Wir erleben die Evolution des Leichtbau-Keils aus Großbritannien: Glühen in McLarens "erstem" Straßensportler 12C, dem überarbeiteten 650S und dem aktuellen Hammer 720S.
Leipzig – Diese Beschleunigung jenseits der 5.000 Umdrehungen erlebt man sonst eher im Flugzeug. Wenn sich der Oberkörper beim Start immer tiefer in den Sitz drückt und man sich fragt, ob der Schub jemals endet. Der Unterschied zwischen McLaren-Fahrersitz und Airbus-Fensterplatz: Bei Volllast im britischen Supersportler verrät der Drehzahlmesser zumindest, wann eine Unterbrechung ansteht. Spätestens nämlich, wenn der doppelt aufgeladene V8 die 8.500 Umdrehungen erreicht und das Doppelkupplungsgetriebe nachlegt. Außerdem fiel die Sicherheitsunterweisung durch die McLaren Crew kürzer aus als jene der Stewardessen. Und prägnanter: „Lass diesen 12C ganz. Der hat Historie.“ Wir fahren im Modell mit der Fahrgestellnummer 00001. Dem ersten jemals gebauten Serienfahrzeug der Marke. Oder sagen wir: Dem ersten, seit sich McLaren nicht mehr als Rennstall mit angeschlossener Homologationswagen-Produktion versteht. Soll heißen: Kennzeichen hatten 72 der 106 gefertigten F1 mit drei Sitzen und zentral montiertem Lenkrad ebenfalls. Doch die bildeten Mitte der 1990er-Jahre lediglich die Grundlage, um mit der Rennversion an GT-Rennen der FIA teilnehmen zu dürfen. Der zwischen 2011 und 2014 gebaute MP4-12C sollte alltagstauglicher sei und auf Rennstrecken ebenso funktionieren wie auf Land- und Ringstraße. Das ist seitdem die Prämisse aller Kernmodelle der Marke. Nach dem Produktionsende des 12C erfüllte der 650S diese Rolle. Aktuell bildet der 720s die Mitte zwischen den zahmeren Sport-Series-Modellen (540C und 570er-Varianten) und den extremen Ultimate-Fahrzeugen (einst P1, aktuell Senna, bald BP23). Der erste, irgendwie: McLaren 12C12C, 650S und 720S – am Ende des McLaren-Testtages werden wir mehr als 1.900 kumulierte PS bewegt haben. Bei den neueren Modellen lässt sich die Leistung aus der Namensgebung herleiten. Bei unserem „Ur-Modell“ ist die Frage nach dem Power-Output nicht nur aufgrund der Nomenklatur kniffeliger. An sich verfügte der erste McLaren-Straßensportler der Neuzeit über 600 PS. Gegen Ende des Lebenszyklus gab es ein Software-Update für den 3,8-Liter-Motor – plus 25 Pferde. Ob dieses beim intern „Job One“ genannten Modell durchgeführt wurde, weiß heute keiner mehr so genau. Für McLaren dreht sich eben mehr um Leichtbau als um Leistung. Etwas mehr als 1.300 Kilogramm wiegt das Auto auf Basis einer Carbon-Monocell. Mit der Dämmung übertrieben es die Engländer damals nicht. Ein 12C ist innen relativ laut, im Stand spürt man die Vibrationen des mittig montierten Aggregates deutlich. Gut so, Supersportler-Fahren darf ruhig fordernd sein. Die Schwierigkeitsstufe für den Fahrer (und seine Bandscheiben) lässt sich über die Drehregler an der Mittelkonsole verstellen. Normal (bzw. Comfort), Sport und Track stehen zur Wahl, gesondert justierbar für die Arbeitsweise der adaptiven Dämpfer und des Antriebsstranges. Das Prinzip findet bis heute bei McLaren Verwendung. Im scharfen Modus wartet das siebenstufige Doppelkupplungsgetriebe bis zur Maximaldrehzahl, ehe es den nächsten Gang nachfeuert. Zurückgeschalten wird hier früh, um den Achtzylinder im geeigneten Drehzahlfenster zu halten. Also irgendwo im Bereich ab 5.000 Umdrehungen, hier funktioniert das von McLaren selbst entwickelte Aggregat richtig gut, darunter fällt der 12C mitunter ins Turbo-Loch. Herz-Operation beim Gesichts-Lifting: 650SWechsel in den Nachfolger: Theoretisch handelt es sich beim ab 2014 gebauten Modell um ein Facelift. McLaren änderte zwar nichts an der Basis, tauschte jedoch beinahe jedes vierte Teil. Der 3,8-Liter-V8 kam mit geändertem Zylinderkopf, leichterer Kurbelwelle und neuen Kolben auf 650 PS und 678 Nm (ein Drehmonent-Plus von 78 Nm). Der 650S spricht unten spontaner an und geht im oberen Drehzahlbereich noch besser. Nimmt man den Fuß vom Gas, zwitschern einem die Turbolader etwas vor – herrlich! Das aktuellste Sport-Series-Modell schießt in solchen Situationen gelegentlich. Der V8 des 720S hat den Aggregaten der Vorgänger 200 Kubikzentimeter Hubraum voraus. Die Maximalleistung steht laut Datenblatt bei 7.500 Umdrehungen bereit, das maximale Drehmoment von 770 Nm bei 5.000 bis 6.500 Umdrehungen. Der 720S entkommt dem Drehzahl-Keller schneller. Bei Vollgas saugt ein überraschter Beifahrer wohl mehr Luft ein als die beiden überarbeiteten Turbolader im Heck zusammen. Mehr Hubraum, mehr Wahnsinn: Der aktuelle 720SDie Lenkung des 720S bietet mehr Widerstand als die der Vorgänger und stellt sich geringfügig leichter zurück. Wir steuern den auf einem Carbon-Käfig basierenden McLaren über die Landstraßen nahe des Brocken. Der hinterradgetriebene Sportler mit einem Trockengewicht ab 1.283 Kilogramm scheint über passable Traktion zu verfügen. Valide Aussagen über die Seitenführungs-Belastungsgrenze sind in diesem Umfeld jedoch schwer. Gelegentlich verrät die wild flackernde Lampe der Traktionskontrolle, dass die Gaspedal-Stellung in der Kurve bereits optimistisch gewählt war. Das System kann weniger restriktiv gestellt werden, sogar eine Art Drift-Modus ist wählbar. Auf öffentlicher Straße unterlassen wir beides. Einen minimalen Sidestep erleben wir dennoch – und registrieren ihn mit Interesse. Man fasst eben recht schnell Vertrauen zu den McLaren-Modellen. Vielleicht, weil sie viel über den Straßenzustand vermitteln. Vielleicht, weil sich ihre Größe aufgrund der leichten Höcker an der Front-Haube präzise abschätzen lässt. Vielleicht, weil sich im Zweifelsfall mithilfe der potenten Karbon-Keramik-Bremsanlage (inklusive Airbrake, also aktivem Spoiler) noch einiges retten ließe. Mit der Sitzposition hat es jedenfalls nichts zu tun. Wenn ein McLaren-Fahrer von wild rutschendem Hintern erzählt, ist das wohl wortwörtlich gemeint. Die eng taillierten Sitze bieten guten Seitenhalt, in der Längsrichtung kämpft man aber. Das neue Mittel-Ding als Option: 600 LTDas aktuelle Super-Series-Modell 720S kostet ab 259.210 Euro. Der Vorgänger 650S war in der getesteten Spider-Variante ab rund 255.000 Euro erhältlich. Auf mobile.de stehen aktuell drei Gebrauchte zum Verkauf. Mit rund 200.000 Euro muss man rechnen. Der 12C ist als Gebrauchter häufiger, bei einigen der 48 auf mobile.de feilgebotenen Exemplare liegt der Preis im hohen fünfstelligen Bereich. Die Mehrzahl der Fahrzeuge kostet zwischen 130.000 und 150.000 Euro. Jüngst schob McLaren ein Modell zwischen den 540 bis 570 PS starken Einstiegs-Modellen und dem aktuellen 70S-Hammer ein: Im 600 LT (für Longtail) kommt die 3,8-Liter-Variante des V8-Aggregates auf 600 Ps und 620 Newtonmeter. Das Trockengewicht liegt mit 1.247 Kilogramm im Bereich der Massen der getesteten Sport-Series-Modelle. Verstellbare Aerodynamik-Hilfsmittel gibt es hier allerdings nicht. Der McLaren 600 LT kostet ab 230.000 Euro. Vom 720S trennt ihn damit der Gegenwert eines gut ausgestatteten Kompaktwagens. Den Schub des englischen Bi-Turboserlebt man eben leider in keinem Fall zum Discount-Preis. An ein Ticket zweiter Klasse für einen Linienflug kommt man deutlich günstiger. Nur: Dass fliegen schöner ist, stimmte vielleicht beim Opel GT. Bei diesen McLarens aus der Superserie garantiert nicht. Technische DatenModell: McLaren 720S
Modell: McLaren 650S Spider
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