Autonomes Fahren bei PSA Peugeot Citroën

Zwei Lenkräder statt keinem Lenkrad

Björn Tolksdorf

verfasst am Mon Jun 26 12:41:19 CEST 2017

Ein paar Kilo Sensoren und Kabel, der Mensch als Risiko Nummer eins: Zusammen mit MOTOR-TALKer GaryK haben wir in Paris die autonome Technik des PSA-Konzerns ausprobiert.

Autonomie für alle, verspricht PSA: Das Programm startet in den aktuellen, neuen SUV des Konzerns und soll ab 2020 richtig Fahrt aufnehmen
Quelle: PSA & MOTOR-TALK

Paris – Autos, die von selber fahren. Daran arbeiten alle Hersteller, während die meisten Autofahrer noch mit der Perspektive fremdeln: Bei der Fahrt schlafen, lesen oder gar nur noch mit Sondergenehmigung selbst steuern dürfen? Wollen wir das? Vermutlich wird uns niemand fragen. Schritt für Schritt geht die Technik in die Serienfahrzeuge ein: Spurhalteassistenten, adaptive Tempomaten, Echtzeit-Navis, Umfeldsensoren. Die Politik strickt parallel den Rechtsrahmen.

So konkret all das oft klingt: Bisher wird der Fahrer nur in Tests und Prototypenfahrten phasenweise ersetzt – entweder durch ausgebildete Testfahrer oder ausschließlich auf abgesperrten Strecken. Als bisher einziger Autohersteller in Europa darf PSA Peugeot Citroën auf öffentlichen Straßen normale Autofahrer hinter das Steuer autonom fahrender Prototypen setzen. Das wollen die Franzosen heute zeigen.

MOTOR-TALKer GaryK hinter dem linken Steuer des Prototypen. Level 3, Level 4? "Können wir alles simulieren", erklärt der Techniker hinter dem rechten Lenkrad
Quelle: MOTOR-TALK
Zum Ortstermin nach Paris haben wir MOTOR-TALKer GaryK mitgebracht. Er fährt privat ein 15 Jahre altes Auto und deaktiviert bei seinem aktuellen Dienstwagen stets zuerst den Spurhalteassistenten. Das geht diesmal nicht, denn zum Start will PSA die Assistenten im aktuellen Serienstand demonstrieren. Bereit steht ein Peugeot 5008 mit allem Autonomen, das PSA derzeit anbietet. Danach geht es in die Prototypen der nicht mehr so fernen Zukunft.

MOTOR-TALKer GaryK ist eher der kontrollierende Autofahrer und behält die Hände in Habacht-Stellung: Dem Spurhalteassistenten im aktuellen Peugeot 5008 vertraut er nicht. Der überfährt durchgezogene Linien und erinnert auch sonst in mancher Situation an einen überforderten Autofahrer. Der adaptive Abstandstempomat dagegen überzeugt ihn: „Ich würde weniger defensiv fahren, aber das kann man so machen“. Alles andere wäre auch traurig, bei aktuellen Großseriensystemen.

Noch zwei Lenkräder, bald keins mehr?

Die Zukunft steckt in einem Vorfacelift-Citroën C4 Picasso. Der Van bietet genug Platz für das Rechenzentrum im Kofferraum. Über das Infotainment haben die Techniker einen großen Tablet-Computer gebastelt. Kabel verschwinden zwischen den Blenden in den Eingeweiden des zerkratzten Armaturenbretts. Work in progress. Irgendwann könnten autonome Autos einmal keine Lenkräder mehr haben, dieser Prototyp hat zwei davon. Sicher ist sicher.

Es fährt: der Computer. Stur folgt der Versuchsträger dem Vorderwagen und mittig seiner Spur, vertrauenerweckend wie ein grau melierter Chauffeur. Das fühlte sich beim Serien-Spurhalteassistenten eben deutlich wackeliger an. Wechselnde Tempolimits auf der französischen Landstraße werden zuverlässig erkannt, und zwar nicht nur von der Frontkamera: PSA hat diese Straße kartografiert und kennt die Schilder, bevor sie im Blickfeld auftauchen. Ganz schön autonom.

Die Serientechnik soll unter 10 Kilo wiegen, im Prototyp ist PSA noch ein Stück weit davon entfernt
Quelle: PSA
Noch nicht so autonom: Will der Fahrer ein neues Tempolimit an den Tempomaten übergeben, muss er es manuell bestätigen. Ein Feature, das die aktuellen Peugeot-SUV bereits beherrschen. Denen fehlt aber eine intuitive Bedienung, findet GaryK. Das Fummeln am Tempomaten nervt ihn. Beim Prototypen hat PSA einen auffälligen Knopf in die Lenkradtasten integriert. Viel besser, allerdings braucht der Versuchsträger dort auch keine Tasten für Telefon und Hifi.

Zum Überholen fordert das Auto den Fahrer auf, der muss dann den Blinker betätigen und einen Knopf am Blinkhebel drücken. Auch hier sieht GaryK Luft nach oben: Per Komfortblinker funktioniert das nicht. Auch eine "Toleranz" haben die Ingenieure nicht in den Tempomaten programiert. Ist Tempo 90 erlaubt, fährt das Auto nicht 95 km/h.

Der „Faktor Mensch“

Was bezweckt PSA damit, normale Autofahrer in Prototypen zu setzen? Man glaubt, dass professionelle Testingenieure nur beschränkt den „Faktor Mensch“ abbilden. „Natürlich wird ein Ingenieur konzentriert fahren und das Steuer übernehmen, wenn ihn der Bordcomputer dazu auffordert“, sagt uns ein PSA-Mitarbeiter. Ein Gast (kein MOTOR-TALKer) habe jedoch in einer solchen Situation erst mal ausgiebig nach der Autofahrerbrille genestelt.

Das Umschalten zwischen Konzentration auf den Verkehr und „Wegschauen“ birgt Potenzial für Unfälle. Auch die Bedienung der Technik erschließt sich nicht jedem Autofahrer sofort. Bei einer anderen Testperson musste der PSA-Ingenieur ins Lenkrad greifen. Der Fahrer hatte nicht mitbekommen, dass der Computer die Kontrolle abgab.

Neue Elektro-Architektur

PSA nennt sein Programm für autonomes Fahren „Autonomes Auto für Alle“. Ein Postulat, die Technik schon bald auch jenseits des Premium-Segments in die Großserie zu bringen. „Sicher, intuitiv und für jedermann zugänglich“ sollen die neuen Features sein. Aktuelle Modelle ermöglichen Level-2-Autonomie, also eine Fahrassistenz. Im Detail fällt PSA hier noch hinter deutsche Anbieter zurück: Einen Stauassistenten gibt es nicht. Der Spurhalteassistent funktioniert ab 65 km/h, der Abstandstempomat deaktiviert sich, wenn das Fahrzeug zum Stillstand kommt.

Ab 2020 soll das anders laufen. PSA entwickelt eine komplett neue Bordelektronik namens NEA (New Electronic Architecture). Die soll echte Autonomie ins Auto bringen und muss hohe Anforderungen an Datensicherheit erfüllen. Etwa durch eine Firewall, eine Verschlüsselung und das Erkennen von Angriffen von außen.

PSA testet die Technik in großen Citroën-Vans: Da passt das Rechenzentrum am besten in den Kofferraum
Quelle: MOTOR-TALK
Wie Audi oder BMW setzt PSA auf die allgemein anerkannten Grundlagen autonomen Fahrens: Erstens eine umfassende Sensorik, zweitens hochgenaue Karten und drittens Kommunikation zwischen Fahrzeugen. Dafür entwickeln die Hersteller einen gemeinsamen Standard. Die Algorithmen zur Verknüpfung dieser Daten wollen die Franzosen einkaufen, die Systemintegration dagegen selbst entwickeln. Angestrebt wird eine totale Redundanz der Systeme für größtmögliche Sicherheit. Dafür wird derzeit die ISO 21434 entwickelt.

Recht und Regularien: Viel Nachholbedarf

Audi wird im neuen A8 erstmals autonome Funktionen auf Level-3-Niveau in Serie anbieten. Da überrascht, dass PSA den Serieneinsatz solcher Technik nicht durch die 2014 erfolgten Änderungen an der Wiener Konvention von 1968 gedeckt sieht. Die Regularien für das Verkehrswesen müssten weiterentwickelt werden, ebenso wie die Infrastruktur: Fahrzeuge, Straßen, IT-Netze, Übertragungsmedien.

Anpassungsbedarf sieht PSA auch im Regelwerk für die Homologation von Fahrzeugen: Erwartbar seien deutlich längere Testverfahren, da sich viele Features nur in konkreten Situationen testen ließen.

Und dann ist da noch die Frage: Wer ist verantwortlich bei einem Unfall? Die Entschädigungsfrage sieht man bei PSA weniger kritisch, das Fahrzeug brauche ja weiterhin eine Versicherung. Verursache es einen Unfall, müsse diese zahlen. Ob das auf den Halter zurückfalle oder der Hersteller in Regress genommen werde, sei wie schon heute eine Einzelfallentscheidung. „Und dann gibt es ja auch noch die Produkthaftung“.

Problematisch wird es bei der Bestrafung von Vergehen. Wenn einem Menschen Schuld nachgewiesen werden kann, kann der zwar zur Verantwortung gezogen werden: Der „Fahrer“, der trotz Aufforderung nicht rechtzeitig eingreift. Oder der Halter. Oder der Hersteller. Autonome Autos speichern so viele Daten, da sei ein Nachweis kein Problem. Im Einzelfall könne die Ermittlung aber sehr aufwändig sein. Denn auch der Datenschutz redet mit.

Viele Fragen bleiben weiterhin offen. Werden diese Fahrzeuge überhaupt in größerer Stückzahl Privatkunden gehören oder besitzen sie Mobilitätsanbieter wie Uber und Car2Go? Auch PSA will gern ins Geschäftsfeld der Mobilitätsdienstleister einsteigen. Gibt aber auch zu: „Wir kennen die nächsten Entwicklungsschritte und viele Fragen. Was aber genau nach 2020 passiert, wissen wir nicht“, heißt es. Nur eines weiß PSA schon recht genau: 7 bis 10 Kilo Mehrgewicht verursacht die autonome Technik im Schnitt. „Ein paar Sensoren, Kabel … das ist nicht viel“.

Dieser Fahrer wurde dazu aufgefordert, während der Fahrt etwas anderes zu tun: Die Elektronik hält den C4 Picasso sicher in der Spur
Quelle: MOTOR-TALK
PSA testet die Technik in großen Citroën-Vans: Da passt das Rechenzentrum am besten in den Kofferraum
Quelle: MOTOR-TALK
MOTOR-TALKer GaryK hinter dem linken Steuer des Prototypen. Level 3, Level 4? "Können wir alles simulieren", erklärt der Techniker hinter dem rechten Lenkrad
Quelle: MOTOR-TALK
Man fühlt sich durchaus sicher, wenn der Computer steuert. Er weiß auch, was hinter der nächsten Kurve für Verkehrsschilder stehen
Quelle: MOTOR-TALK
Perfektes Englisch beherrscht der französische Bordcomputer noch nicht. Aber er empfiehlt, einen Überholvorgang einzuleiten
Quelle: MOTOR-TALK
Vom Design schon etwas ausgefeilter: Cockpit auf Peugeot-3008-Basis
Quelle: PSA
Irgendwann brauchen autonome Autos keine Lenkräder mehr - das hier hat zwei. Sicher ist sicher
Quelle: PSA
Die Serientechnik soll unter 10 Kilo wiegen, im Prototyp ist PSA noch ein Stück weit davon entfernt
Quelle: PSA
Sensoren sollen die Verkehrssituation rund um das Auto erfassen
Quelle: PSA