Automobilzulieferer entwickeln schon lange wichtige Teile von Autos. ZF traut sich jetzt auch an das Herz, den Motor. Zumindest einen Elektromotor. Fahrt im Prototypen.
Wien – Im Heck des VW Touran summt hellklingend ein Elektromotor. Heck? Ja, zwischen Achse und Antriebswelle schiebt eine E-Maschine mit 150 kW (204 PS) den Van zügig vom Fleck. Der Van lenkt sauber ein, wedelt lässig durch die Kurve und bremst stabil, trotz der hohen Karosserie. Dieser Prototyp ist keine Bastellösung, sondern ein Versuchsfahrzeug von ZF. Der Zulieferer, bekannt für Fahrwerke, Automatik- und Doppelkupplungsgetriebe, stellt sich für die Zukunft auf. Und die ist elektrisch. „Die generelle Richtung ist klar, bis 2021 werden viele Hersteller ihre Motoren elektrifizieren, entweder als Mild- oder Plug-in-Hybrid oder gleich als reine Elektrofahrzeuge bauen. Wir werden darauf vorbereitet sein“, sagt Peter Lake, Vertriebsvorstand bei ZF. Der in die Hinterachse integrierte E-Motor ist deshalb keine Fingerübung. Er soll nächstes Jahr auf den Markt kommen, anfangs mit weniger Leistung. ZF nennt noch keine Namen, wir tippen aber auf ein Derivat der nächsten, elektrifizierten Mercedes A-Klasse (ab Mitte 2018) wie einem GLA, GLB oder EQC. Bisher war der Motor tabuQuelle: ZFMit der neuen Mercedes-MFA-Plattform hätten die SUVs im Heck ausreichend Platz für die Kombination aus Antrieb, Motor und Fahrwerk. Die Batterien ließen sich vorne und im Fahrzeugboden integrieren. Das sorgt für einen tiefen Schwerpunkt und ein sportliches Fahrverhalten. Eine elektrische B-Klasse wird es bei Mercedes nicht mehr geben. Für manche Hersteller bedeutet das Zukaufen solcher Komponenten eine Aufgabe eigener Entwicklungshoheit. Nicht für Mercedes, die teilen aktuell bereits Motoren mit anderen Herstellern wie Renault. Für ZF sieht die Sache anders aus: Der Elektromotor ist ein Bedeutungszuwachs. Auch wenn schon heute viele Teile des Fahrwerks wie Dämpfer, Achsen, Getriebe, Lenkung, Bremsen und Luftfederungen von ZF stammen, an den Motor durften Zulieferer bisher nicht heran. Mit der Entwicklung und der Produktion eines Motors besetzt ZF erstmals eine Schlüsselrolle im Autobau. Das ist nicht alles. Künftig kommen Sensoren für Assistenzsysteme hinzu. Seit Mitte Juni arbeitet ZF mit Hella zusammen. Die beiden Unternehmen legen den Fokus auf Kamerasysteme, Bilderkennung und Radarsensoren für den Nah- bis Fernbereich und 360 Grad – wichtig für künftige Assistenzsysteme und autonomes Fahren. Gemeinsam schneller entwickelnDenn um künftig noch viele Sterne beim Euro-NCAP-Crashtest einsammeln zu können, müssen mehr kameragestützte Assistenzfunktionen an Bord sein. Dadurch wird der Bedarf nach Frontkameras für alle Fahrzeugsegmente steigen, und Kameras sind eine Kernkompetenz von Hella. ZF bringt die Hardware sowie sein System- und Integrations-Know-how ein. Die Kooperation ist nicht exklusiv. „Wir sind so schneller. Auch im Silicon Valley funktionieren Innovationen so“, sagt Stefan Sommer, CEO von ZF. Auch mit Nvidia, Spezialist für künstliche Intelligenz, arbeitet ZF zusammen. Quelle: ZF Ein längst überfälliger Schritt: Nach einer Untersuchung des Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg Essen machen Bauteile rund um den Verbrennungsmotor bei den vier größten deutschen Zulieferern Bosch, Continental, Schaeffler und ZF noch 29 Prozent aus. Davon sind laut der Untersuchung 42 größere Bauteile für reine Elektroautos nicht mehr nötig. Mit der Entwicklung eines eigenen E-Antriebsstrangs rückt sich ZF in eine neue Position und löst sich gleichzeitig von den Fesseln der Verbrennungsmotoren. Mit dem modularen mSTARS-Achssystem (modular Semi-Trailing Arm Rear Suspension) bietet das Unternehmen ein flexibles System an: Entweder in Kombination mit Antriebswellen und Achsen, oder aber als Einzelkomponenten. Es lässt sich mit der aktiven Hinterachslenkung Active Kinematics Control (AKC) erweitern. Hinterachslenkung mit E-AntriebPraktisch: Das Antriebssystem samt integrierter Leistungselektronik sitzt platzsparend im Hinterachs-Baukastensystem. Es besteht aus elektrischem Antriebsmodul, Stirnradgetriebe, Differenzial und Leistungselektronik. Batterien entwickelt und liefert ZF nicht. Die Achse passt ab Kompaktklasse aufwärts in viele Fahrzeuge, ideal für einen Hinterradantrieb oder als Allradversion. Außerdem lässt sie sich flexibel in schon bestehende Fahrzeuge integrieren, wie den von uns gefahrenen VW Touran. Dabei waren laut ZF nur geringe Änderungen an der Karosserie nötig. Der Einsatz in Hybrid-, Brennstoffzellen- und batteriebetriebenen Fahrzeugen sei ebenso möglich wie die Kombination mit Allradmodulen oder der aktiven Hinterachslenkung AKC, meint Holger Klein, Leiter der Division Pkw-Fahrwerktechnik. Über die aktive Hinterachslenkung steigert ZF Agilität, Komfort und Stabilität. Weil die Hinterräder mitlenken, können auch neue Assistenzsysteme besser, sicherer und komfortabler regeln. So kann der VW Touran Hindernisse mit vier eingeschlagenen Rädern lässig umfahren, die hinteren lenken bis 8 Grad ein. Beim sogenannten „Hundegang“ werden Wankbewegungen der Karosserie minimiert. Klingt bescheuert, fährt sich aber ausgesprochen lässig. Wann die Lenkung in Serie geht, verrät ZF noch nicht. Doch so viel scheint klar: sie wird. |