Diesel-Pkw sollen nach einer Hardware-Nachrüstung maximal 270 mg/km Stickoxide ausstoßen. Und: Umtauschprämien sollen auch für Gebrauchtwagen gelten. Das sieht ein Konzept der Bundesregierung vor.
Berlin - Ist das der Durchbruch in der Diesel-Debatte? In der Nacht einigte sich die große Koalition offenbar auf ein Maßnahmenpaket, mit dem der Ausstoß von Schadstoffen vor allem in besonders belasteten Städten sinken soll. Diesel-Besitzer in besonders betroffenen Regionen sollen ihr Fahrzeug entweder nachrüsten können oder erhalten eine Kaufprämie für ein anderes Fahrzeug. Von der Autoindustrie erwartet die große Koalition Hardware-Nachrüstungen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes. Die Nachrüstungen sollen den Stickoxidausstoß im Praxisbetrieb auf weniger als 270 mg/km reduzieren. Zum Vergleich: Gemäß der Schadstoffnorm Euro 5 dürfen Autos auf dem Prüfstand maximal 180 mg/km Stickoxide ausstoßen. Gemäß der Norm Euro 6b lag der Grenzwert bei 80 mg/km. Abseits des Prüfstands stießen die Autos jedoch in vielen Betriebszuständen ein Vielfaches dieses Wertes aus. Wer nun künftig nach welchem Zyklus überwachen soll, wie ein Auto auf die 270 mg/km kommt, ist noch unklar. Wahrscheinlich ist, dass der sogenannte RDE (real driving emissions), also der von der Europäischen Union beschlossene "praktische Fahrbetrieb" als Messgrundlage dient. Welches System indes dazu geeignet ist, dauerhaft ein Auto sauberer zu machen und dessen Komfort und Qualität zu erhalten, auch das ist noch nicht definiert. Umstritten bleibt zudem die Frage, wer die Haftung für die Umbauten tragen soll. Nach dem Willen der Bundesregierung soll dies der jeweilige Nachrüster sein. Sowohl die Anbieter von entsprechenden SCR-Nachrüstkatalysatoren als auch die Autohersteller hatten dies bisher abgelehnt. Gutachten: Aufwand und Kosten der Hardware-Nachrüstung Prämien auch bei GebrauchtkaufNicht in jedem Fall ist eine Umrüstung technisch sinnvoll oder möglich. Die Hersteller haben neue Prämien für Diesel-Umtauschaktionen zugesagt. VW bietet bis zu 5.000 Euro. Anders als bei entsprechenden Rabatt-Prämien in der Vergangenheit soll nun auch der Tausch gegen ein anderes Gebrauchtfahrzeug möglich sein, nicht nur gegen ein Neufahrzeug. Generell können Kunden beim Autokauf mit Rabatten von einigen Tausend Euro rechnen. Dabei solle "der besondere Wertverlust, den Diesel-Fahrzeuge durch die Debatte um deren Schadstoffausstoß erlitten haben, ausgeglichen werden". Von den ausländischen Herstellern würden vergleichbare Angebote erwartet. Betroffene RegionenBeides, sowohl das Angebot der Nachrüstung als auch des Umtauschs, soll in besonders belasteten Regionen gelten. Das sind laut Konzept 14 "besonders betroffene Städte" mit hohen Grenzwertüberschreitungen bei der Luftbelastung: München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg an der Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg. Zum anderen geht es um Städte, in denen Fahrverbote drohen. Einbezogen werden sollen auch Bewohner der angrenzenden Landkreise und "außerhalb dieser Gebiete wohnhafte Fahrzeughalter, die ein Beschäftigungsverhältnis in der Stadt haben". Ebenso Selbstständige, die ihren Firmensitz in der Stadt haben und deswegen aus beruflichen Gründen in die Städte pendeln müssen, sowie Fahrzeughalter mit besonderen Härten. Bei dem Treffen hatte es ein schwieriges Ringen um Lösungen für Diesel-Fahrer gegeben. Besonders kompliziert waren die Verhandlungen über Umbauten an Motoren, auf die vor allem die SPD bestanden hatte. Dabei waren vor dem Treffen schwierige Fragen von Finanzierung und Haftung deutlich geworden. Nach den jüngsten Regierungskrisen wollten Union und SPD mit einer Verständigung auch Handlungsfähigkeit beweisen. In Bayern und Hessen werden in diesem Monat die Landtage neu gewählt. Hintergrund: Darum geht es beim Diesel-Paket Scheuer: "Müssen noch Gespräche führen"Mit der Industrie sind die Pläne der Bundesregierung offenbar nicht konkret abgestimmt. Das hob auch Verkehrsminister Andreas Scheuer am Mittag hervor. Er sieht bei den Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen noch einigen Klärungsbedarf. "Das Thema Tausch und Umtausch oder Prämien wirkt unmittelbar und sofort, das haben mir die deutschen Hersteller so auch zugesagt", sagte er am Dienstag bei der Vorstellung des Diesel-Konzepts der großen Koalition in Berlin. "Bei der Hardware-Nachrüstung müssen wir noch Gespräche führen, nicht nur auf der finanziellen Seite, sondern auch auf der technischen Seite." BMW habe sich zum Beispiel entschlossen, überhaupt keine Hardwarenachrüstungen zu machen. Es gebe andere Hersteller, die ihr Okay gegeben hätten, sagte Scheuer zum Beispiel mit Blick auf VW. Man habe sich politisch geeinigt, jetzt gehe es um die Details der Umsetzung. Er habe einen ersten Rundruf gestartet. Das Konzept sei positiv bewertet worden von den deutschen Herstellern. Er hoffe darauf, dass auch ausländische Hersteller attraktive Angebote machen werden. "Wir sitzen im Koalitionsausschuss ja nicht mit der Automobilindustrie zusammen", betonte Scheuer. Er rede auch mit ausländischen Herstellern. Wenn Besitzer eine Hardware-Nachrüstung wollen und solche Systeme verfügbar und geeignet seien, erwarte der Bund "vom jeweiligen Automobilhersteller, dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt". Die Haftung sollen die Nachrüstfirmen übernehmen. Scheuer betonte, es gebe im Werkvertragsrecht klare Regelungen, dass jeder Hersteller Verantwortung für seine Bauteile übernehmen müsse. Umweltministerin Svenja Schulze sagte, sie sei überzeugt, dass die Automobilindustrie die Chance nutzen werde, die die Koalition ihr mit dem Kompromiss biete. In den vergangenen Jahren sei viel Vertrauen verloren gegangen, nun gebe es die Möglichkeit, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Schulze sagte, wie Scheuer wolle auch sie keine blaue Plakette zur Kennzeichnung sauberer Wagen. So reagieren die AutoherstellerDie Autohersteller reagierten in ersten Stellungnahmen verhalten. Opel lehnt Hardware-Nachrüstungen für Diesel ab, "da sie ökonomisch nicht sinnvoll und technologisch nicht ausgereift sind", teilte die deutsche PSA-Tochter mit. Zudem würde es zu lange dauern, die Nachrüstungen durchzuführen. "Der Dialog war intensiv", sagte BMW-Vorstandschef Harald Krüger am Dienstag auf der Pariser Automesse. "Es war geprägt von zwei Dingen aus meiner Sicht: Den Diesel weiterhin als Technologie zu erhalten", sagte der Manager, "und dem Kunden Lösungen für mögliche Fahrverbote zu bieten." Zu Details der Einigung wollte sich Krüger zunächst nicht äußern. Wie viele Autos von BMW für eine Hardware-Nachrüstung in Frage kommen, konnte Krüger zunächst nicht sagen. BMW-Autos der Schadstoffnormen Euro 5 und 6 seien aber im Schnitt besser beim Schadstoffausstoß als der Wettbewerb. "Insofern ist unsere Ausgangsposition sicherlich besser", sagte Krüger. Daimler hält seine Position zu den Diesel-Beschlüssen der Regierungskoalition in Berlin vorerst offen. Man habe konstruktive Gespräche über Lösungen für die Kunden geführt, nun werde man sich den Vorschlag genau anschauen und sich dann erst dazu äußern, hieß es am Dienstag. Volkswagen-Betriebsratschef Bernd Osterloh sieht in der Diesel-Einigung der Bundesregierung eine gute Nachricht für die Job-Sicherheit in der Branche. Vor allem sei ein einseitiger Weg mit der Verpflichtung zu pauschaler Hardware-Nachrüstung vom Tisch, sagte Osterloh am Dienstag. Diese Verpflichtung hätte nur die deutschen Hersteller getroffen, betonte er. "Das ist eine gute Nachricht für die Sicherheit unserer Arbeitsplätze." Auto-Experte Stefan Bratzel begrüßte die „Kombination von hohen Umtauschprämien zum Kauf sauberer Fahrzeuge und für den Endkunden kostenfreien Hardware-Nachrüstungen“. Der Leiter des „Center of Automotive Management“ in Bergisch Gladbach kritisierte die Beschränkung der Förderung auf bestimmte Regionen. Auch Einwohner anderer Regionen seien vom Wertverlust betroffen und könnten in betroffene Regionen einfahren. Die Schaffung gesetzlicher Vorausetzungen, dass Fahrzeuge, die weniger als 270 g/km NOx ausstoßen, von Fahrverboten ausgenommen werden könnten, sieht Bratzel als positiv für „Restwert und Umrüstquoten“. Ob so Fahrverbote vermieden werden könnten, sei aber noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Maßnahmen gegen drohende Dieselfahrverbote gingen immerhin in die richtige Richtung, sagte FDP-Chef Christian Lindner. Allerdings sei eine Einigung verkündet worden, ohne vorher mit der Autoindustrie über die von ihnen verlangten Beiträge zu sprechen. Außerdem werde möglicherweise viel Steuergeld verschwendet, weil die zweifelhaften Verfahren zur Messung der Luftschadstoffe bislang nicht überprüft worden seien.
Quelle: dpa/bmt
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