Ob der Volvo V60 schick ist? Geschmacksache. Obwohl: Ja. Einfach ja. Doch das allein reicht in dieser Klasse nicht. Was der Kombi noch kann? Lest ihr hier.
Berlin - Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Silhouette eines neuen Volvo-Kombi mit maximal sechs geraden Linien skizzieren ließ. In der oberen Mittelklasse endete dies spätestens 2016 mit dem V90. Seit Mitte diesen Jahres haben die Schweden eine Klasse darunter eine gefällige Alternative zu den deutschen Mittelklasse-Kombis Audi A4 Avant, BMW 3er Touring und Mercedes C-Klasse T-Modell im Programm: den V60 der zweiten Generation. Unser Testmodell drehte gelegentlich Köpfe auf dem Supermarktparkplatz, brachte grummelige Nachbarn zum Grüßen. Tenor: hübsch. Aber das reicht nicht. Im Alltag ist die gute Anfahrt wichtiger als der gute Auftritt, Praktikabilität wichtiger als Prestige. Was kann dieser Schweden-Kombi - außer schick sein? Wir wollten es im Alltag mit der stärksten Dieselvariante V60 D4 mit Achtgang-Automatik und Frontantrieb herausfinden. Abmessungen | Platzangebot | Karosserie Der Kofferraum fasst mit 510 Litern deutlich mehr als jener des Vorgängers. Im Boden ist ein aufstellbarer Raumtrenner eingelassen. Bei umgelegten hinteren Sitzlehnen schluckt der Schwede bis zu 1.441 Liter. Die Lehnen fallen über eine Fernbedienung an der Hecköffnung automatisch. Über das Untermenü des Infotainmentsystems können außerdem die hinteren Kopfstützen flach gestellt werden – wohl für bessere Sicht nach hinten. Die Übersicht ist generell passabel, einzig die breite und leicht nach hinten geneigte B-Säule blockiert beim Schulterblick nach links die Sicht. Innenraum | Verarbeitung | MaterialienInnen ist der V60 ein skandinavisches Boutique-Hotel. Möblierung in weißem Leder, Einlagen in hellem Holz, ein hochkant montierter Touchscreen und viel Tageslicht über das Panoramaglasdach (3.000 Euro im Paket). Sämtliche Materialien fühlen sich angenehm an, doch großzügig unterfüttert ist nur die Armlehne an der Türverkleidung. Was irgendwie gar nicht ins stimmige Interieur des Testwagens passen will: die glitzernde Oberfläche von Fahrdynamik- und Lautstärkeregler an der Mittelkonsole. Zu feminin für einen Volvo, zu viel Blingbling für einen coolen Schweden. Und ansonsten auch nirgends im gesamten Auto in ähnlicher Form zu finden. Antrieb | Getriebe | Motor | FahrleistungenNoch ist das Motorenangebot für den Volvo V60 nicht komplett. Fest steht: Etwas anderes als 2,0-Liter Vierzylinder kommt nicht in den Motorraum dieses Kombi. Bei den Benzinern gibt es aktuell neben einer 250-PS-Variante mit Frontantrieb (T5 mit Turbolader) eine 310 PS starke Version mit Allrad (T6 mit Turbolader und Kompressor). Ab Ende 2018 bildet der 190 PS starke T4 den Einstieg. Dann wird Volvo dem Ottomotor auch E-Motoren zur Seite stellen: Der V60 kommt als Plug-in-Hybrid mit einer Leistung von 340 PS (T6 Twin Engine) oder 390 PS (T8 Twin Engine). Unaufgeregtes Gleiten passt dabei am besten zum Charakter dieses Autos und zur Arbeitsweise des Achtgang-Wandlerautomatikgetriebes. Es legt sanft und früh nach, knallt nicht einmal im scharfen Fahrmodus die Gänge richtig durch. Bei moderater und konstanter Gaspedalstellung macht das System alles richtig. Doch mit dem Gewicht des rechten Fußes nimmt die Treffsicherheit in der Gangauswahl ab. Abrupte Kickdowns führen manchmal zu längeren Nachdenkpausen. Sportliche Fahrer sollten daher auch die Variante mit Sechsgang-Handschaltung in Betracht ziehen (beim getesteten D4 mit Frontantrieb serienmäßig, mit Allradantrieb nicht kombinierbar). Eilige Vertreter könnten außerdem über die potenten Benziner nachdenken. Leicht hat es der Topdiesel mit dem 1.844 Kilogramm schweren Volvo nämlich nicht. Der Verbrauch bleibt mit rund 9 bis 10 Litern im zähen Stadtverkehr und rund 7 bis 8 Litern auf Landstraße und Autobahn im Rahmen, die Herstellerangabe von 4,7 Litern wird der Bordcomputer aber selten zeigen. Fahrwerk | Lenkung | Federung | Fahrverhalten Richtig giftig wird der Volvo über den Drehregler an der Mittelkonsole und die Auswahlmöglichkeiten im Untermenü nicht. Über den zentralen Screen kann das Stabilitätsprogramm phlegmatischer gestellt werden. Dann fällt die Neigung zum Untersteuern auf, beim Herausbeschleunigen aus engeren Kurven zerrt der Antrieb merkbar am Volant. Diesen Volvo kauft man zum Gleiten, nicht zum Heizen. Was beim entspannten Kilometerfressen auf der Autobahn etwas stört: Volvos Lenkung ist (in jedem Fahrmodus) um die Mittelstellung extrem direkt und die nächste Fahrspur damit nur ein kurzes Zucken entfernt. Assistenzsysteme | Sicherheit Der Pilot-Assist agiert zwischen 0 und 130 km/h. Je höher man sich in diesem Geschwindigkeitsrahmen bewegt, desto eher identifiziert die Kamera die Leitlinien. Ein grünes Lenkradsymbol in Digitaltacho und Head-up-Display zeigt an, wann das System bereit ist. Blind verlassen sollte man sich darauf nicht. Mitunter verlor der Volvo die Spur einige Sekunden, ehe das Symbol erlosch. Unser V60 kam mit 360-Grad-Kamerasystem mit Linsen an jeder Seite des Fahrzeuges (ab 570 Euro). Das auf dem Mittelscreen angezeigte Bild wirkt wie die Aufnahme einer über dem Auto schwebenden Drohne. Parallel Einparken klappt damit richtig gut, rückwärts Rangieren in engen Innenhöfen ebenso. Nur beim Einfädeln in eine rechtwinkelige Parklücke entstehen befremdliche Bilder, hier ist man manchmal mit Hilfe der Spiegel besser dran. Infotainment | Radio | Bedienung Alternativ lassen sich einige Einstellungen sowie die Adresseingabe für das Navigationssystem per Sprachsteuerung bedienen. Die ist nicht so ein lockerer Gesprächspartner wie das jüngst von Mercedes vorgestellte System, doch mit langsamer und betont deutlicher Sprechweise versteht einen der Volvo schon irgendwann. Ausstattung | Preis | KostenVolvo bietet den V60 in drei Ausstattungslinien an. Die Basisversion „Momentum“ beinhaltet unter anderem LED-Scheinwerfer mit Fernlichtassistent, das Multifunktionslenkrad sowie die Verkehrszeichenerkennung. In dieser Variante startet der V60 mit 150 PS-Diesel (D3) und Sechsgang-Handschaltung bei 40.100 Euro. Der von uns getestete D4 startet als Momentum bei 43.300 Euro (mit Automatik bei 45.500 Euro). Die beiden darüber liegenden Ausstattungslinien liegen preislich nahe beieinander. „R-Design“ (ab 44.950 Euro im Basis-D3, ab 50.350 Euro im D4 mit Automatik) soll Kunden mit sportlichem Anspruch gefallen und kommt mit 15 Millimeter tieferem Fahrwerk, Sportlenkrad und 18-Zöllern). Ein D4 Inscription wie unser Testwagen startet bei 49.750 Euro (ab 44.350 Euro mit D3-Basismotor). Dafür gibt es geringfügig mehr Noblesse als in R-Line-Modellen. Neben dem Chrom an Kühlergrill und Dachreling gehören unter anderem Lederlenkrad und Sitze (mit Sitzheizung vorne) und die Drive-Mode-Fahrmodi-Auswahl zum Serienumfang. Die deutsche Kombi-Konkurrenz ist teurer, sagte Volvo bei der Präsentation des V60. Das stimmt ausstattungsbereinigt. Der Audi A4 Avant startet aktuell bei 38.650 Euro (für den 2,0-Liter Diesel mit 150 PS und Sechsgang-Handschaltung). Der mit unserem Testmodell vergleichbare 190 PS TDI mit Doppelkupplungsgetriebe startet bei 44.000 Euro. Doch Audis Nomenklatur ist im Wandel. Nach dem Modelljahreswechsel werden die betreffenden Ingolstädter als 35 TDI und 40 TDI im Konfigurator erscheinen, wohl zu geringfügig anderen Preisen. Der BMW 3er Touring startet als 136 PS starker 318i (Benziner) bei 35.100 Euro. Für den 320 d x-Drive mit 190 Diesel-PS und Automatik beginnen die Preise bei 46.800 Euro, hier jedoch bereits mit Allradantrieb. Das T-Modell der C-Klasse bietet Mercedes ab rund 36.700 Euro an (mit 129 PS-Benziner und 6-Gang Handschaltung). Der 194 PS Diesel (C 220 d) mit Automatik startet bei rund 44.000 Euro. FazitKann der Volvo mehr als gut aussehen? Ja: schweben. Entspannter kommt man in kaum einem anderen Kombi ans Ziel. Außerdem: laden. Im Fond gibt es genug Platz und durchdachte Lösungen. Doch wer Sport und Rucksack kombinieren möchte, wird mit dem Mittelklasse-Schweden nur bedingt glücklich. Dafür ist seine Auslegung (in jedem Fahrmodus) zu konservativ, sein Gewicht zu hoch. Der stärkste Diesel (D4) wird für die meisten im Alltag ausreichen, ist leise und sparsam genug – wenngleich die Normverbrauchswerte praktisch nicht zu erreichen sind. Wer mit viel Druck über die Autobahn fährt, sollte über einen der stärkeren Benziner nachdenken oder gar auf die kraftvollen Plug-in-Hybridvarianten warten. Technische Daten Volvo V60 D4
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