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Berlins ungewöhnlichste Taxis: Mercedes S 600 (1995)
Von Haiko Prengel
Berlin - Das wohl fetteste Taxi Berlins, vielleicht der Republik, wartet auf dem Olympischen Platz auf uns. Das passt gut, denn dieser Mercedes ist wirklich großer Sport und sammelte einst Goldmedaillen in einer ganzen Reihe von Disziplinen. „Das war vor 22 Jahren die Spitze des deutschen Automobilbaus“, sagt Klaus-Dieter Nürnberg beinahe ehrfürchtig.
[bild=3]Der Berliner kutschiert seine Fahrgäste mit einem Mercedes S 600 der Baureihe W140, Baujahr 1995, durch die Hauptstadt. Markenzeichen der Luxuslimousine: ein sechs Liter großer Zwölfzylinder mit 394 PS. Die Langversion ist ausgestattet mit Leder, Klimaautomatik, Doppelverglasung, beweglicher Rücksitzbank und allerlei mehr. Neupreis damals: satte 224.000 Mark. Für so viel Geld hätte man auch ein Haus bauen können. Wer braucht so ein Super-Taxi? Klaus-Dieter Nürnberg muss da nicht lange überlegen: Er selbst braucht ihn. „Ich fühl' mich einfach wohl in der Hütte!“, meint er lapidar.
Leider zahlen die Gäste nicht mehr
Nun ist ein S-Klasse-Taxi an sich schon etwas Ungewöhnliches zwischen vielen E-Klassen und einigen Prius und Dacia Duster. Klaus-Dieter Nürnberg fährt dagegen mit einem Mercedes S 600 vor. Meist hält er am Taxistand am U-Bahnhof Neu-Westend und wartet auf Kundschaft.
Seine Fahrgäste zahlen natürlich keinen Cent mehr als in Allerwelts-Taxis. Doch er habe keine Wahl gehabt, sagt Nürnberg und schmunzelt. Seine Frau fahre privat auch 140er mit V12 - als Coupé. „Deshalb wollte ich auch einen Zwölfzylinder.“ Das hat seinen Preis: regelmäßige Besuche an der Zapfsäule, unter 20 Litern Verbrauch geht mit dem Über-Daimler nichts im Stadtverkehr. Eine alte Weisheit unter Mercedes-Fahrern gilt immer noch: Wer S-Klasse fährt, muss auch S-Klasse-Preise bezahlen. „Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gearbeitet“, sagt Nürnberg.
Die 600 steht beim W140 nicht nur für sechs Liter Hubraum, sondern auch für den Superlativ bei der Zylinderanzahl. Mit dem S 600 bot Daimler-Benz Anfang der 1990er zum ersten Mal eine Limousine mit zwölf Töpfen an. Eine Reaktion auf den Wettbewerber BMW, der 1987 mit dem 750i E32 das erste deutsche Auto der Nachkriegszeit mit V12 auf den Markt gebracht hatte.
Der W140 wirkt heute wie ein Relikt der Bonner Republik. Helmut Kohl ließ sich gerne in der Zweitonnen-Limousine chauffieren, weshalb das Auto auch gerne „Der Dicke“ genannt wurde. „Viele sagten auch Panzer“, erinnert sich Klaus-Dieter Nürnberg. Dabei ist der S 600 alles andere als ungestüm. Elegant gleiten wir mit dem Super-Benz durch Berlin-Westend.
[bild=12]Wenn man will, kann das Dickschiff aber auch sprinten. Zur Demonstration drückt der Taxifahrer einmal das Gaspedal nach unten, und wir donnern über den Olympischen Platz wie ein Elefant auf Speed. Brachiale 570 Newtonmeter Drehmoment drücken den Fahrgast in die Ledersitze, fast wie bei einem Sportwagen.
Anfällige Elektronik
Die meisten Leute werden im Laufe der Jahre vernünftiger. Klaus-Dieter Nürnberg wollte sich zum Karriereabend noch einmal richtig was gönnen. Seit 1961 fährt der gelernte Kaufmann Taxi, seit 1962 als Selbständiger mit eigenem Auto. „Ich kann nicht mit Vorgesetzten“, erklärt der Berliner. Sein erstes Taxi war ein Mercedes Ponton, später folgten ein Ford Taunus „Badewanne“, ein Opel Kapitän, Mercedes Heckflosse und Strichacht sowie ein W123. Den 123er fuhr Nürnberg 13 Jahre und spulte 700.000 Kilometer mit ihm ab. 1993 kaufte er sich dann seine erste S-Klasse: einen W140 mit Sechszylinder-Diesel. Auch den fuhr Nürnberg zwölf Jahre, heute stehen 850.000 Kilometer auf dem Tacho. Nürnberg hat diesen W140 bis heute behalten, weil er ihn so schätzt.
Den 600er fand der 78-Jährige vor einem Jahr bei einem Händler in Stahnsdorf, als Japan-Reimport, mit nur 96.000 Kilometern Laufleistung. 10.500 Euro sollte die S-Klasse kosten „ein echtes Schnäppchen“, betont Nürnberg. Denn Reparatur- und Wartungsstau konnte der Taxifahrer bei dem Wagen nicht entdecken. Automatisch schließende Türen, Einparkhilfe, diverse Fahrassistenten: Für den W140 ließen sich die Ingenieure wunderbare Dinge einfallen, um den Insassen das Einsteigen und die Fahrt so bequem wie möglich zu machen. Doch im Alter fängt diese komplexe Elektronik, die für das Hightech-Feuerwerk notwendig ist, häufig an zu spinnen.
[bild=6]Ein Beispiel: Der W140 von Nürnbergs Ehefrau lief bei 80 Grad Motortemperatur wie am Schnürchen, doch bei 100 Grad sprang der Wagen ständig ins Notlaufprogramm. Ein Dreivierteljahr dauerte es, bis die Ursache für den Defekt gefunden war: Nach 300.000 Kilometern war die Lagerung einer Drosselklappe (der S 600 hat zwei Drosselklappen) hinüber. Ein anderes Mal nahm der W140 plötzlich kein Gas mehr an. Nach einer Motorrevision hatte die Werkstatt vergessen, die Sicherung für das elektronische Gaspedal zu kontrollieren.
„Ja, mit dem Auto meiner Frau hatten wir viel Ärger“, sagt Klaus-Dieter Nürnberg. Der Vorteil: Inzwischen hat er sich im Selbststudium so viel Wissen über den S 600 angeeignet, dass er den nächsten Jahren relativ gelassen entgegenblickt. Der 78-Jährige hat nicht vor, seinen Lieblingsberuf als Taxifahrer so bald aufzugeben. Denn nach über einem halben Jahrhundert auf dem Bock hat Klaus-Dieter Nürnberg mit seinem W140 V12 endlich sein Lieblingsauto gefunden: „Dieser Wagen ist einfach mein Lebenstraum!“
Technische Daten: Mercedes S 600 Lang (1994-1998)
- Motor: V-Zwölfzylinder-Benziner
- Hubraum: 5,987 cm³
- Leistung: 394 PS (290 kW)
- Getriebe: Vier- oder Fünfgang-Automatik
- 0-100 km/h: 6,6 s
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h (elektronisch abgeregelt)
- Verbrauch: ca. 15,0 l/100 km
- Leergewicht: 2.190 kg
- Länge: 5,213 m
- Breite: 1,886 m
- Höhe: 1,482 m
- Radstand: 3,165 m
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137 Antworten
Zitat:
...
Seine Frau fahre privat auch 140er mit V12 - als Coupé...
...
„Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gearbeitet“, sagt Nürnberg.
Wie meinte ein Taxifahrer (Doppelschichten und nebenbei Studium) zu mir:
Zitat:
Gedankt hat´s mir meine Frau, indem sie mir fremdgegangen ist!
Aber wenn der Wagen gut dasteht, kein Wertverlust, ist der Verbrauch doch fast nebensächlich...
Dass man damit anders fährt als in einem "Neuwagen" ist doch logisch, allein die Sitze... ja, der hat wenigstens noch Flair...
Bei den modernen Karren ist´s mir letztlich recht egal, ob ich in einem Prius, einem Touran oder einer E-Klasse sitze. Recht sicher und komfortabel sind sie alle. Harte Bänke mit Kunstleder, straffes Fahrwerk, Beschleunigung von rund 10 Sekunden auf 100 km/h... "mitfahrtechnisch" Einheitsbrei...
Warum man allerdings bei den heute verfügbaren Alternativen noch in "Traktoren" mitfahren muss... wenn eben die heimische Industrie keine Alternative bietet...
So zuverlässig wie ein aktuelles dsg Getriebe
Kann ich gut verstehen das er den W140 so schätzt. Hatte für ein paar Jahre einen W140 400SE und es war glaube der beste Wagen den ich je besessen habe was Euro-Marken so anbetraf. Vorallem das Raumgefühl war super. Daher war es normal, dass ich mich im nachfolgenden Skoda Superb ein wenig unwohl fand. Probleme mit der Elektronik hatte ich nie, nur die Pumpe für die ZV ist mal ausgestiegen aber das war schnell repariert. Ich stimme #1 zu, die Sitze waren einfach sehr gut. Kein Wagen, außer der Ford Econoline mit seinen Captain-Chairs, konnte mir je wieder so eine gute Sitzposition anbieten.
Hallo Alle!
Eine sehr schöne Geschichte. Taxifahrer sind immer noch die besten Auto- / Mercedes-Tester.
Dass der W 140 für den Mann ein Lebenstraum ist, verstehe ich vollkommen. Es ist auch mein (erfüllter!) Lebenstaum. Damals war er das beste Auto der Welt, von der Konzeption, wenngleich die Qualität an vielen Stellen noch besser hätte sein müssen.
Auch heute noch kommt vom Fahrkomfort und Platzangebot!!! an den W 140 bzw. W 140 Langversion = V 140 (fast) nichts heran. Selbst die aktuelle S-Klasse W 222 bzw. V 222 hat nicht dieses Platzangebot bzw. Raumgefühl.
Der W 140 und noch mehr der V 140 (natürlich mit Serienfahrwerk und Serienrädern /"Felgen" 16 Zoll ohne Verbastelung) schwebt dahin wie ein fliegender Teppich.
Wenn man nicht unbedingt den neuesten Elektronik-Klimbim braucht, ein Auto ohne "Wenn und Aber" auch heute noch.
Doppelscheiben mit Luftspalt, Kugelumlauflenkung, Parametrische Serolenkung, Fahrwerksfedern stützen sich an Fahrschemeln ab (subframe chassis) und nicht an der Karosserie - das wurde später sofort bei allen Baureihen der S-Klasse wieder "vereinfacht"/abgespeckt, spezielle Anpassung der Gurthöhenverstellung, riesige Scheinwerfer mit gigantischer Lichtausbeute, spezielle Scheibenwischer mit sehr hoher Wischabdeckung, Doppel-ABS, Elektronik in separater Box zusammengefasst und dort klimatisiert, Kardanwelle mit ca. 10-12 cm Durchmesser! Sitze und Fahrgefühl nicht von diese Welt usw. usw.
Ich wüßte auch heute noch nicht was ich mir als gleichwertigen Ersatz hinstellen sollte. V 222... schön aber nicht das Raumgefühl, Bentley Mulsanne? - nicht ganz die Platzverhältnisse, exorbitante Unterhaltungskosten usw.
Aber Vorsicht! Der Wagen ist anfällig. Mindestens 95-99 % aller Exemplare heute haben erhebliche und teuere Mängel. Wer so eine Mercedes S-Klasse - Ja, ich meine noch Mercedes S-Klasse. - fahren will und keine X-Hand-Klapper-Gebrauchtmöhre, sollte nur für das vernünftige Herrichten viele Zehntausend EURO rechnen (ca. EUR 30' bis 60') + immer viel Geld in der Hinterhand für auftretende Reparaturen. Das so ein Wagen nach 20+ X Jahren keine Mängel hat, glaube ich nicht. Die haben alle viel bis auf vielleich 1-2 %. Damit sind wir noch nicht bei einer Komplettrestauration (strippen bis auf die Rohkarosse und Neuaufbau), um auf Note 1 zu kommne. Die kostet ca. > TEUR 300 + Fahrzeugbasis. .... Da muß ich noch viel sparen.
Viele Grüße
Jörg H. und Blau Bär ( V 140, S 500 L im absoluten Liebhaber-Topzustand; Classic Date Note 2+)
Wenn es ein Auto aus USA oder besser Canada wäre, würde ich es sofort glauben. Was mich an der Variante "Japan" stutzig macht, ist die Position des Lenkrades, das ist (für Japan) auf der falschen Seite platziert. Ausser der Innenraum wurde umgebaut - was ich aber bezweifle.....
In Japan ist es üblich Luxuswagen mit dem Lenkrad auf der linken Seite zu fahren. Es gilt als Statussymbol dort einen europäisches Fabrikat mit dem Lenkrad auf der "falschen" Seite zu kaufen.
Da sehen ja Fahrer und Auto noch ganz Frisch aus! Würde mir ja schon wünschen das bei mir wenigstens halbwegs normale und Stilvolle Taxifahrer unterwegs wären... Hätte man was schön an der Ampel zu begutachtet
Zitat:
@Meini1976 schrieb am 7. Oktober 2017 um 10:01:18 Uhr:
Wenn es ein Auto aus USA oder besser Canada wäre, würde ich es sofort glauben. Was mich an der Variante "Japan" stutzig macht, ist die Position des Lenkrades, das ist (für Japan) auf der falschen Seite platziert. Ausser der Innenraum wurde umgebaut - was ich aber bezweifle.....
Ich kenne die Branche aus meiner beruflichen Vergangenheit recht gut und weiß, dass die meisten 12-Zylinder-Mercedes "grau" nach Japan exportiert wurden, Rechtslenker-S-Klasse konnten in Deutschland nicht geordert werden.
Wenn ein unbekannter Kunde eine weisse Mercedes S-Klasse im Langformat bestellen wollte wusste man als Verkäufer was die Uhr geschlagen hat.
Der Hersteller unterband- aus welchen Gründen auch immer- solche Geschäfte. Wurde es abgewickelt war die Händler- und die Verkäuferprovision weg.
Wieder ein Beitrag aus meiner Lieblingsserie!
Mit 78 J. noch Taxe fahren, geht's noch. Hier wird der Focus mehr auf Hobby denn auf notwendigen Job gelegt. Das wäre doch mal ein schöner Anlaß, über eine Hobbybesteuerung nachzudenken.
Oder Selbstverwirklichung vs. CO 2-Ausstoß, gerade in der Großstadt: alle Atemwegsbelasteten sagen ein herzliches Danke.
Oh, Westend! Keine Traute da zu fahren, wo das Leben -sagen wir- etwas direkter und weniger berechenbar ausfällt, z. B. in Neukölln oder Wedding. Wäre doch ein schöner Großfamilien- bzw. -clan Transporter.
Zwei Dinge lassen mich erstaunen: Wie kann sich ein solches Dickschiff als Taxi rechnen und wie kann sich ein Japan-Reimport für ein solches Auto lohnen?
Ich habe so einige verrückte Taxen gesehen aber diese hier ist die größte Geldvernichtungseinrichtung die man sich als Taxe kaufen kann. Im Stadtverkehr verbraucht das Auto gute 25 L/100 km. Damit dürfte er den Großteil seiner Einnahmen an der Tankstelle ausgeben, ganz nach dem Motto fährst du schon oder tankst du noch. Wir hatten mal in der Firma einen 500er mit damals 320 Ps. Dieser hat mit ein wenig Spaß auch seine 30 L geschluckt. Ich an seiner Stelle würde mir den w140 mit dem om603 fertig machen und weiter nudden. Den 600er würde ich vielleicht beim schönen Wetter ab und zu auf die Straße lassen. Der 600er wird auf die Dauer richtig teuer.
Zitat:
@Dr. Shiwago schrieb am 7. Oktober 2017 um 11:36:41 Uhr:
Zwei Dinge lassen mich erstaunen: Wie kann sich ein solches Dickschiff als Taxi rechnen und wie kann sich ein Japan-Reimport für ein solches Auto lohnen?
Das es sich durchaus rechnet zeigt dieses Beispiel eines Japan Re-Imports.
Der steht zwar hier in Dubai, duerfte aber nach Deutschland nicht viel mehr an Fracht kosten als hierher.
Der Preis, der fuer das Auto aufgerufen wird, liegt bei 22.000 Dirham; entspricht etwa knapp ueber 5.000 Euro.
Also rechnet es sich durchaus, wenn man guenstig in Japan einkauft
LG Werner
https://www.dubicars.com/1998-mercedes-benz-s-600-104091.html
Zitat:
@SantanaGX schrieb am 7. Oktober 2017 um 11:24:30 Uhr:
Mit 78 J. noch Taxe fahren, geht's noch. Hier wird der Focus mehr auf Hobby denn auf notwendigen Job gelegt. Das wäre doch mal ein schöner Anlaß, über eine Hobbybesteuerung nachzudenken.
Oder Selbstverwirklichung vs. CO 2-Ausstoß, gerade in der Großstadt: alle Atemwegsbelasteten sagen ein herzliches Danke.
Glücklicherweise darf das jeder selbst für sich entscheiden.
Zu Atemwegsbelastungen: Hauptsache Blödsinn geschrieben...
Der Mann leidet an schwerer Dyskalkulie.