Mon Dec 25 11:33:23 CET 2017 | Luke-R56 | Kommentare (4)
Aufmerksame Leser kennen das Auto, um das sich dieser etwas längere (und bilderintensivere - Galerie!) Artikel drehen wird. Die Hard Facts: Mercedes-Benz 230TE, Baureihe 124, mit EZ ´89 beinahe im Oldtimeralter. Und trotzdem alles andere als müde... Ihr erinnert euch sicher, dass ich den T, informell Ulla genannt, zusammen mit FR-Maddin und MaxC280 im Februar mit mehr Beulen als Kilometern für sehr kleines Geld gekauft habe. Seitdem hat das gute Stück Dänemark, Schweden, Norwegen, Österreich, Italien, Frankreich, Andorra und Spanien gesehen. Ich greife hier einmal ein wenig voraus - der Benz lief trotz heftiger Strapazen auf der Rallye München-Barcelona einwandfrei und nach wie vor ohne Reparaturen. Nicht übel, aber noch nicht gut genug. Ich hatte nach Abschluss meines Studiums ein bisschen Zeit – also warum nicht noch ein Trip, warum nicht noch das Glück ein bisschen mehr ausreizen?
Es begab sich zu der Zeit, dass ein sehr guter Freund von mir auf Praktikum in Cambridge war. Cambridge kann man sich durchaus mal anschauen, und wenn man schonmal dort ist, dann hängt man am besten gleich einen Rundtrip durch das Königreich dran. Wir waren uns sehr schnell sehr einig, wie dieser ablaufen sollte – frei, spontan, viel in der Natur. Die Sache war geritzt. Eine Matratze im Kofferraum verwandelte unseren Kombinationskraftwagen in einen einwandfreien Camperwagon, und damit waren die Vorbereitungen auch schon erledigt – nun ja, fast:
So brach ich Anfang August aus dem schönen Altmühltal auf mit Kurs Nordwest. Ausgestattet mit Schlafsack, Campingstühlen, Kugelgrill, und jeder Menge Musik und Hörbüchern ging es los; die Stimmung war gut. Bis etwa Kilometer 100. Plötzlich versagte der Scheibenwischer im strömenden Regen komplett seinen Dienst. Auf dem Weg nach Barcelona könnte man vielleicht damit leben, aber nach England wäre das schon sportlich… 5 Minuten Fummelei auf dem nächsten Rastplatz später war wieder alles in Butter – nur die entsprechende Sicherung musste mit der Nagelfeile ein wenig blank geschliffen werden. Es wurde auch ohne weitere Zwischenfälle noch ein langer Tag, bis ich an der Nordseeküste in Ostende, Belgien, am Seitenstreifen Feierabend machte. Bei prasselndem Regen und den letzten Sonnenstrahlen machte ich es mir im Kofferraum bequem. Und bequem war es tatsächlich! Die Vorfreude auf die nächsten zweieinhalb Wochen Kombicampen war groß.
Am nächsten Morgen ging es zeitig los, nach einer knappen Stunde Fahrt war ich in Calais, und zwei weitere Stunden darauf landete die Fähre auch schon in Dover an. Die Insel empfing mich bei bestem Wetter, und ich konnte mich überraschend schnell an den Linksverkehr gewöhnen. Am frühen Nachmittag kam ich in Cambridge an, wir tourten noch ein wenig durch den Campus und die Stadt, und nach dem ersten Pubbesuch verbrachten wir noch eine sehr edle Nacht in einer Suite der Uni. Mit Frühstücksbuffet und allem, was dazugehört. Wir sollten uns lieber nicht daran gewöhnen… Am Tag darauf fuhren wir gen Norden, machten hier und da Stopps, wo wir gerade Lust dazu hatten, und erreichten bald unser Ziel, den Peak District Nationalpark. Wir ließen uns noch ein bisschen vom Wind ausbeuteln, und zogen uns bald mit einem Cider in die Schlafgemächer zurück – bei phänomenaler Aussicht.
Irgendwo in England... Peak District
Der folgende Tag verging ähnlich. Es zog uns an den Hadrian‘s Wall und schließlich in den Kielder Forest, wo wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit den Midges, den vermutlich nervigsten aller Stechmücken, machten. Tags darauf war es dann so weit, wir erreichten das eigentliche Ziel unserer Reise: Schottland! Und es empfing uns standesgerecht. Wir fuhren in Northumberland, England, in ein kleines Waldstück, und als wir auf der schottischen Seite wieder herauskamen, waren die Straßen nur noch halb so breit. Dafür wimmelte es von nun an von halbfreilaufenden Schafen – man könnte es sich nicht besser ausdenken. Ach, muss ich erwähnen, dass es passenderweise kalt und regnerisch war? Den Großteil des Tages verbrachten wir aber in Edinburgh, einer traumhaft schönen Stadt. Es ging auf den Arthur‘s Seat, um die grandiose Aussicht zu genießen, und ins Getümmel des Straßenfestes, das hier den ganzen August dauert. Wunderbar! Wir wären gerne länger geblieben, allerdings hatten wir uns für die folgenden zwei Nächte auf Empfehlung einer Freundin hin im etwas weiter nördlich gelegenen Perth einquartiert. Also Abflug!
Am nächsten Tag, frisch geduscht und durch ein ordentliches Breakfast gestärkt, erkundeten wir diese ebenfalls sehr hübsche Stadt am River Tay, wo es das Wetter noch einmal richtig gut mit uns meinte. Nach einem Rundgang und einem Besuch im Stadtmuseum deckten wir uns für die nächsten Tage mit Vorräten ein, und speisten noch einmal hervorragend in einem Steakhaus direkt am Fluss, bevor uns der Weg weiter nach Norden führte. A propos Speisen, zum nächsten Mittag gönnten wir uns Wraps mit Thaicurry, stilecht auf dem Auspuffkrümmer warmgemacht. Zwischendurch stand ein Abstecher zum Loch Ness auf dem Plan. Was soll man sagen, viele Touristen, aber spektakulär ist anders. Also schnell weiter. Zum Abend schlugen wir an einem kleinen Stausee ein Lager auf, und warfen uns Süßkartoffeln und Lammsteaks auf den Grill – ein Fest! Die Nacht auf einer Parkbucht an der A road war ein bisschen weniger edel, aber wenn man den ganzen Tag auf den Füßen war, schläft man überall gut.
Perth Irgendwo in Schottland...
Mittlerweile war ich schon eine Woche unterwegs, der Trip verging wie im Flug. Zeit, endlich an die Küste zu fahren! Von nun an folgten wir im wesentlichen der North Coast 500, einer Panoramastraße rund um die schottischen Highlands. Es ging nach John o‘Groats, den Nordostzipfel, sowie Dunnet Head, den nördlichsten Punkt dieser wunderbaren Insel. Und es zeigte sich, mit der Panoramastraße hatten die Schotten nicht übertrieben. An einem herrlichen kleinen Strand (hier schon einmal vorgestellt), mit Schafen direkt am Meer und dem Sonnenuntergang im Hintergrund fast ein wenig zu kitschig, bauten wir wieder unseren Grill auf und genossen die Seeluft. Leider flohen wir schon bald vor den Midges, die hier unglaublich aggressiv waren, ins Auto – es wäre sonst vermutlich zu schön gewesen. Als Geologen mussten wir am nächsten Morgen einen Halt am Rock Stop Café einlegen, und von dort an ging es schon wieder in Richtung Süden.
Wir ließen uns natürlich die Isle of Skye nicht entgehen, die mit ihren weiten Gletschertälern landschaftlich tatsächlich noch einmal einen draufsetzte, aber auch hier war uns wieder ein bisschen zu viel touristischer Betrieb, und zu regnen hatte es auch wieder begonnen. Dafür war später im Glen Coe wieder beste Stimmung. Und ein bisschen Zeit hatten wir auch rausgefahren, also konnten wir uns einem kleinen Sidequest widmen: in einem der vielen Nebentäler wurde eine sehr bekannte Szene aus 007 Skyfall gedreht. Mit dem Screenshot auf dem Smartphone und einer vagen Idee, wo der Platz sein sollte, machten wir uns auf die Suche – und wurden fündig!
Mit dem idealen Souvenirfoto im Gepäck verließen wir Schottland bald darauf, durchquerten Wales über Conwy, dem britischen Monaco, vorbei am Snowdon, dem höchsten Berg des Landes, und den Wasserfällen von Pistyll Rhaeadr. Und was soll man sagen – das kleine Wales, an das wir wenige Erwartungen hatten, stand den großen Brüdern England und Schottland landschaftlich nicht nach. Der Höhepunkt war unsere Nacht in dem Küstenstädtchen Fishguard, wo wir einen denkwürdigen Abend in einem original walisischen Pub verbrachten (dem Fishguard Arms – große Empfehlung!), gemeinsam mit der holländischen Punkband De Fuckups – mit denen wir später sogar unser Hostelzimmer teilten. Und nein, das haben wir uns nicht ausgedacht!
Nachdem die Köpfe nach einem Strandspaziergang am nächsten Morgen wieder klar waren, wurde uns schmerzlich klar, dass unser letzter voller Tag in UK angebrochen war. Zum Abschluss wollten wir uns noch die Südküste ansehen. Über die erschreckend kurze Cheddar Gorge erreichten wir die Durdle Door, eines der Postkartenmotive schlechthin, verbrachten noch eine letzte Nacht im Kofferraum, und steuerten am nächsten Morgen wieder Dover an. Nachdenklich und wehmütig wanderten wir über die Kreidefelsen, bevor es noch einmal auf die Fähre ging. Zum Abschluss unserer Reise entspannten wir uns noch zwei Tage in Brügge, erfreuten uns an fettigem Essen und den hübschen Belgierinnen. Es war fast wie in einem verdammten Märchen oder so (wenn ihr den Film ‚Brügge sehen… und sterben?‘ nicht kennt, das war ein Wink!).
Das Fazit: Mit ein paar kleinen Schlucken Öl und ein paar großen Schlucken Benzin bringt einen ein W124 zuverlässig überall hin. Er taugt nicht nur als Reisemobil, sondern auch als einwandfreier Rallyewagen und Camperwagon. Zum Schluss unserer Eskapaden standen pannenfreie 18.000 km mehr auf dem Tacho. Wir sind ausgesprochen stolz auf unsere Ulla, die jetzt in elfter Hand irgendwo zwischen Dresden und Berlin ein neues Zuhause als Daily Driver und Zugmaschine gefunden hat. Uns bleiben unterm Strich wunderbare Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen. Und das feste Vorhaben, nächstes Jahr wieder dort anzuknüpfen.
Stay tuned!
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Tue Dec 26 21:07:47 CET 2017 | Trontir
Fernweh-Alarm! Wundervoller Artikel und noch schönere Fotos. Danke für dieses Weihnachtsgeschenk!
Wed Dec 27 15:42:40 CET 2017 | Luke-R56
Das liest man gerne!
Fri Dec 29 14:26:43 CET 2017 | Standspurpirat24226
Sehr schöner Artikel!
Die fette Heckscheibe von dem T-Modell ist natürlich geil zum rausschauen, wenn man hinten liegt - fast wie eine Kinoleinwand.
Da packt einen echt das Fernweh. Ich war zwar schon in Cambridge und in Cornwall, aber so eine richtige England-Rundreise mit dem eigenen Auto würd mich auch mal reizen. Leider hab ich die denkbar schlechteste Karosserievariante für solche Zwecke in der Garage stehen - ein Stufenheck. Würd sicher auch irgendwie gehen, aber da jedesmal hinten einsteigen und mit den Beinen in den Kofferraum "einfädeln" - hmm.... Müsste man mal probieren
"ich konnte mich überraschend schnell an den Linksverkehr gewöhnen."
Okay, interessant zu hören! Gab es mit dem Linkslenker-Benz irgendwelche kritischen Situationen (beim überholen z.B.?). Wir hatten damals in Cornwall einen Vauxhall - also Opel - Zafira Tourer mit Handschaltung als Rechtslenker. Anfangs war das ganze doch sehr ungewohnt, da es der linke Arm nicht gewohnt ist, zu schalten, und der rechte wiederum nicht, nur auf der Armablage zu liegen. Nicht selten bin ich auf die Beifahrerseite (für "uns" die Fahrerseite) eingestiegen und hab mich gewundert, wo denn das Lenkrad ist.
Sat Dec 30 10:44:18 CET 2017 | Luke-R56
Danke!
Wir waren meistens eher entspannt unterwegs - ich denke, auf der ganzen Reise habe ich keine 5 Autos überholt. Man sieht aber oft auch auf den kleinen kurvigen Straßen sehr weit, das ist kein Problem gewesen. Gerade mit Beifahrer
Da ich sonst im Alltag recht wenig fahre, hatte ich nach dem Trip eher das Bedürfnis, in Deutschland auch links zu fahren als andersrum... die Straßen in UK sind generell recht deutlich markiert, sodass da eigentlich nix passieren kann. Nur auf Parkplätzen vertut man sich ab und zu
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