• Online: 2.885

Range Rover Classic (1971): Testfahrt im Oldtimer - Der Luxus kam später

verfasst am

Er wollte nicht so rau sein wie die Kletterer seiner Zeit. Doch Prunk ist dem ersten Range Rover ebenso fremd. Fahrbericht aus dem schlichten Inneren eines Vorreiters.

Ein kräftiges Aggregat und ein anständiges Fahrwerk in einem Geländeauto? Heute gang und gäbe, doch 1970 war er der Erste: Der Range Rover. Wir fuhren ein gut erhaltenes Exemplar von 1971 Ein kräftiges Aggregat und ein anständiges Fahrwerk in einem Geländeauto? Heute gang und gäbe, doch 1970 war er der Erste: Der Range Rover. Wir fuhren ein gut erhaltenes Exemplar von 1971 Quelle: Land Rover

Coventry - „Mach ihn nicht kaputt, okay?“ Der Ratschlag kommt mit einem Lächeln. In der Stimme schwingt Lässigkeit, nicht etwa Ernst oder Angst. Und doch verraten die Augen von Michael Bishop: Lieber würde er die Schlüssel dieses Range Rover von 1971 nicht aus der Hand geben.

Gut, mit den Worten „Lass krachen“ und einem Augenzwinkern bekommen Motor-Journalisten wohl selten ein Auto überreicht, schon gar kein klassisches. Doch hier ist die Sache noch einmal anders: Es ist nicht ein Range Rover, es ist sein Range Rover, irgendwie. Das einstige Alltagsauto des führenden Klassik-Experten bei Land Rover.

Australien-Import in "mint Condition"

MOTOR-TALK-Redakteur Sven Förster war rund 200 Kilometer im Range Rover von 1971 unterwegs MOTOR-TALK-Redakteur Sven Förster war rund 200 Kilometer im Range Rover von 1971 unterwegs Quelle: Land Rover Michael brachte den Range aus seiner Heimat Australien mit, als er die Stelle beim Geländewagen-Hersteller antrat. An jedem Arbeitstag parkte das Fahrzeug in „Mint Condition“ auf dem Mitarbeiterparkplatz. Irgendwann stand die Ikone dann mitten in den Werkshallen: Jaguar-Land Rover Classic kaufte das Auto von Bishop.

Ein guter Verkaufszeitpunkt: Nie hatten Tradition und Heritage bei den britischen Marken einen höheren Stellenwert. Wir sprechen nicht von rührseligen TV-Spots mit alten Videoaufnahmen oder von neuen Ausstattungslinien im Vintage-Style. Wir sprechen vom Reborn-Programm: Die Briten erstehen gut erhaltene Exemplare der Marken-prägenden Modellreihen und bauen sie neu auf.

Eingekauft wird auf Vorrat, restauriert nur auf Bestellung. Vorerst sind drei Typen im Programm: Jaguars Sportwagen E-Type, die erste Serie des Land Rover – und eben der Range Rover der ersten Generation, heute vornehmlich Classic-Range genannt. Ab 135.000 Pfund – nach aktuellem Wechselkurs etwas mehr als 150.000 Euro - starten die Preise für einen restaurierten Range.

Schnörkellos und funktional

Unser Testwagen war nicht Teil dieses Programms, auch nie als Basis für den Wiederaufbau vorgesehen. Er ist gut erhalten, nicht gut restauriert. Und nicht verkäuflich. Die Klassik-Abteilung nahm sich lediglich des Interieurs an. Nun sieht der Innenraum wieder aus wie bei der Auslieferung vor 46 Jahren. Nicht schön im klassischen Sinn: Eine Gummischicht bedeckt den Boden und erstreckt sich auch über den monströsen Mitteltunnel. Die Sitze sind mit Vinyl bespannt. Das Armaturenbrett ist karg, kommt ohne jedwede Schnörkel aus.

Luxus sieht anders aus, doch in Summe ist die Materialauswahl im Classic Range Rover stimmig. und funktional: Der Innenraum soll per Wasserschlauch gereinigt werden können Luxus sieht anders aus, doch in Summe ist die Materialauswahl im Classic Range Rover stimmig. und funktional: Der Innenraum soll per Wasserschlauch gereinigt werden können Quelle: Land Rover In Summe passt das. Weil es hier Sinn ergibt, funktional ist: Niemand fährt durch unwegsames Gelände, ohne ein einziges Mal auszusteigen. Im besten Fall für eine kurze Pause. Im schlechtesten, um Fußmatten unter die Reifen zu klemmen. So oder so: Kommt der Fahrer zurück ins Auto, bringt er Schmutz mit. Die Materialwahl soll die Reinigung per Wasserschlauch ermöglichen.

Schon das zeigt, wie sehr sich die Marke und Zeitgeist verändert haben. Oder könnt Ihr Euch einen Range-Rover-Velar-Besitzer vorstellen, der mit dem Hochdruckreiniger den Fußraum seines Autos flutet? Andererseits: In manchen Bereichen nahm der Range Rover die heutigen SUV tatsächlich vorweg. „Ein Fahrwerk mit Schraub- statt Blattfedern und so ein Motor in einem Geländewagen, das war bis zu diesem Zeitpunkt völlig unvorstellbar“, erklärt mir Michael Bishop unmittelbar vor der Abfahrt.

Ab vom Hof. Ohne zu winken

Das macht mich neugierig. Also ab vom Hof, ehe es sich der Ex-Besitzer doch noch mal anders überlegt. Und das ohne zum Abschied zu winken. Einfach, weil der Range ohne Servolenkung nach zwei Händen am Volant verlangt. Zumindest beim Rangieren am Parkplatz, auf der Landstraße vermisst man den hydraulischen Helfer recht selten.

Zu tun bekommt man hinter dem groß dimensionierten Lenkrad dennoch genug: Das Auto will jeder Spurrille hinterher wie ein junger Hund einem Tennisball. Das ist ungewohnt, etwas fordernd, aber nie wirklich bedrohlich. Das volle Potenzial des Triebwerks rufe ich dennoch lieber auf einer ebenen Geraden ab. Solide aus dem unteren Drehzahlbereich, insgesamt eher wenig spektakulär.

Wer im Glashaus sitzt: Durch die großen Fensterflächen und die hohe Sitzposition bietet der Classic-Range Rover eine gute Übersicht Wer im Glashaus sitzt: Durch die großen Fensterflächen und die hohe Sitzposition bietet der Classic-Range Rover eine gute Übersicht Quelle: Land Rover Dass die Kurbelwelle des 3,5-Liter-V8 beim Leistungsgipfel (135 PS) mit 5.500 Umdrehungen und beim höchsten Drehmoment (235 Nm) mit 2.500 Umdrehungen rotiert, ist allerdings nur am Datenblatt ablesbar – einen Drehzahlmesser gibt es im Range nicht. Den vermisse ich kurz darauf auf der Autobahn schmerzlich - weil der V8 beim erlaubten Höchsttempo von rund 110 km/h (70 Meilen) doch ordentlich laut wird.

Ob das an der Innenraumdämmung des Klassikers liegt? Oder bin ich permanent nahe des Drehzahlbegrenzers unterwegs? Das würde nicht lange gut gehen. Und es ist nicht abwegig, denn der Range hat noch eine zweite Übersetzung, eine kürzere Abstufung fürs Gelände. Ist der kleine Hebel am Mitteltunnel in der falschen Position, dreht der Oldtimer im längsten Gang viel zu hoch.

Also: Raus bei der nächsten Raststation und schnell die andere Untersetzung probieren. Nach ein paar Metern ist klar: Hat schon gestimmt. Range Rover scheint schon bei der Standardübersetzung des Viergang-Getriebes an steile Bergwege gedacht zu haben. Und bei der kurzen Variante an die direkte Route auf die Zugspitze oder die Eiger Nordwand.

Fazit: Man kennt ihn. Vielleicht zu gut

Im Range Rover von 1971 sorgt ein 3,5-Liter-V8 für 135 PS und ein Drehmoment von 235 Nm Im Range Rover von 1971 sorgt ein 3,5-Liter-V8 für 135 PS und ein Drehmoment von 235 Nm Quelle: Land Rover Eine weitere Erkenntnis des Stops am Autobahnparkplatz: Der Classic-Range fällt nicht wirklich auf. Keine Kinder, die Mama aufgeregt am Ärmel ziehen und Richtung Oldtimer deuten. Keine Petrolheads, die nach Baujahr oder Preis fragen. Vielleicht, weil sich das erste Range-Rover-Modell während der ersten 26 Jahre seines Lebens nicht grundlegend veränderte. Freilich: Die dreitürige Variante ist schon seit 1985 Geschichte. Heute hieße sie vermutlich SUV-Coupé.

Obwohl ihm die breite Masse nicht huldigt: Seinen Platz in der Automobilgeschichte hat er definitiv. Der Range Rover ist ein Urahn der SUV. Selbst wenn er - auch für damalige Verhältnisse - keinen opulenten Luxus bot, ist die Herangehensweise vergleichbar: funktional und geländetauglich, gekoppelt mit einem starken Motor. Und einem Fahrverhalten, das näher am klassischen Pkw liegt. Der Classic-Range hat zu Recht seine Fans und Liebhaber.

Avatar von SvenFoerster
59
Hat Dir der Artikel gefallen? 20 von 20 fanden den Artikel lesenswert.
Diesen Artikel teilen:
59 Kommentare: