Seit Jahren diskutiert, immer wieder verworfen, jetzt wird es Gesetz: Das Fahrverbot wird als Strafe für alle Straftaten eingeführt. Wir erklären die Details.
Quelle: MOTOR-TALK/dpa/picture-alliance Berlin – Es kommt nicht oft vor, dass der Gesetzgeber eine neue Art der Bestrafung beschließt. Der Katalog wurde historisch eher ausgedünnt. Übrig blieb im Wesentlichen: Geldstrafe und Freiheitsentzug, gegebenenfalls auf Bewährung. Ach so, und das Fahrverbot. Das kam bislang in Betracht, wenn die Straftat im Zusammenhang mit dem „Führen eines Kraftfahrzeugs“ begangen wurde. Das ändert sich jetzt. Der Bundestag hat gestern eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen. Demnach kann künftig jede Tat mit Führerscheinentzug bestraft werden. Egal, ob ein Auto dabei irgendeine Rolle spielte oder nicht. Außerdem wird die maximale Dauer des Führerscheinentzugs von drei auf sechs Monate verdoppelt. Der Bundestag hat die Gesetzesänderung, die noch zahlreiche weitere Maßnahmen beinhaltet, gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Und auch gegen die Empfehlung von vielen Verkehrsjuristen, Automobilclubs oder dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat. Der Vorschlag ist nicht neu. Bemühungen, das Fahrverbot als Strafe auszuweiten, gibt es schon seit Jahren. Sie wurden immer wieder verworfen. Der jetzige Gesetzentwurf wurde im Dezember 2016 vorgelegt, der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) debattierte Ende Januar darüber. VGT-Präsident Kay Nehm sagte damals, ihm sei unklar, was die große Koalition zur Wiederbelebung des Plans veranlasst habe. „Tote werden nicht dadurch lebendig, dass man sie alle paar Jahre wieder ans Licht zerrt“, sagte der frühere Generalbundesanwalt. Dieser Tote bekommt jetzt doch ein neues Leben. Wir erklären warum, wie und was die Kritiker dagegen haben. Was will die Koalition erreichen?Die große Koalition und das Justizministerium sehen in dem Fahrverbot ein zusätzliches Mittel, „zielgenau, spürbar und schuldangemessen auf den Täter einzuwirken“, sagte Justizminister Maas beim VGT im Januar. Die Idee: Der Führerscheinentzug soll jene besonders hart treffen, denen eine Geldstrafe nicht weh tut. Das hatten SPD und CDU/CSU in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Zum Einsatz kommen soll der Führerscheinentzug vor allem bei „kleinerer und mittlerer Kriminalität“. Also Taten, für die es üblicherweise Geldstrafen gibt oder kurze Freiheitsstrafen. Letztere sollen gegebenenfalls vermieden werden, indem ein Fahrverbot verhängt wird. Wie soll das Fahrverbot konkret angewandt werden?Das Fahrverbot soll nicht als alleinige Strafe verhängt werden. Es behält weiterhin den Charakter einer sogenannten „Nebenstrafe“. Der Richter soll entscheiden, ob neben der „Hauptstrafe“ (üblicherweise: Geldstrafe) auch das Fahrverbot in Frage kommt. Vier Konstellationen sind denkbar: 1. Eine Geldstrafe allein würde den Täter nicht ausreichend beeindrucken, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Eine Freiheitsstrafe erscheint aber als zu einschneidend und dürfte demnach nicht verhängt werden. Das Fahrverbot schließt dann die „Sanktionslücke“. Ergebnis: Geldstrafe plus Fahrverbot. 2. Das Fahrverbot wird verhängt, um die Geldstrafe reduzieren zu können. Ergebnis: Geldstrafe plus Fahrverbot. 3. Eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, wird um den Führerscheinentzug ergänzt. Ergebnis: reduzierte Bewährungsstrafe plus Fahrverbot. 4. Eigentlich wäre eine Freiheitsstrafe zu verhängen oder zu vollstrecken. Zur Vermeidung der Freiheitsstrafe wird das Fahrverbot verhängt. Ergebnis: Geldstrafe oder Bewährungsstrafe plus Fahrverbot. Was sagen die Kritiker zur Gesetzesänderung?Die Grünen und die Linke haben sich nur knapp zur beschlossenen Gesetzesänderung geäußert. Allerdings standen während der Beratung diverse andere Themen auf der Agenda, die nichts mit dem Führerscheinentzug zu tun hatten, sondern mit der Überwachung der Telekommunikation oder der Vereinfachung von Straf- und Ermittlungsverfahren. Die Linke findet die „Regelungen zum Führerscheinentzug als Strafe (…) aus richterlicher Sicht unsinnig“. Die Grünen halten die Änderung für „kriminalpolitisch verfehlt“. Wie viele andere Kritiker fürchten sie eine Ungleichbehandlung von Straftätern, die gegen die Verfassung verstoßen könne. Je nach Wohnsitz, wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnissen, würde der Führerscheinentzug Täter unterschiedlich hart treffen. Die meisten Kritikpunkte wurden bereits beim Verkehrsgerichtstag diskutiert. VGT-Präsident Nehm zweifelte schon an der Begründung, dass manche Täter mit einer Geldstrafe nicht zu erreichen seien. Schließlich liege der Höchstsatz bei „360 Tagessätzen zu jeweils 30.000 Euro“. Ähnlich argumentiert der Auto Club Europa (ACE). Wer sich durch Haft- oder Geldstrafen nicht abschrecken lasse, den schrecke auch kein Fahrverbot. Autoclubs gegen das FahrverbotKritisiert wird außerdem, dass eine Spezialstrafe für Autofahrer geschaffen werde. Geld- und Freiheitsstrafe lasse sich auf jeden Bürger anwenden. Ein Fahrverbot treffe laut dem ADAC nur Führerscheininhaber, die auch Autobesitzer seien. Der Automobilclub von Deutschland (AvD) sieht "eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung" von Tätern. Wer in Städten mit gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr wohne, werde weniger hart bestraft, als Bewohner ländlicher Regionen. Wer auf seinen Führerschein angewiesen sei, um zur Arbeit zu kommen, werde ungleich härter bestraft. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hält die Regelung für kontraproduktiv, die Verkehrsexperten im Deutschen Anwaltverein bezweifeln, dass die Fahrverbote ausreichend kontrolliert werden könnten. Daher sei die Regelung sinnlos. Die Rechtsabteilung des ADAC befürchtete zudem eine Flut zusätzlicher Verfahren. Die Verurteilten würden vermehrt in Berufung gegen das Fahrverbot gehen. |