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Mercedes E-Klasse W210/S210: Ramschware oder echter Benz? - Der Mercedes mit dem schlechten Leumund

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Qualitätsprobleme, verkorkstes Design: Der Mercedes W210 hat keinen guten Ruf. Doch die Fangemeinde wächst. Ist die E-Klasse der Neunziger vielleicht doch ein gutes Auto?

Alexander Schmidt sollte den 270 CDI für seinen Vater verkaufen, konnte sich aber nicht von dem Wagen trennen Alexander Schmidt sollte den 270 CDI für seinen Vater verkaufen, konnte sich aber nicht von dem Wagen trennen Quelle: Alexander Schmidt

Von Haiko Prengel

Berlin – Tachos lügen nicht, außer sie wurden manipuliert. Aber warum sollte Alexander Schmidt den Kilometerstand seines Mercedes 270 CDI verstellen, sein Auto würde ohnehin niemand kaufen. Oder doch? Der 28-jährige Brandenburger fährt ein T-Modell der Baureihe 210 – und nicht nur Kenner der Marke wissen: Kaum ein Daimler hat einen mieseren Ruf als der Zweizehner.

Dabei könnte der Kilometerstand ein Qualitätskriterium sein: Die astronomische Zahl 630.000 steht in seinem S210 auf dem Zähler. Unter der Haube läuft noch immer der Original-Motor. „Ich bin erst durch dieses Auto zum Mercedes-Fan geworden“, sagt Schmidt.

Das ist erstaunlich. Der im Jahr 1995 eingeführte W210 wird immer dann genant, wenn es um den angeblich größten Schmu in Daimlers Modellgeschichte geht. „Der rostet schon im Katalog“ oder „Geh weg mit Deinem teigigen Vieraugengesicht“ – auf kaum ein anderes Auto wird so gerne und heftig eingedroschen wie auf Daimlers E-Klasse der Neunziger Jahre.

Mercedes W210: Rostprobleme und Vieraugen-Gesicht

Mit seinem geliebten 210er überquerte Schmidt schon die Alpen und tourte mit seinen Freunden durch Kroatien Mit seinem geliebten 210er überquerte Schmidt schon die Alpen und tourte mit seinen Freunden durch Kroatien Quelle: Alexander Schmidt Vor allem wegen Rostproblemen hatte der Benz schnell seinen Ruf als Grotte weg. Da lässt man lieber die Finger von. Dazu sagt man dem 210er Elektronikprobleme und minderwertige Materialien als Folge des konzerninternen Sparzwangs nach. Und eben das für damalige Verhältnisse moderne, aber gewöhnungsbedürftige Design: runde, weich wirkende Karosserielinien und die markanten vier Frontscheinwerfer, deren Streuscheiben nach einigen Jahren vergilbten.

Doch so ein Weichei kann der Mercedes W210 nicht sein. 16 Jahre nach Produktionsende sind noch immer viele Exemplare auf den Straßen unterwegs. Der 270 CDI von Alexander Schmidt rollte 2001 vom Band, ein Facelift-Modell nach der großen Modellpflege von 1999. Der Brandenburger war elf Jahre alt, als er seinen Vater begleitete, um den Kombi persönlich aus Sindelfingen abzuholen. „Auf dem Weg nach Hause ist mir schon aufgefallen, wie viel Platz der hat“, erinnert er sich.

Vater Schmidt nutzte den Wagen 14 Jahre als Geschäftswagen für seine TV-Produktionsfirma. Das bedeutete viele Kilometer zu den Drehorten. „Leider Gottes hat der Benz beizeiten angefangen zu rosten“, sagt Alexander Schmidt. Los ging es mit der Heckklappe, die Daimler noch auf Kulanz tauschte. Später tauchte auch an den Radläufen Korrosion auf – vorne wie hinten. Einmal riss sogar die Federaufnahme ab, nachdem sie durch Rost geschwächt war. „Die Entrostung war immer sehr teuer“, sagt Schmidt. Dafür habe die Technik, insbesondere der Motor, tapfer gehalten.

Der Benz fährt wie auf Schienen

Radläufe, Türunterkanten, Schweller: Es gibt eigentlich keinen Bereich, wo der 210er nicht rosten kann Radläufe, Türunterkanten, Schweller: Es gibt eigentlich keinen Bereich, wo der 210er nicht rosten kann Quelle: Alexander Schmidt 2015 entschied sich sein Vater dann, den 270 CDI abzustoßen, damals standen 579.000 Kilometer auf der Uhr. Seinen Sohn Alexander beauftragte er, den Wagen zu verkaufen. „Doch weil ich den Mercedes so schön fand, entschloss ich mich, ihn zu behalten.“ Wenige andere Autos böten solch ein Platzangebot, findet der 1,85 große Metalldreher. Er liebt das großartige Fahrgefühl und den Komfort. „Das Auto fährt wie auf Schienen, auch bei hohen Geschwindigkeiten“, schwärmt Schmidt.

Inzwischen haben auch andere die Vorzüge erkannt, es gibt sogar Fan-Gruppen. Der „Mercedes W210 Club Germany“ hat auf Facebook knapp 2.500 Mitglieder. Dort werden Treffen organisiert und man hilft sich gegenseitig mit Tipps und Ersatzteilen. „N‘abend“, schrieb neulich ein Mitglied. „Wie viele km haben eure 210er momentan auf der Uhr?“ „Läppische 265.000“, antwortet einer. Und ein anderer: „300.000 mit einem E420 und 800.000 mit einem 220 CDI.“ Es gibt aber auch Liebhaber-Modelle, so hat der Fahrer eines E200 von 1998 erst 73.000 Kilometer mit seinem Schätzchen abgespult.

2.500 Mitglieder, so viele Mitstreiter hat Joe Guindo noch nicht. Aber immerhin 220. Der Berliner ist Gründer der „Benz Buddies“. Die Gruppe versteht sich als Zuhause aller Sterne-Begeisterten aus der Hauptstadt und Umgebung. Auffallend viele Mitglieder der Benz Buddies fahren Mercedes W210. Warum? „Weil er viel Auto für wenig Geld bietet“, erklärt Guindo. Er selbst hat erst vor ein paar Wochen einen E 420 von 1997 für 1.600 Euro gekauft. Der Achtzylinder mit 279 PS war damals das Top-Modell (nur übertroffen von den AMG-Versionen). Die Maschine M 119 stammt noch vom Vorgänger W124.

Mercedes E 420 mit V8-Motor und 279 PS

Auch die Alufelgen sind nicht original, sollen dem 420er aber einen etwas dynamischeren Auftritt verleihen Auch die Alufelgen sind nicht original, sollen dem 420er aber einen etwas dynamischeren Auftritt verleihen Quelle: Haiko Prengel „Der E 420 ist 124er Technik in neuem Kleid“, sagt Joe Guindo, der auch einen 300 CE aus den frühen Neunzigern besitzt. Und Unterstatement pur: Äußerlich ist die 420er-Limousine kaum vom biederen 200er zu unterscheiden. Der Achtzylinder säuselt bloß und klingt alles andere als krawallig. Doch wie die 400 Newtonmeter den 1,7-Tonner anschieben, ist immer noch beeindruckend.

„Besonders auf der Autobahn-Auffahrt lässt man den ein oder anderen Vertreter-Pampers-Bomber mit kleinvolumigem Turbo-Traktoren-Antrieb in der Größe eines Anlassers noch locker stehen und zoomt sich entspannt auf zügige Reisegeschwindigkeit“, sagt Guindo. Abgeregelte 250 km/h sind maximal möglich, aber es geht auch entspannt. „Tempomat bei 130, 140km/h rein und dann rollen lassen - ein echtes Reiseauto eben.“ Auch der Kofferraum lade geradezu dazu ein bei einem Volumen von 520 Litern.

„Der Benz ohne Lobby“ schrieb „Auto, Motor und Sport“ einmal über den ungeliebten Zweizehner. So ganz stimmt das nicht mehr angesichts der wachsenden Fan-Gemeinde, die der W210 heute anzieht. Wird aus ihm vielleicht doch noch einmal ein Youngtimer oder gar ein begehrter Klassiker? Marius Brune von der Sachverständigenorganisation Classic Data aus Bochum ist da skeptisch: „Das Tal ist nicht verlassen und vom angesehenen Youngtimer ist der Mercedes W210 noch weit entfernt.“ Man sehe ihn eher als 'runtergekommenen Gebrauchtwagen - „in seinem Stammrevier beim Fähnchen-Händler“.

Reichlich Platz und opulente Ausstattung

Für 299.000 Kilometer Laufleistung wirkt der Innenraum recht gut in Schuss Für 299.000 Kilometer Laufleistung wirkt der Innenraum recht gut in Schuss Quelle: Haiko Prengel Doch was beim Fähnchen-Händler steht, muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Design und Formensprache hin oder her - „auch wenn er für viele von außen kein Benz ist, so ist er ist es definitiv von innen“, findet E420-Fahrer Joe Guindo. Die Platzverhältnisse seien ganz alte Mercedes-Benz-Schule – der Innenraum sei großzügig gestaltet und gut verarbeitet. Hinzu komme bei seinem 420 eine für das Jahr 1997 opulente Ausstattung: angefangen bei der Sitzheizung über die elektrische Sitzverstellung mit Memoryfunktion bis zum elektrischen Heckrollo.

Guindos Prognose: „Der W210 wird seine Hochzeit noch erreichen und bald anfangen teurer zu werden.“ Momentan bekomme man viel Auto für wenig Geld. Mit der ein oder anderen Reparatur habe man dann sogar lange Zeit Ruhe. „Wertvoll werden mit hoher Wahrscheinlichkeit alle V8 (420,430) und die AMG-Modelle (E50, E55, E60), möglicherweise noch die Sechszylinder (280,320, 320 CDI, 300 TD).

Alexander Schmidt unterstreicht das. Auch wenn sein 270 CDI ein Fünfzylinder ist. Ein Wunderauto sei der W210 beileibe nicht, sagt er. Aber wenn man das Auto pflege und immer schön dem Rost hinterher sei, stehe einer langen Freundschaft nichts im Wege – zumal die Teileversorgung nach wie vor ausgezeichnet sei, betont der Brandenburger Mercedes-Fan. Mit den nachgerüsteten AMG-Felgen sieht sein alter 210er mit der astronomischen Laufleistung sogar richtig schick aus.

Zusätzlich trieb Schmidt bei einem Kfz-Verwerter eine zweite Rückbank auf, jetzt ist sein T-Modell ein stattlicher Siebensitzer. Wegen der Kinder? „Ich habe keine Kinder“, sagt Schmidt und lacht. „Bloß viele Freunde.“ Und alle möchten sie im gemütlichen Mercedes Zweizehn mitfahren.

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