Wie kann uns Jaguars E-Type heute nur als graziles Designstück erscheinen? Klar ist er schick. Aber auch laut, roh, extrem. Eine Ausfahrt im wertvollsten Exemplar.
Coventry – Es ist, als würde eine Schönheitskönigin auf den Boden rotzen: Dieser Jaguar E-Type spuckt Flammen. Er brodelt, schießt, schreit. Ein Exemplar des 1960er-Jahre Sportwagens parkt seit 1996 im New Yorker Museum of Modern Art. Unser Modell könnte den Madison Square Garden rocken. Die Show beginnt, sobald der Fahrer bei mehr als 3.500 Umdrehungen vom Gas geht. Mondäne Stilikone? Daran denkt garantiert niemand mehr, wenn sich einige Tropfen überschüssigen Sprits im Fächerkrümmer entzünden. Der Sound der modernen Nachfolger F-Type mit ihren gesteuerten Auspuffklappen und einprogrammierten Fehlzündungen – er muss vom Klang dieses Modells in Roman Purple inspiriert worden sein. Bekannt ist das Auto bei Jaguar jedenfalls. Und wie. Erklärtes Lieblingsauto der Klassik-Abteilung. Und möglicherweise wertvollster straßenzugelassener E-Type weltweit. Den Unterschied machen die ersten 186 Kilometer. Der steinige Weg zur NennleistungQuelle: Jaguar 1966 orderte ein Neuseeländer den lilafarbenen Sportwagen, holte ihn direkt vom Werk in Coventry. Die erste Fahrt war die letzte in Serien-Konfiguration: Der Besitzer steuerte das Modell direkt zur angesehensten Jaguar-Tuningschmiede dieser Zeit, rund zwei Stunden von der Produktionsstätte entfernt. John Coombs aus Guildford hatte sich mit schnellen Jaguar Mark II-Motoren für Straße und Ring einen Namen gemacht. Klar musste sich der auch auf E-Type-Aggregate verstehen. Beim Marktstart 1961 kam der Sportwagen mit demselben 3,8-Liter Reihensechszylinder, der in der gehobenen Limousine als Top-Triebwerk bereitstand. Anders waren lediglich Ansaugbrücke und Vergaser. Für den E-Type gab Jaguar rund 269 PS Leistung an. In unserem Test-Modell arbeitet bereits die aufgebohrte 4,2-Liter-Variante, wie sie Jaguar in E-Types von 1964 bis 1971 verbaute. Im Datenblatt steht ein rund 30 Nm höheres Drehmoment von 384 Nm. Die Nennleistung blieb identisch. Der Erstbesitzer dieses E-Type wollte mehr. Coombs überarbeitete den Zylinderkopf, stimmte die Vergaser neu ab. Außerdem wurden Kurbelwelle und Schwungrad erleichtert. Jaguar spricht vom wohl einzigen noch existierenden straßenzugelassenen E-Type mit Coombs-Motor - viele waren es nie. Und von mehr als 260 PS Leistung. Wie bitte? So stark sind doch schon herkömmliche Serienmodelle? Nun ja, in den 1960er-Jahren war man hinsichtlich der PS-Zahlen wohl zu optimistisch. Heute gelten Leistungen um 210 PS für unbehandelte 4,2-Liter-E-Type als realistisch. Wer braucht schon Drehzahl?Quelle: Jaguar Wobei: Leistung interessiert ohnehin weniger als Herzfrequenz. Die steigt beim Fahrer dieses E-Type garantiert mit jedem Beschleunigungsvorgang. Immer wieder. Und schon bei niedrigen Ausgangsdrehzahlen. Richtig gut funktioniert der Sechszylinder ab 3.500 Umdrehungen. Ein Richtwert, kein Naturgesetz – die drei Vergaser reagieren auf Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit empfindlicher als moderne Einspritzsysteme. Das Ansprechverhalten kann sich geringfügig ändern. Die Maximaldrehzahl bleibt gleich. Und uns verborgen. Wer will schon einen Klassiker bis in den Begrenzer orgeln. Der dürfte – falls überhaupt vorhanden – noch vor der 6.000er-Marke einsetzen. Jaguars Langhuber benötigten keine hohen Drehzahlen. Ermöglichten sie auch nie. Auf der Rennstrecke war das im Duell mit Shelby Cobras und diversen Ferrari-Flundern mitunter ein Nachteil. Auf der Straße passt das. Man kann diesen E-Type recht schaltfaul fahren. Will man aber meistens nicht. Schalten macht Spaß. Der Hebel ragt direkt aus dem weit nach hinten reichenden Viergang-Getriebe in den Innenraum. Er lässt sich so exakt wie ein Skalpell entlang der kurzen Schaltwege führen. Nur schnelle Gangwechsel verursachen Probleme. Nicht technischer Natur, der Gang geht immer irgendwie rein. Eher psychischer Art: Wer fühlt, wie er die Zahnräder eines Klassikers abwetzt, verliert jedwede Motivation, die eng zusammenliegenden Pedale für ein Herunterschalten per Hacke-Spitze-Technik zu nutzen. (Auch wenn das Jaguars Intention bei der knappen Anordnung war.) Fahrverhalten: Präzisions-SchaukelnQuelle: Jaguar Kurven verhelfen aus der Lethargie. Ein E-Type lässt sich überraschend präzise über Landstraßen und gewundene Autobahnabschnitte scheuchen. An der ewig langen Motorhaube sieht der Fahrer genau, wo das Auto endet. Und wie sehr sich das Auto in der Kurve neigt. Gut, mit mehr Roll-Bewegung als bei heutigen Sportmodellen war zu rechnen. Die haben außerdem kein Lenkrad mit dem Durchmesser einer Familienpizza. Andererseits: Viele der technischen Spielereien wären einschlägigen Herstellern noch heute einen Absatz in der Pressemitteilung wert. Die Kombination eines Gitterrohr-Hilfsrahmens für die Antriebseinheit und einer selbsttragenden Stahlblech-Karosserie ab der Spritzwand. Die innenliegenden Bremsscheiben an der Hinterachse für weniger ungefederte Masse. Oder die Nutzung der Antriebswellen als tragendes Teil der Hinterachs-Aufhängung, quasi anstelle der oberen Dreieckslenker. Die unbezahlbare leistbare AlternativeQuelle: Jaguar Aus heutiger Sicht beeindruckend, wie schnell ein Produkt der 1960er-Jahre sein kann. Doch in zeitgenössischen Fahrberichten kam der E-Type schlecht weg. Er wird als weicher und behäbiger als die Konkurrenz beschrieben. Vielleicht ist dieses Coombs-Modell dank Koni-Dämpfern und härteren Federn den braven Serien-Brüdern überlegen. Oder die Journalisten der 1960er-Jahre ließen den Preis außer Acht. Die Konkurrenz, das waren die ganz wilden und noblen Geräte. Der E-Type die einigermaßen leistbare Alternative. Anfang der Siebziger-Jahre veranschlagte Jaguar rund 25.000 Mark für einen E-Type. Ein Ferrari 250 GT kostete das doppelte, der Aston Martin DB4 immer noch deutlich mehr. Heute gehen makellos restaurierte E-Type für rund 330.000 Euro weg. Zumindest, wenn Jaguar Land Rover Classic die Aufbereitung übernahm. Im Rahmen des Reborn-Prgramms werden vielversprechende Scheunenfunde auf Bestellung von Grund auf erneuert. Unser Modell aus Jaguars Sammlung ist gut erhalten, nicht nur gut restauriert. Der letzte Coombs-E-Type ist weit teurer als all die Reborn-Modelle und Sammler-Exemplare, verrät ein Jaguar-Techniker. Also, theoretisch. Denn: "Niemand im gesamten Unternehmen will, dass dieses Auto verkauft wird. Zumindest niemand, der ihn schon einmal gehört hat." |