Mercedes Simplex 40 (1902): Fahrbericht, Technik
Unterwegs im ersten richtigen Auto
Mit dem Mercedes 35 PS baute Daimler das erste richtige Auto. Leider hat kein Exemplar überlebt. Aber der Nachfolger: Unterwegs im 115 Jahre alten Simplex 40.
Nizza – Oldtimer haben was – und das ist so ganz anders als bei modernen Autos. Ohne Elektronik und Schnickschnack, ohne nerviges Gepiepe und oberlehrerhafte Warnungen fahren sie los. Ein Mercedes Strichacht oder W123 begeistert viele Mercedes-Fans noch heute, auch ein W124. Die bieten Klassiker-Feeling mit annähernd zeitgemäßem Komfort.
Aber ein Vorkriegsauto? Wer damit etwas verbindet, ist heute meist tot. Das gilt erst recht für Autos vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Trotzdem lohnt sich ein zweiter Blick, denn dieser Mercedes Simplex 40 von 1902 ist etwas ganz Besonderes in der Automobilgeschichte.Der Mercedes Simplex 40 ist der direkte Nachfolger des Mercedes 35 PS von 1900. Des ersten Autos nach heutiger Vorstellung also: quasi ein leichtes Facelift, oder im Mercedes-Sprech: die gemopfte Version. Optisch gibt es zwischen dem 35 PS und Simplex 40 kaum Unterschiede. Vom Mercedes 35 PS wurden 29 Fahrzeuge gebaut, überlebt hat keines. Der Nachfolger Simplex 40 verkaufte sich ein paar hundert Mal, von ihm existieren noch ein paar Autos. Eines davon besitzt das Mercedes-Museum, das es ab und zu auf die Straße lässt.
Der erste Kühler, das erste Auto
35 PS und Simplex 40 sind deshalb besonders, weil sich Daimler damit von Kutschenbau und motorisiertem Dreirad verabschiedete. Erstmals kam ein Vierzylinder mit Kühler und geschlossenem Kühlsystem zum Einsatz. Rund 8.000 Vierkantröhrchen vergrößern im Bienenwabenkühler die Kühloberfläche und senken die Motortemperatur.
Erst mit dieser Erfindung des Konstrukteurs Wilhelm Maybach konnten größere Motoren mit hoher Drehzahl unter der Haube ohne Probleme arbeiten. Dazu steuern Nockenwellen Ein- und Auslassventile – bis dahin zog Unterdruck beim Einsaugen die Schnüffelventile herunter.Durch diese Steuerung steigerte sich die Leistung erheblich, der Gaswechsel erfolgte schneller und genauer. Über die offene Schaltkulisse lassen sich fünf Gänge einlegen, darunter ein Rückwärtsgang. Das Differenzial gleicht in Kurvenfahrten die Geschwindigkeiten der Räder aus. Technik, die im Grundsatz noch heute zur Anwendung kommt.
Der schmalere und stabilere Rahmen aus Pressstahl senkt den Schwerpunkt im Vergleich zur Kutsche deutlich ab, dadurch fährt das Auto sicherer und dynamischer. „Der erste Mercedes war ein echter Quantensprung, hier wurde das Potenzial der noch neuen Erfindung erstmals konsequent umgesetzt“, sagt Gerhard Heidbrink, Mercedes-Benz-Classic-Archivar.
Mercedes Simplex 40: Vor dem Fahren kommt das Kurbeln
Hinter dem Wabenkühler sitzt ein Vierzylindermotor mit 6,8 Litern Hubraum und 45 PS bei ca. 1.100 Umdrehungen pro Minute. Bei Vollgas fährt der 1,2-Tonnen-Mercedes 75 - 80 km/h – damals auf nicht asphaltierten Straßen. Damit zählte der Simplex zu den schnellsten Autos seiner Zeit. Eine Rennversion schaffte sogar 110 km/h.
Doch bevor der Motor läuft, heißt es ankurbeln. Dazu müssen Piloten den Benzinhahn aufdrehen, Benzindruck per Hand aufbauen, die Zündung am Lenkrad auf sehr spät stellen und eine Kurbel in die Hand nehmen. Sie sitzt auf dem 40 Kilogramm schweren Schwungrad, das direkt mit der Kurbelwelle verbunden ist.Es braucht dicke Oberarme und viel Schwung, bis der warme Motor läuft. Erst nach fünf Versuchen gelingen zwei nacheinander folgende Umdrehungen mit der Kurbel, und der Vierzylinder startet. Die Ventile schnattern, die Karosserie schüttelt sich. Mit ein bisschen mehr Handgas am Lenkrad und früh eingestellter Zündung beruhigt sich das Auto.
Die eigentliche Herausforderung folgt nun: Anfahren und schalten. Statt drei Fußpedalen besitzt der alte Mercedes deren vier, zwei davon sind für die Bremse. Dazu kommen zwei Hebel rechts neben dem Fahrer: ein Schalthebel und noch einer für die Bremse.
Ein echter Supersportwagen
Ein Gangwechsel läuft wie folgt ab: Kupplung treten, Gas weg, Gang raus, Kupplung loslassen, Kupplung wieder treten, Gang fest einlegen, Kupplung loslassen und Gas geben. Und zwar schnell. Der Vierzylinder stampft wie ein Schiffsmotor aus dem unteren Drehzahlbereich los, schüttelt die vorderen Kotflügel durch und versetzt das kleine, dicke Holzlenkrad in kräftige Vibration.
Bis zu rund 1.000 Umdrehungen dreht der Motor hoch, dann folgt der nächste Gang – geschaltet wird nach Gehör, einen Drehzahlmesser gibt es nicht. Die Zündung bleibt auf früh, die rechte Bremse tabu. Besser ist es, nur mit links zu bremsen oder gleich die Handbremse zu nehmen. Denn die rechte Bremse schnürt das Gas ab – und noch mal Ankurbeln muss nicht sein. Unverzichtbar während der Fahrt ist der ständige Blick auf die zehn Tropfengläser. Durch sie läuft das Öl an einzelne Schmierstellen des Motors als Verlustschmierung, dank Gravitation ganz ohne Pumpen. Laufen die Gläser leer, kann der Motor trocken fahren. Das wäre teuer.„Der Simplex 40 war zur damaligen Zeit ein technisch anspruchsvolles Auto und ein echter Supersportwagen“, sagt Archivar Heidbrink. Autos waren vor 115 Jahren noch seltene Spielzeuge für Reiche. Um ihre Autos in Szene zu setzen, starteten Herrenfahrer Anfang des vergangenen Jahrhunderts vor allem bei Rennen wie dem Bergrennen La Turbie, einer kleinen Gemeinde oberhalb von Monaco.
Auf etwa fünf Millionen Euro schätzen Experten den Wert dieses Simplex 40. Trotzdem ist dieser Meilenstein der Automobilgeschichte für viele Oldtimerfans uninteressant. Nicht nur, dass das Auto unerschwinglich ist. Vor allem stresst es bei der Fahrt. Und Oldtimer fahren sollte doch eigentlich Genuss bereiten.
Mercedes Simplex 40: technische Daten
- Motor: Vierzylinder-Benziner, vorn längs
- Hubraum: 6.785 ccm
- Leistung: 45 PS bei 1100 U/min
- Höchstgeschwindigkeit: 75 - 80 km/h
- Getriebe: Viergang manuell, nicht synchronisiert
- Radstand: 2,45 Meter
- Antrieb: Hinterrad
- Gewicht: 1.250 kg
- Wert: ca. 5.000.000 Euro
Wunderschön!
Schöner Bericht über einen faszinierenden Meilenstein der Technik.
Ein Traum. Aber schalten nach Gehör ist auch 115 Jahre später für die Besitzer billiger Autos aus fernost noch Alltag 😆
Mit 80km/h auf diesen schmalen Reifen über holprige Wege fahren!😱 Na, Prost Mahlzeit - da wurde/wird man ja ganz schön durchgeschüttelt - hoffentlich hat man zuvor nicht eine opulente Mahlzeit eingenommen!🙄
Interessant die simple Technik, insbesondere das Schauglas für die technisch einfachen Schmierung!
... und das Schalten mit Zwischengas war ja noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts nicht unüblich - bei (meinem) Lkw sogar bis Anfang der 90er Jahre (war ein Fuller-Getriebe).
Lesenswerter Bericht!
Dann ist also ein Porsche 911 oder der VW Käfer kein Auto nach heutiger Vorstellung?
Denn 4 Räder und einen Heckmotor hatte auch Victoria und Velo. Oder zählen die nicht in die Mercedes Historie, weil die Firma damals noch nicht Mercedes Benz hieß?
Aber ich muss zugeben, dass ich diesen kleinen Ausflug auch gerne gemacht hätte. So ein altes Fahrzeug zu bewegen ist schon was besonderes
Schick, wären die Autos von heute auch so schön, aber warten wir mal bis 2132😆😆😆😆😆
an immer mehr autos sparen sie auch anzeigen der betriebsmittel & da muss ich nicht weit aus dem südwesten deutschlands richtung osten schauen 😆
Soweit ich weiß existiert noch ein Mercedes 35PS im Mercedes Benz -Museum.
Wenn in den Diskussionen hier im Forum einmal wieder der Vorwurf hochkommt, der eine Autobauer hätte vom anderen abgeschaut, dann bitte dies hier als Grundlage nehmen. Danach hatten alle Autos vier Räder, ein Lenkrad, einen Motor... 😆
Faszinierende Technik, wenn man bedenkt wie alt das Ganze ist.
Danke für den Bericht.
Kein Wunder, dass sich später die Elektroautos sogar recht gut verkauften (1910er und 1920er). Waren sie doch einfach bedienungsfreundlicher als die Vebrenner zu jener Zeit.
Schlimm, diese Zwangsgedanken ... da lese ich über eine Ikone deutscher Ingenieurskunst, eine wahre automobile Preziose, gefertigt um die vorletzte Jahrhundertwende ...
... und schon sucht meinen vulgären Geist die Frage heim, welche Fabelzeit der Mercedes wohl auf die Quartermile brennt?
Ohoh hoffentlich bläßt der nicht zu viel Feinstaub aus
Meine Vermutung: überhaupt keinen.