Fluss ins nicht minder verschlafene Nest Aklavik auf der Hälfte der Strecke bleibt weiter bestehen. Für Abenteurer, die gerne mal auf einer richtigen Eisstraße fahren wollen.

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Eine letzte Fahrt auf der Eisstraße nach Tuk: Unterwegs im Mercedes GLE 400 4Matic
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Fabian Hoberg auf der Ice Road
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
ESP aus: Der rutschige Untergrund lässt die Stabilitätskontrolle sofort regeln
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.deDaimler
Wo Schnee ist, macht ein Allradler Spaß
Quelle: Daimler
Antrengender als es aussieht: Die Fahrt auf der Ice Road erfordert höchste Konzentration
Quelle: Daimler
Schön ist es nicht so weit im Norden. Im Winterhalbjahr verkriecht sich die Bevölkerung lieber in ihren Häusern
Quelle: Daimler
Schneeschieber sorgen für eine gleichmäßige Oberfläche. Die Schneewehen am Rand ersetzen die Straßenbegrenzung
Quelle: Daimler
Noch fahren Lkws über die Ice Road. Bald nutzen sie einen Highway
Quelle: Daimler
Während der Fahrt sind wir fast allein. Wenn ein Auto entgegenkommt, ist es meist etwas Spektakuläres
Quelle: Daimler
Die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h gilt für Pkw und Lkw
Quelle: Daimler
Besonders wichtig: Die Ice Road muss glatt sein. Scharfe Kanten können Reifen aufreißen
Quelle: Daimler
Schwimmen? Nicht im Winterhalbjahr. Hoffentlich
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Unter der Eisdecke (80 cm bis 1,5 m) geht es bis zu 1.100 Meter nach unten
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Hier beginnt der Ozean. Ein seltsames Gefühl
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Zwischen den Städten Inuvik und Tuktoyaktuk liegen rund 180 Kilometer
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Tuktoyaktuk Winter Road
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Spikes sind auf der Winter Road verboten. Sie würden das Eis zerstören
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Tuktoyaktuk Winter Road
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Tuktoyaktuk Winter Road
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Mitten im Nirgendwo - aber das Navi weiß Bescheid
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Tuktoyaktuk Winter Road
Quelle: Daimler
Tuktoyaktuk Winter Road
Quelle: Daimler
Kratzen unmöglich: Eine dicke Eisschicht und - 25 Grad Außentemperatur
Quelle: Daimler
Tuktoyaktuk Winter Road
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Eingefrorene Schiffe warten auf den Sommer
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Tuktoyaktuk Winter Road
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Tuktoyaktuk Winter Road
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Tuktoyaktuk Winter Road
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Fabian Hoberg am Mercedes GLE 400 4Matic
Quelle: Daimler