Wie reagiert Seat auf Kataloniens Krise?
Seat: Stolz Kataloniens, Erbe der Diktatur
Was heute auf den Straßen vor katalanischen Wahllokalen passiert, prägt, was morgen auf diesen Straßen fährt. Das zeigt schon die Geschichte Seats. Und nicht nur die.
Barcelona – Ein großer Teil der Bevölkerung Kataloniens will die Unabhängigkeit von Spanien. Die angedachte Abspaltung vom Königreich wirft Fragen auf. Die aus automobiler Sicht brennendste ist: Wie würde der ansässige Autohersteller Seat reagieren? In Katalonien bleiben oder nach Spanien umsiedeln? Rein geographisch gehört das Unternehmen seit seiner Gründung untrennbar zu Katalonien. Doch aus historischer und politischer Perspektive könnte der Autohersteller gar nicht weiter von der um Autonomie bestrebten Region entfernt sein.
Denn zur Welt kam die Marke Seat als Prestigeprojekt der Militärdiktatur unter Francisco Franco. Und stammt somit aus einer Zeit, in der Katalonien vermutlich den stärksten Repressalien seit der Annektierung durch Spanien vor mehr als 300 Jahren ausgesetzt war. Der Faschismus prägte die ersten Jahrzehnte der Modellgeschichte. Und sorgte, lange bevor VW kam, für Seat-Modelle auf Fiat-Basis.
Adéu, Catalunya - Hola España?
Für einige Wirtschaftsexperten steht fest: Spaltet sich die Region ab, ist Seat schneller in Spanien, als die Katalanen „Arona“ sagen können. Für diese Theorie gibt es plausible Gründe: Ein unabhängiges Katalonien wäre nach aktueller Gesetzeslage nicht mehr Teil der Europäischen Union – und damit auch nicht länger Teil des Binnenmarktes. Für jedes in die EU exportierte Modelle müsste Seat Zölle entrichten. Und das wohl langfristig, denn der Weg zurück in die Union wäre für Katalonien mehr als eine Formsache. Die spanische Regierung müsste zustimmen. Aus aktueller Sicht wäre ein "Ja" aus Madrid unwahrscheinlich.Wahrscheinlich ist, dass bei Seat mindestens eine Exitstrategie in der Schublade liegt. Nach Angaben des lokalen Unternehmerverbandes "Empresaris de Catalunya" zogen sich schon 2016 einige Unternehmen aufgrund der unsicheren Lage aus Katalonien zurück. Für einen Verbleib spricht im Falle Seats, dass ein solcher Abzug kompliziert wäre.
Allein im Stammwerk in Martorell bei Barcelona beschäftigt Seat mehr als 12.000 MitarbeiterNicht nur für Belegschaft, Hallen und Fertigungsstraßen müsste der Hersteller schnell Ersatz finden. Auch der Großteil der spanischen Zulieferer, mehr als 150 große Unternehmen, sitzt in Katalonien. Darunter Größen wie Bosch, Siemens, Denso oder Johnson Controls. Viele wählten den Nordosten Spaniens wegen der Nähe zum Seat-Werk. In der Autoindustrie Kataloniens arbeiten fast 40.000 Menschen - die meisten, weil es das große Seat-Werk gibt.
Letztlich würde Seat die Entscheidung wohl auch im Hinblick auf die Lohnniveaus und Steuersätze im künftig freien Katalonien fällen. Wobei auch sicherheitsrelevante Überlegungen mitspielen dürften: Seat benötige ein "stabiles Umfeld " wird Seat Firmenchef Luca de Meo von der Badischen Zeitung im Hinblick auf den Katalonien-Konflikt zitiert. Nun ja, ein Bekenntnis zum Standort klingt anders.
Kataloniens Stolz startete als Madrider Prestigeprojekt
Die Katalanen wollen die VW-Tochter jedenfalls nicht gehen sehen, zumal Seat der größte Arbeitgeber der Region ist. Und auch, weil man stolz ist, dass der Automobilhersteller hier seit seiner Gründung fertigt. Die Wahrheit hinter der Wahrheit ist allerdings: Seat eine durch und durch katalanische Marke zu nennen, könnte in mancher Kneipe der Region zu Problemen führen. Und das hat nichts mit der nunmehr 99,99-Prozent-Beteiligung von Volkswagen zu tun.
Das bis heute in Katalonien verhasste Franco-Regime gründete 1950 die Sociedad Española de Automóviles de Turismo, kurz: SEAT. Um die Motorisierung im Land voranzutreiben, holte der Diktator mehrere Banken und den Autobauer Fiat ins Boot und wählte ein Industriegebiet nahe Barcelona als Produktionsstandort. Mehrheitseigentümer blieb der Staat. Doch der italienische Herstellerpartner prägte die erste spanische Marke in der Frühphase. Selbst das Markenlogo wurde jenem der Turiner nachempfunden.Das Modellprogramm sowieso: Das Debütmodell Seat 1400 von 1953 entsprach dem gleichnamigen Fiat. Das ursprüngliche Ziel – die breite Masse von Pferd, Fahrrad und Motorroller weg und ins Autocockpit zu holen – gelang ab 1957 mit dem Seat 600 auf Basis des Fiat Seicento. Er gilt als „spanischer Käfer“. Und trug wie dieser einen liebevollen Spitznamen, der die eigentliche Typenbezeichnung im Sprachgebrauch ablöste: La Pelotilla, das Bällchen. Nicht immer beschränkte man sich aufs Kopieren. So lieferte Seat den 127 wahlweise auch als Fünftürer aus, während es das italienische Original ausschließlich mit drei Türen gab.
Kaum Importkonkurrenz durch hohe Schutzzölle
Für Seat lief es gut am heimischen Markt. Bis Mitte der 1970er-Jahre war etwa jeder zweite verkaufte PKW ein Seat. Viele Alternativen gab es auch nicht: hohe Schutzzölle und ein geringes Maximalkontingent hielten die Importwagen aus dem Land. Seats größter Konkurrent hieß Fasa, wohinter sich Renault verbarg. Das Franco-Regime wollte dem Unternehmen unter Beteiligung des französischen Herstellers und privater spanischer Geldgeber eigentlich die Produktion untersagen. Doch als der Autobauer den Bruder des Diktators in den Vorstand hievte, konnte die Produktion des Renault-4CV-Zwillings 4/4 im Jahr 1953 starten. Den größten Erfolg feierte man mit einem Ableger des Mittelklassewagens Renault Dauphine.
Ab 1956 traten Seats adaptierte Fiat-Modelle auch gegen verkappte Land Rover an. Der Landwirtschaftsgeräteproduzent Santana hatte erkannt: Ernsthafte Offroader aus „heimischer“ Produktion gab es nicht, ländliche Straßen aber in Hülle und Fülle. Santana bot mit einem Nachbau der zweiten „Landie“-Generation eine bei Landwirten und Viehzüchtern beliebte Alternative an. Später hatte man mit dem Santana Cazorla auch einen Ableger des legendären Land Rover Defender im Programm. Während Seat und Fasa-Renault mitunter nur Bausätze ihrer Lizenzpartner zusammensetzten, soll Santana so gut wie keine fertigen Teile aus England bezogen haben.Verschärfte Konkurrenz nach Ende des Regimes
Als das Franco-Regime Ende der 1970er-Jahre zusammenbrach, wurde es für die spanischen Lizenzhersteller am Markt schwieriger. Seat musste sich nach dem Wegfall der Schutzzölle plötzlich starker Konkurrenz aus dem übrigen Europa stellen. 1980 wollte man die Marke neu strukturieren, verlangte von Fiat mehr Kapitaleinsatz.Die Folge war das Ende der Partnerschaft, Rosenkrieg inklusive: Fiat bestand nun auf Lizenzgebühren für die aktuellen Modelle – etwa den Seat Panda, Vorgänger des in Deutschland bekannteren Kleinwagens Marbella. Als die Spanier den gelifteten Ritmo als „Ronda“ vorfahren ließen und zu einem neuen Modell erklärten, zog der einstige Miteigentümer gar vor Gericht. Als stummer Zeuge der Verhandlung existiert noch ein Ronda-Exemplar mit bunten Markierungen. So hatte Seat dem Richter die Änderungen gegenüber Fiats Ritmo begreifbar machen wollen.
Zu besichtigen ist das Auto an der Geburtsstätte des ersten Seat-Modells, im einstigen Stammwerk nahe des Hafens von Barcelona. Wo heute kein komplettes Fahrzeug mehr gefertigt wird. Aktuell kommen die meisten Seats aus dem großen Werk in Martorell, etwa 30 Kilometer außerhalb der katalonischen Regionalhauptstadt. Als der gewaltige Produktionsstandort entstand, war Seat bereits Teil des Volkswagenimperiums.
Fazit: Die Politik entscheidet
Ob es die vollständige Übernahme Seats durch einen deutschen Konzern unter einer nationalistischen Militärregierung jemals gegeben hätte? Oder anders: Ob es Seat selbst ohne die Motorisierungspläne einer kruden Diktatur jemals gegeben hätte? Vermutlich nicht. Schon das zeigt: Automobilentwicklung und -produktion geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern ist abhängig von der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung.Was in drei bis zehn Jahren auf den Straße steht, kann man in den Strategiepapieren der Hersteller nachlesen. Doch wie Hersteller in Zukunft agieren, was sie anbieten und wo sie produzieren, dafür sind Wahlzettel mitentscheidend. Auch solche, die gar nicht abgegeben werden durften, wie das zum Teil beim Unabhängigkeitsreferendum der Fall war. Vielleicht sogar ganz besonders solche.
Eine spannende Sache. Und es zeigt auch deutlich auf wie Ethnienvielfältig Europa ist.
Darf man in der Vision einer völligen Einigung Völkern/Menschen ihren Selbstständigkeitswunsch untersagen?
Trostpflaster: Mutter VW wurde unter ähnlichen Umständen gegründet.... 😆
toller Artikel!
Genau so ein populistisch getriebener Unsinn wie der Brexit. Die wissen nicht einmal was die Konzequenzen von der eigenen Entscheidung sind. Die Information ist hauptsächlich populistisch, emotional und unausgewogen; einen Stammtisch ähnlich.
Vermutlich den „influencer“ trend schuldig der früher „freundliche“ Staubsaugerverkäufer erfolgreich genützt haben wie z.B. Nigel Farage
Interessant: SEAT würde wie VW auch vom Diktator gegründet.
Die VW-Gruppe hat Glück das es nur eine kleine Provinz ist und es nicht sehr wahrscheinlich ist das die sich Abspalten. Opel hatte da z.B. mehr pech.
Guter Artikel!
Guter Artikel. Wirklich.
Ja. Die Teilung von Staaten muss ebenso wie die Zusammenlegung einvernehmlich erfolgen, das sieht das Völkerrecht vor. Eine einseitige Abspaltung ist demnach das Gegenstück zu einer Annexion und ebenso verboten.
Es geht sogar noch weiter: Franco war der letzte Herrscher, der von Hitler ins Amt beholfen wurde. Er regierte noch bis 1975, das muss man sich mal klar machen.
Großbritannien will raus aus der EU. Schottland will raus aus Großbritannien. Katalonien will raus aus Spanien. Kosovo will raus aus Serbien.
Was kommt als nächstes? Bayern will raus aus Deutschland?
Eigentlich will Katalonien nicht raus aus Spanien, sondern nur eine bessere Finanzvereinbarung mit der Zentralregierung. Die Unabhängigkeitsbestrebung ist aber ein völlig untaugliches Mittel, um das zu erreichen.
Ja sicher - Bayern bestes Deutschland 😆
" Letztlich würde Seat die Entscheidung wohl auch im Hinblick auf die Lohn-Niveaus und Steuersätze im künftig freien Katalonien fällen."..............
Seat wird da gar nichts selbst entscheiden, ist ja schließlich kein freier Hersteller.
Entschieden wird das in WOB.
Und Müller und Co. werden diese Unabhängigkeitsbestrebungen so nützlich wie ein Überbein am Handgelenk empfinden.
Das deutsch-deutsche Deutschland?
Ich würde mal sagen ne kunterbunte Promenadenmischung aus Fiat Ritmo, Skoda Favorit und Golf I. 😉
Joo, Bayern sollte raus aus Deutschland!
Die 6 Milliarden €, die Bayern jedes Jahr an die anderen Bundesländer zahlt, kämen dann wenigstens den eigenen Bürgern zugute, dann könnte Merkel zukünftig alleine den Rest v. Deutschland ruinieren. 😉
Sehe ich auch so. Sollte es tatsächlich zu einer Abspaltung kommen -was ich ausschliesse- dann wird das Druckmittel durch abfliessende Wirtschaftsunternehmen auf den Kopf gestellt und Katalonien vielleicht in schon 10 Jahren das Armenhaus der iberischen Halbinsel. Ein Jammer, welche Verwerfungen damit angerichtet würden. Wesentlich für den Erfolg eines europäischen Staates ist heutzutage die Mitgliedschaft in der EU. Und die wird es nicht geben und sei es nur deshalb, weil sich Spanien bis zuletzt (zu recht) der Zustimmung verweigert.
Puigdemon ist am besten Wege schon bald geteert und gefedert durch Barecelona gejagt zu werden, wenn die aktuell noch euphorischen Anhänger erst mal erkennen, welche Auswirkungen ihre Schnappsidee der Unabhängigkeit hat und er nicht zeitnah einlenkt. Vielleicht reicht ein kleines Häppchen aus Madrid um ihm das Gesicht zu wahren und dieses absurde Spiel zu beenden. Hoffentlich erkennt er wann er überzieht und es auch das nicht mehr gibt.
In der Nachkriegszeit hat das Ruhrgebiet maßgeblich Bayern getragen und den Wiederaufbau finanziert. Jetzt ist es eben umgekehrt. Finde dich damit ab. Wenn es nach dieser Logik ginge, dann könnte man ja auch wieder darüber diskutieren freie und unabhängige Städte auszurufen. Denn die tragen ja schließlich die meiste Wirtschaftsleistung. Die Bauern drumherum können ja froh sein, wenn sie ihre Produkte da verkaufen können. Flickenteppich, wie im Mittelalter. Absoluter Rückschritt aus egoistischen Gründen. Denken die Leute wirklich so kurz? Vergesst die Frage. Sie war rhetorischer Natur.
Naja, die Partei dazu gibt's nicht nur, sie hat auch tatsächlich eine lange Tradition. Nur findet die Bayernpartei kaum Zustimmung. Ob das gut oder schlecht ist lasse ich jetzt mal dahingestellt, ich persönlich würde sie jetzt auch nicht wählen.