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Alpine A110 (1962-1977) - "Le Turbot": der französische 911

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Eine kleine Schmiede, deren Auto mit konsequentem Leichtbau sogar Porsche 911 davonfahren konnte: die Alpine war vor einem halben Jahrhundert der Inbegriff von Fahrdynamik.

Köln - Magische Momente der Sportwagengeschichte verbindet man vielleicht mit Ferrari oder Aston Martin - mit Renault nicht so sehr, und mit einem Renault-Händler schon gar nicht. Zu Unrecht: Auf dem Pariser Salon 1962 stand da ein winziges, 3,85 Meter langes und gerade einmal 1,13 Meter flaches Heckmotor-Coupé des Renault-Händlers und Rallye-Piloten Jean Rédélé aus Dieppe.

Die kleine Kunststoffflunder hieß Alpine A 110 Berlinette, bot gerade einmal 51 PS aus einem Renault-Motor und stahl allen die Schau, als sie unter der französischen Flagge enthüllt wurde. Tatsächlich hatte Jean Rédélé schon mit seinem Erstling A 106 durch Erfolge bei der Mille Miglia das Potenzial der Alpine demonstriert.

Rédélés Ansatz: robuste Großserientechnik in gerade noch bezahlbares Sportgerät einpflanzen. Hinzu kamen verführerisch schöne, aerodynamische Formen und bei der A 110 ein kompromisslos geringes Kampfgewicht von 575 Kilogramm. Ein Mix, mit dem die bis 1977 gebaute und zuletzt auf 170 PS erstarkte A 110 Weltmeistertitel ebenso errang wie des Status eines französischen 911. Kein Wunder, dass Renault die Chance nutzte, Alpine zu übernehmen. In diesem Jahr lässt Renault die Marke mit einer verblüffend gelungenen Neuauflage wieder aufleben.

Le Turbot

Alpine-Sportwagen protzten nie mit Leistung, aber mit einem exzellenten Leistungsgewicht und strömungsgünstigen Formen. In dieser Hinsicht ähnelten Jean Rédélés Rennmaschinen den Konstruktionen des Briten Colin Chapman. Dessen Lotus waren ähnlich konstruiert - und gleichfalls zeitweise von Renault-Triebwerken angetrieben. Bewährte Technik, die in jeder Werkstatt gewartet werden konnte, gab den Käufern das beruhigende Gefühl, in einem uneingeschränkt alltagstauglichen Rennwagen zu sitzen.

Hinzu kam der Vorteil des Vertriebsnetzes einer großen Marke. Hobbyrennfahrer Rédélé war zunächst "nur" der mit 24 Jahren jüngster Renault-Händler Frankreichs. Sein Handwerk als Autobauer musste er erst einmal von Grund auf lernen. In Erinnerung an seinen größten Renntriumph beim Coupé des Alpes nannte er sein Sportwagenprogramm Alpine.

Die technische Ausstattung orientierte sich an den Veränderungen der Renault-Palette: Auf die erste Alpine A 106 (1956) mit Renault-4CV-Komponenten folgte die A 108 (1957) mit Technik der Renault Dauphine und 1962 die A 110 mit dem Antrieb des Renault 8. Zur Finanzierung dieser liebevoll „le Turbot“ („der Plattfisch“) genannten Plastikflunder gab es eine Kooperation mit der brasilianischen Firma Willys. Die nannte ihre Lizenz-Interpretation der A 110 „Interlagos“ und zeigte sie ebenfalls auf dem Pariser Salon 1962. Es folgten auch Lizenzausgaben der A 110 in Mexiko sowie durch Dinalpin, Bulgaralpin (die Bulgaren bauten auch den Renault 8) und die spanische FASA.

Die A 110 läutet das Turbo-Zeitalter ein

In so vielen Ländern wurde in den 1960er-Jahren kein reinrassiger Sportwagen vermarktet. Rédélé profitierte davon nicht so richtig, zumindest nicht finanziell. Dabei stimmte das Image: Die Polizei setzte die A 110 als Autobahnabfangjäger ein, ab 1965 lief der offizielle Vertrieb über Renault. 1968 ernannte der Konzern Alpine zum offiziellen Motorsport-Werksteam der Régie Renault.

Die Kooperation mit Renault erhöhte die Verbreitung der Alpine im Ausland deutlich. In Deutschland etwa stand die A 110 zum Modelljahr 1970 beim örtlichen Renault-Händler: zu Preisen zwischen 14.989 Mark und 22.866 Mark. Damit kosteten die französischen Sportwagen zwar gut das Doppelte der Techniklieferanten Renault 8 Gordini und Renault 12 - aber weniger als vergleichbare Alfa Romeo GT, Lancia Fulvia HF oder Porsche. Die puristischen Fahrmaschinen von Jean Rédélé konnten auf Autobahnen einen 911 T abhängen - und waren bei Rallyes dessen schärfste Rivalen.

Ein erstes Ausrufezeichen setzte Alpine bei der Rallye Monte Carlo 1968. Die von Gérard Larousse pilotierte A 110 lag klar in Führung, dann griffen übermotivierte Zuschauer in das Rallyegeschehen eingriffen. Am Col de Turini kippten sie in einer Kurve Schnee auf die Piste. Larousse kam von der Strecke ab, der Sieg gehörte Vic Elford und seinem 911 T.

Siege in Monte Carlo

Dennoch zählte die A 110 fortan zu den Publikumslieblingen, der Faszination ihres Motorsounds und dem in Kurven tänzelnd nach außen drängenden Heck konnte sich niemand entziehen. In den Jahren 1969/70 sicherten sich zwar nochmals Porsche 911 den Lorbeer der legendären Monte-Carlo-Rallye. Danach gelang es jedoch den gallischen Motorenmagiern, die Alpine A 110 aufzurüsten und als Berlinette 1600 S bzw. 1800 in die berüchtigte Nacht der langen Messer zu schicken. Lohn der Mühe waren Monte-Siege in den Jahren 1971 und 1973 sowie der Gewinn der Markenmeisterschaft 1971, vor allem aber der Titel des Rallye-Weltmeisters 1973.

Auch das Turbo-Zeitalter begann mit der A 110, und zwar im Jahr 1972. Da gewann eine per Lader auf 200 PS erstarkte 1600 S Berlinette ihr Auftaktrennen, das „Critérium des Cevennes“, souverän. Es war zugleich der erste Erfolg überhaupt für ein turbo-geladenes Fahrzeug im europäischen Motorsport.

Später Erfolg

Nach 1973 richtete Renault Sport – Alpine war inzwischen vollständig in den Konzern integriert - zwar den Fokus auf Le Mans. Die Weiterentwicklung der alternden A 110 wurde dennoch nicht vergessen. Noch immer galt die leichtgewichtige Heckschleuder mit Zentralrohrrahmen-Chassis als die Inkarnation von Fahrdynamik, ungeachtet der schon 1971 vorgestellten, designierten Nachfolgerin A 310.

So spendierte Renault der A 110 die moderne hintere Einzelradaufhängung aus der A 310 sowie ein 1,6-Liter-Aggregat mit Benzineinspritzung. „Le Turbot“ bescherten die Updates noch einmal einen großen Erfolg: 1976 erzielte sie die zweitbesten Verkaufszahlen ihrer langen Karriere. 1977 lief dennoch die allerletzte A 110 von der Montagelinie, und Renault setzte auf die stärkeren und luxuriöseren Modelle A 310 bis A 610.

Trotz respektabler Zulassungen konnten diese Coupés Alpine dennoch nicht zu einem wirtschaftlich tragfähigen Volumenhersteller transformieren. Ab 1995 fiel die Sportwagenschmiede in Dieppe in einen Tiefschlaf. Daraus gibt es nun ein Erwachen in Form einer neuen A 110. Kann das neue Modell die früheren Erfolge wiederholen? Das Zeug dazu hat die neue Alpine. Ob sich das Wagnis aber für Renault rechnet? Das muss die neue A110 noch beweisen.

 

Chronik: Renault Alpine A110

  • 1954: Vorstellung des Renault 4 CV „Rédélé Speciale/The Marquis“ in den USA
  • 1955: Präsentation der Alpine A 106 in Billancourt und Produktionsanlauf
  • 1957: Einführung des A 108 Cabriolets
  • 1958: Produktionsstart Alpine A 108
  • 1959/60: Von nun basieren alle Alpine auf einem von Jean Rédélé entwickelten Zentralrohrchassis
  • 1960: Vorstellung der A 108 Berlinette auf dem Pariser Salon. Von der A 106 wurden bislang insgesamt 650 Einheiten ausgeliefert
  • 1961: Serienstart der A 108 Berlinette
  • 1962: Die Alpine A 110 Berlinette wird als „Tour de France“-Version auf dem Pariser Salon enthüllt und geht ein Jahr später in Serie. Bei der A 110 handelt es sich um eine Evolution der A 108. Parallel zur A 110 debütiert auf dem Pariser Salon die brasilianische Lizenzversion als Willys Interlagos. Es ist das erste südamerikanische Serienfahrzeug, das in Europa präsentiert wird. Neu ist auch ein A 110 Cabriolet als Evolution des A 108 Cabriolets
  • 1963: Serienauslauf für Alpine A 108
  • 1964: Klassensiege bei den 24 Stunden von Le Mans für die Typen Alpine M 64 und Alpine M 63
  • 1965: Vertrieb von Alpine jetzt über Renault-Händler. Auf dem Pariser Salon debütiert die A 110 1300/S mit 88 kW/120 PS, die für eine Vmax von 228 km/h gut sind. Der Ölkühler wird vom Heck in die Front verlegt, was die Effizienz steigert und der Gewichtsverteilung zugutekommt
  • 1966: Klassensieg bei den 24 Stunden von Le Mans für Alpine A 210 (11. in der Gesamtwertung). Mit nur 59 kW/80 PS Leistung knackt die Alpine A 110 die 200-km/h-Schallmauer, während andere Coupés damit gerade einmal 160 km/h schnell sind. Die A 110 ist außerdem mit dem ersten Aluminium-Motor von Renault lieferbar, einem Aggregat, das ursprünglich für den Renault 16 entwickelt wurde.
  • 1967: Kennzeichen des Modelljahres 1967 sind bei der Alpine A 110 zwei auffällige Zusatzscheinwerfer. Klassensieg bei den 24 Stunden von Le Mans für Alpine A 210 mit den Fahrern Grandsire/Rosinski (9. in der Gesamtwertung)
  • 1968: In Führung liegend verpasst Gérard Larousse bei der Rallye Monte Carlo den Sieg, weil Zuschauer Neuschnee in eine Kurve kippen, um einen Unfall zu provozieren. Klassensieg bei den 24 Stunden von Le Mans für Alpine A 210 mit den Fahrern Andruet/Nicolas (14. in der Gesamtwertung). Die A 110 erhält optional ein neues 1,6-Liter-Triebwerk aus dem R 16 TS. Das Rennteam von Alpine wird zum offiziellen Werksteam der Régie Renault und konzentriert sich künftig auf den Rallyesport. Auf Basis der zwischen der Régie Renault und Jean Rédélé geschlossenen Vereinbarungen beginnt in Bulgarien die Lizenzproduktion der Bulgaralpines in einem Werk, das auch Renault 8 montiert. Die Bulgarien bauen die Alpine mit 1,3-Liter-Motor. Auch der Export von Bulgaralpine beginnt. Unter den Piloten Ilia Tchoubrikov und Yvan Nicolov gewinnt eine Bulgaralpine den Rallye-Titel der Balkanmeisterschaft.
  • 1969: Die Bulgaralpine startet 1969 und 1970 bei der Rallye Monte Carlo. In der Nähe von Dieppe wird ein neues Werk eröffnet, Produktionsende der Alpine GT4 und der Cabrioversion der Alpine A 108. Klassensieg bei den 24 Stunden von Le Mans für Alpine A 210 mit den Fahrern Serpaggi/Ethuin (12. in der Gesamtwertung)
  • 1970: Die Alpine A 110 „85“ wird lanciert mit 1,3-Liter-Motor und bis 1976 gebaut. Mit insgesamt 905 gebauten Autos erlebt Alpine das bislang beste Jahr
  • 1971: Auf dem Genfer Salon feiert der Alpine A 310 Weltpremiere, Titelgewinn bei der Rallye-Markenmeisterschaft durch die Alpine A 110. Modellpflege bei der A 110, erkennbar an neuen vorderen Blinkern oberhalb der Stoßstange. Neue Rekordproduktionszahlen von 430 Alpine A 110 1300, 599 Alpine A 110 1600 und 116 Alpine A 310
  • 1972: Alpine wird Bestandteil des Renault-Konzerns und die Modelle werden nun als Renault-Alpine vermarktet
  • 1973: Gewinn des Markentitels bei der Rallye-Weltmeisterschaft durch die A 110. Die Alpine A 110 erhält zum Modelljahr 1974 neue Türgriffmulden im Stil des Renault 5. Außerdem wird eine hintere Einzelradaufhängung nach Muster der neuen A 310 vorbereitet, die bei der A 110 die Pendelachse ersetzt. Die neue Berlinette A 110 1600 SI verfügt über Benzineinspritzung
  • 1974. Nach der vollständigen Integration der Marken Alpine und Gordini kommt es zur Gründung von Renault Sport. Die Motorsportabteilung treibt die Turboentwicklung voran. Der Rennwagen Alpine A 441 gewinnt in Paul Ricard, Nogaro (Dreifachfachsieg für Alpine), Misano, Hockenheim, Mugello und Jarama
  • 1975: Alpine A 441 gewinnt in Mugello und belegt den dritten Platz in Monza. Alpine kommuniziert eine Jahresproduktion von 694 Alpine A 110 1300, 104 Alpine A 110 1600, 2 Alpine A 110 1600 SX, 306 Alpine A 310 und 130 R 5 Alpine
  • 1976: Im September debütiert die A 310 V6. Bereits seit März trägt die Spitzenversion des Kleinwagens Renault R 5 das Alpine-Logo und wird in Dieppe montiert. Auslauf der Alpine A 310 SX und der Alpine A 310 SI sowie der Alpine A 110 1800. Die A 110 erhält zum letzten Modelljahr neue glattflächige Aluräder im Stil des A 310 V6. Trotz ihres Alters erlebt die A 110 ihr zweitbestes Verkaufsjahr mit 907 Einheiten
  • 1977: Die letzten 133 Alpine A 110 werden ausgeliefert, hinzu kommen 1.220 Alpine A 310 V6 und 9.016 R 5 Alpine. Die allerletzte Alpine A 110 Berlinette läuft im Juli in Dieppe vom Band, dies nicht in Blau, sondern in Grün. Bestellt hat sie ein Alpine-Mitarbeiter
  • 1978: Eine Alpine A 442 unter Pironi/Jaussaud gewinnt die 24 Stunden von Le Mans
  • 1985: Auf dem Genfer Salon feiert die Alpine V6 GT Weltpremiere
  • 1991: Weltpremiere für die Alpine A 610 auf dem Genfer Salon
  • 1995: Im Frühjahr Produktionsauslauf der A 610, damit pausiert die Sportwagenmarke Alpine
  • 2012: Beim Formel 1 Grand Prix von Monaco zeigt Renault anlässlich des 50. Jubiläums der Alpine A 110 das Concept Car A 110-50 als blau lackierten Sportwagen und Vorboten künftiger, neuer Serienautos. Im November kommuniziert Renault ein Joint-Venture mit Caterham, um ab 2016 neue Sportwagen auszuliefern unter den Marken Alpine und Caterham
  • 2013: In Vorbereitung auf den Neustart von Alpine arbeitet Renault mit dem Motorsportspezialisten Signatech zusammen. Signatech setzt einen von Oreca gebauten Prototypen mit Nissan-Motor ein in der Klasse LMP2 der Europäischen Le Mans Serie. Am Ende der Saison gewinnt Signatech-Alpine die Markenweltmeisterschaft
  • 2014: Im Juni beendet Renault die Kooperation mit Caterham
  • 2015: Mit dem Concept Car Alpine Vision Gran Turismo feiert Renault den 60. Geburtstag seiner Sportwagenmarke
  • 2016: Neue Ankündigung des Alpine-Relaunchs und Präsentation der Alpine Vision
  • 2017: Auf dem Genfer Salon debütiert eine neue A 110. Pressevorstellung Ende des Jahres
  • 2018: Auslieferungsbeginn für die neue Alpine A 110

 

Produktionszahlen

Alpine A 110 insgesamt (1963-1977): 7.691 (manche Quellen nennen 7.489) Einheiten.

Zum Vergleich: Alpine A 106 (1955-1960) 251 Einheiten,

Alpine A 108 (1958-1963) 236 Einheiten, Alpine A 310 Vierzylinder (1971-1976) 2.340 Einheiten und Alpine A 310 V6 (1976-1983) 9.287 Einheiten.

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Quelle: SP-X (Wolfram Nickel)

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