Was ändert sich durch den Prüfzyklus WLTP für Hersteller und Kunden? Vieles, wie: Das Konfigurieren wird für beide komplizierter. Ein Einblick in VWs Abgas-Testzentrum.
Wolfsburg - Geheim, geheimer, Abgaszentrum. Normalerweise lässt Volkswagen keine Besucher in den Wolfsburger Trakt mit der höchsten Sicherheitsstufe. Dort werden alle kommenden Entwicklungen des Konzerns auf Verbrauch und Emissionen getestet. Doch Richard Preuß darf heute mal eine Ausnahme machen. Der Herr über 21 Prüfstände im Wert von mehr als 100 Millionen Euro soll für Transparenz sorgen. Quelle: Volkswagen Nach dem Höhepunkt der Dieselkrise will VW Vertrauen aufbauen - in sich selbst, aber auch in die neuen Abgasnormen. Denn die sind erklärungsbedürftig. Besonders für die Kunden bei der Konfiguration. In zehn Monaten muss jeder Neuwagen den Verbrauch nach der "Worldwide harmonized Light vehicle Test Procedure" (WLTP) ausweisen. Schon jetzt gilt das für neue Modelle und Motorvarianten. Erster WLTP-VW wird der Up GTI, der Anfang 2018 auf den Markt kommt. Bei Preuß und seinen Mitarbeitern führt die startende Vorschrift schon jetzt zu viel Mehrarbeit. "Statt 40.000 machen wir inzwischen 55.000 Abgasmessungen im Jahr - und bald werden es 70.000 sein." Sechs-Tage-Woche, zwei Schichten und Nachteinsätze sind angesagt. Sechs neue Prüfstände sind im Bau. Die Einführung des WLTP-Zyklus ist eine Mammutaufgabe. Jede Modellvariante muss geprüft werdenZehn Jahre lang haben Ausschüsse der Vereinten Nationen die globale Norm geplant, die endlich realistischere Verbrauchsangaben bringen soll. "Schon lange vor der Abgasaffäre", wie Volkswagens Projektleiter für WLTP Jan Dossing betont. Die Vorfälle haben aber sicher den Prozess noch mal dramatisiert. Die neue Norm für die Prüfstand-Tests setzt an mehreren Stellen an. Zunächst mal wurde dafür nicht wie beim Vorgänger NEFZ einfach in Fachkreisen am grünen Tisch ein genormter Testparcours definiert. Der war pedantisch bei den Vorgaben für Reifen, Öl oder exakter Temperatur - aber weltfremd in seinem Mix aus Schleichtempo (durchschnittlich 34 km/h) und Höchstgeschwindigkeit (mickrige 120 km/h für gerade einmal zehn Sekunden). Im WLTP liegen reale Nutzungsdaten von normaler Autofahrern aus China, den USA, Indien oder Europa dem Testaufbau zugrunde. Im Unterschied zum NEFZ muss für die Typgenehmigung jetzt länger gefahren werden, mit weniger Stillstand, bei bis zu gut 130 km/h und auch bei kälteren Temperaturen. Das ist wichtig für die Realitätsnähe. Was die Komplexität für die Hersteller nach oben treibt: "Es reicht jetzt nicht mehr, allein für eine Kombination von Motor und Getriebe einen allgemeingültigen Verbrauchswert zu bestimmen”, so Preuß. Stattdessen muss jede mögliche Kombination mit verschiedenen Ausstattungen einzeln abgeprüft und genehmigt werden. Neu geprüft wird, sobald eine Option den Rollwiderstand, das Gewicht oder die Aerodynamik verändert. Im Falle VW bedeutet das: Bei einem 1,2-Liter-Benziner mit Doppelkupplungsgetriebe gibt es unterschiedliche Werte mit und ohne Schiebedach, mit und ohne Dachspoiler, je nach Bereifung. Sogar die Lackierung hat einen Einfluss auf das Gewicht. Jede daraus mögliche Mischung, die der Kunde bestellen kann, muss separat getestet werden. "Das sind allein bei einem Golf tausende Kombinationen - ein Riesenaufwand", so Preuß. Zuvor müssen die Hersteller den Einfluss ihres Ausstattungskatalogs auf prüfrelevante Einflüsse hin bewerten. Bei VW sind das je Motor-Getriebe-Variante etwa 300 Teilenummern allein für die Aerodynamik. Doch das Zubehör beeinflußt eben Abgasverhalten und Verbrauch. Das blieb dem Kunden bisher verborgen, wenn er nur die Verbrauchsdaten der Normalversion im Prospekt sah. Auch bei den alternativen Antrieben steigt der Aufwand: Bei Plug-in-Hybriden wurden bisher drei Messswerte erfasst, künftig sind es 20. Neu sind zum Beispiel der Stromverbrauch oder der Verbrauch in einzelnen Prüfabschnitten wie dem Stadtzyklus. Näher dran als NEFZQuelle: VolkswagenDas frustrierte schon vor dem Abgas-Skandal viele Verbraucher, deren reale Verbrauchswerte weit entfernt waren von den Normangaben der Hersteller. Auch mit WLTP wird das oftmals der Fall sein. Zum Beispiel, wenn der Kunde gern mal später bremst, die Gänge ausfährt oder stärker beschleunigt. Die Norm-Werte werden aber dem wirklichen Verbrauch deutlich näherkommen, sagt Preuß voraus. Zumal es in Europa nicht bei der Umstellung auf WLTP bleibt. Die Hersteller müssen für alle Neuwagen zusätzlich ab September 2018 nachweisen, dass keine Version eines Modells bei Temperaturen unter minus sieben oder über 35 Grad und mit fast maximaler Zuladung die WLTP-Werte um mehr als das 2,1-Fache überschreitet, und zwar bei einem längeren Testlauf auf öffentlichen Straßen. Das sind die sogenannten "RDE"-Tests. Deren Ergebnisse kann jeder nachprüfen, der ein dafür zertifiziertes Gerät an den Auspuff anschließen kann - Behörden, Autoclubs oder Verbraucherschützer. Bei einem nachgewiesenen Verstoß droht der Entzug der Zulassung für das Modell. Wobei Fahrten im realen Straßenverkehr nie komplett vergleichbar sind, da jede Fahrt theoretisch einzigartige Messergebnisse liefert. Eine reine Prüfstandsoptimierung von Fahrzeugen ist dann trotzdem nicht mehr sinnvoll für die Hersteller. Mehr CO2 auf dem Papier = höhere Kfz-SteuerDer ganz große Jubel über die neue Transparenz dürfte bei den Kunden allerdings nicht eintreten. Denn die Verbrauchswerte nach WLTP "werden auf jeden Fall höher als die bisherigen nach NEFZ ausfallen", sagt Projektleiter Dossing. Sein Trost: Real werden die Autos nach dem 1. September 2018 zwar nicht mehr verbrauchen als vor der Umstellung. Quelle: Volkswagen Allerdings werden sie mehr kosten - und zwar bei der Kfz-Steuer. Denn die wird teilweise nach dem CO2-Ausstoß bemessen. Das Bundesfinanzministerium hat erst vor kurzem nüchtern festgestellt: "Tarifänderungen am Steuersatz für CO2 sind nicht vorgesehen." Steigt der Verbrauch eines Fahrzeugs nach Änderung der Norm um 10, 20 oder mehr Prozent, dann muss der Besitzer dies bei der Kfz-Steuer bezahlen. Der WLTP-Schock wird für den Steuerzahler kaum ein Jahr darauf in die Verlängerung gehen: Dann werden auch die Verbräuche von Klimaanlagen mit in der Testnorm berücksichtigt. Das wird die Steuer noch einmal erhöhen. Einen Ausweg will VW seinen Kunden bei der Konfiguration von Neuwagen anbieten: Wer etwa ein schweres Glasdach oder eine Anhängerkupplung anklickt, dem schlägt die Software vor, das Zusatzgewicht etwa mit Leichtlaufreifen und Dachspoiler zu kompensieren. Denn auch im Konfigurator muss der Verbrauchseinfluss aller denkbaren Kombinationen abrufbar sein.
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