VW will mit Software-Updates die Abgaswerte von Millionen Dieselmotoren verbessern. Wie das Update funktioniert und was im Motor passiert, lest Ihr hier.
Quelle: dpa / Picture Alliance
München – Im Dieselskandal blieb eine Frage bisher unbeantwortet: Warum funktioniert jetzt, was nicht ging, als die Motoren auf den Markt kamen? Betroffene Autofahrer finden es unbegreiflich, wie ein Software-Update die Abgaswerte maßgeblich verbessern soll. Vor wenigen Jahren betrog VW, um den Stickoxidausstoß in die Norm zu pressen. Nun sollen, überspitzt formuliert, ein paar Zeilen Code genügen. VW zieht einen abstrakten Vergleich. Der Dieselmotor habe Parallelen zu einem Smartphone. Dort verbessern Software-Updates Akkulaufzeit, Leistung und Bedienbarkeit. Im Auto soll das auch klappen, weil man neue Erkenntnisse einsetzt. Wissen, das bei der Einführung der Motoren noch nicht verfügbar war. Aber wie genau das funktioniert, blieb bisher geheim. Update der EA189-Diesel: Technische HintergründeQuelle: dpa / Picture Alliance VW nannte nur die äußeren Umstände. Nachteile soll es für den Kunden nicht geben, sagt der Konzern. Nicht bei Leistung, Drehmoment, Verbrauch, Komfort oder Haltbarkeit. Jetzt erstmals erfahren wir, warum das so ist. MOTOR-TALK erhielt Einblick in die neue Software der „EA189“-Skandaldiesel und erklärt die Veränderungen. Das Update betrifft vier Bauteilgruppen im und am Motor. Diesel-Partikelfilter, Einspritzdüsen und Abgasrückführungsventil bekommen in bestimmten Lastbereichen eine neue Abstimmung. Zudem misst der Luftmassenmesser genauer. Im 1.6 TDI rüstet VW ein Bauteil im Ansaugtrakt nach. Ziel war es, die Verbrennung zu verbessern, um die Entstehung von Stickoxiden zu reduzieren. Verbrauch und Partikelausstoß durften sich dabei nicht verschlechtern. Hier beschreiben wir alle Maßnahmen im Detail. Einspritzdüsen: Staffeleinspritzung, KraftstoffdruckFunktionsweise: Einspritzdüsen (Injektoren) versorgen den Motor mit Kraftstoff. Eine externe Pumpe baut einen hohen Druck im Kraftstoffsystem auf. Beim EA189-Motor sind es bis zu 1.800 bar. Ein Ventil im Injektor öffnet, der Diesel sprüht in den Brennraum. Problematik: Wenn bei Last wenig Diesel auf viel Luft trifft, verbrennt das Gemisch heiß. Stickstoff-Moleküle spalten sich auf und reagieren zu Stickoxiden. Wo viel Diesel auf wenig Luft trifft, verbrennt der Kraftstoff nicht vollständig. Es entsteht Ruß. Im Normalbetrieb stießen EA189-Motoren zu viele Stickoxide aus. Bei Prüfstandsfahrten veränderte die Betrugssoftware die Gemischbildung. Bei Messungen wirkte der Motor sauber. Das ändert sich beim Update: Der Einspritzvorgang des Motors wird aufgeteilt. Der Diesel sprüht während der Haupteinspritzung nicht in einem Schwung in den Motor, sondern nacheinander in einer großen und einer kleinen Dosis. Experten sprechen von einer Staffeleinspritzung. Der Einspritzvorgang startet früher als bisher. Zudem hebt VW den Kraftstoffdruck an. In einigen Teillastbereichen steigt er um 50 bis 250 bar. Den bisherigen Maximaldruck von 1.800 bar übersteigt er jedoch nicht. Wirkung: Die zweite Diesel-Dosis verbrennt Ruß, bevor er den Brennraum verlässt. Deshalb darf zuvor mehr Ruß entstehen. VW verändert die Dieselmenge so, dass weniger Stickoxide und mehr Ruß produziert werden. Üblicherweise bedeutet das einen höheren Verbrauch. Die frühere Einspritzung und der höhere Kraftstoffdruck verbessen im Gegenzug die Effizienz. VW sagt, diese Maßnahmen genügen, um mit der gleichen Dieselmenge weniger Stickoxide und (zunächst) mehr Ruß zu produzieren. Zusätzlicher Ruß wird in der nachgelagerten Einspritzung zum großen Teil verbrannt. Darum ging das früher nicht: Die Staffeleinspritzung („Split Main Injection Pattern“) existierte bei der Markteinführung der EA189-Motoren laut VW nur in Versuchsform. Für die Serie war es noch zu früh. VW führte diese Art der Einspritzung beim Nachfolgemotor EA288 ein. Risiken: Die Einspritzdüsen müssen häufiger öffnen und schließen als bisher. Der Kraftstoffdruck bleibt im vom Zulieferer genehmigten Rahmen, steigt im Durchschnitt aber an. Der Hersteller der Einspritzanlage gibt an, dass es dadurch nicht zu nennenswert größeren Ausfallraten kommt. Das sagt der Experte: Dr.-Ing. Bernd Lenzen, Oberingenieur an der TU Darmstadt am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugantriebe, hält die neue Einspritztaktik für den richtigen Weg: „Grundsätzlich sind Mehrfacheinspritzstrategien geeignet, die Stickoxidemissionen zu reduzieren.“ Die angewandten Maßnahmen haben allerdings Vor- und Nachteile. Ein gesteigerter Einspritzdruck bedeute eine höhere Effizienz und könne die Partikelemissionen senken, steigert aber meist den Stickoxidausstoß. Zudem sei die Späteinspritzung thermisch ineffizient. „Jedoch reicht hier eine kleine Spritzmenge aus, um die Nachverbrennung der Rußpartikel zu initiieren. Daher wird der theoretische Mehrverbrauch in der Praxis wahrscheinlich nicht messbar sein.“ Abgasrückführungsventil (AGR): Andere RatenQuelle: dpa / Picture Alliance Funktionsweise: Das Abgasrückführungsventil greift Abgase aus der Auspuffanlage ab und leitet sie in den Brennraum. Diese Gase sind nicht brennbar und behindern gezielt und in geringem Maße die Verbrennung. Bildlich gesprochen: Sie sind unbeteiligt, nehmen aber Wärme auf. Dadurch sinkt die Temperatur im Brennraum. Es entstehen weniger Stickoxide. Zu hohe Konzentrationen von Abgasen erhöhen die Produktion von Ruß. Das ändert sich beim Update: VW programmiert die Ansteuerung des Ventils neu. An der Funktionsweise ändert sich nichts, aber am Hub und an der Frequenz. Je nach Fahrweise öffnet das Ventil also häufiger oder seltener, stärker oder weniger weit. Der genaue Unterschied lässt sich nicht pauschal definieren, sondern hängt vom Einsatz ab. Darum ging das früher nicht: Der Einsatz der Abgasrückführung ist abhängig von der Einspritzung. VW stimmt die Öffnungsrate auf die neue Taktik ab. Die aktuelle Abstimmung hätte mit der alten Einspritz-Taktik zu viel Ruß produziert. Die Feinstaub-Emissionen wären zu hoch gewesen. Risiken: Das AGR-Ventil war bereits vor dem Update ein problematisches Bauteil. Das Abgas wird im Krümmer entnommen, also vor der Reinigung durch den Partikelfilter. Ruß und Asche können sich im Ventil absetzen (Verkokung). Bei bestimmten Fahrprofilen können Kondenswasser und Ablagerungen eine harzähnliche Substanz bilden (Versottung). In diesen Fällen kann das Ventil klemmen und nicht mehr öffnen oder schließen. Dieser Defekt kostet Leistung, erzeugt Ruß und beeinträchtigt den Motorlauf. Nach Angaben von VW öffnete das AGR-Ventil mit neuer Abstimmung auf Testfahrten nicht merklich häufiger oder seltener als vor dem Update, aber im Durchschnitt weiter. In der Praxis ändert sich also vor allem der Hub, nicht die Frequenz. Es soll keine höhere Belastung für das Bauteil geben. Das sagt der Experte: Dr. Lenzen vermutet, dass die Anpassung der AGR-Rate den wichtigsten Teil des Updates ausmacht. Sie ließe sich aber nicht beliebig erhöhen, denn sie beeinträchtige Laufruhe sowie Partikelbildung und müsse mit zunehmender Motorlast reduziert werden. „Problematisch ist insbesondere die Gefahr der Versottung von AGR-Ventil und, falls vorhanden, AGR-Kühlern. Daher wird die Standzeit dieser beiden Komponenten sehr stark durch die Aktivierungsfrequenz und die Menge des rückgeführten Abgases beeinflusst“, erklärt Lenzen. Eine höhere Belastung verringert also möglicherweise die Haltbarkeit. Dieselruß-Partikelfilter (DPF): Häufigere RegenerationFunktionsweise: Der Partikelfilter fängt alle Ruß- und Aschepartikel auf, die den Motor verlassen. Er sammelt sie, bis seine Oberfläche vollständig belegt ist. Dann muss er regenerieren. Bei einer Abgastemperatur von mindestens 600° Celsius verbrennt Ruß. Das geht am besten bei hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn. Damit das in jeder Situation funktioniert, hilft der Motor. Er spritzt den Kraftstoff so spät ein, dass er unverbrannt aus dem Auslassventil in die Abgasanlage gelangt. Dort entzündet er sich und heizt den Partikelfilter auf. Asche kann nicht verbrennen und bleibt dabei im Filter. Sie entsteht bei der Verbrennung von Motoröl und setzt den DPF langfristig zu. Ab einer Laufleistung von 180.000 Kilometer wird das Bauteil deshalb überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht. Es handelt sich um ein Verschleißteil. Das ändert sich zum Update: Durch die neue Einspritzstrategie entsteht mehr Ruß. Das lässt sich nicht vollständig durch die nachgelagerte Einspritzung verbrennen. Der Partikelfilter füllt sich schneller und muss deshalb häufiger regenerieren. Darum ging das früher nicht: Die Regenerationshäufigkeit des DPF hängt vom Rußausstoß des Motors ab. Eine häufigere Regeneration ist nur nötig, wenn mehr Ruß im DPF ankommt. Risiken: Ein Partikelfilter kann sich beinahe beliebig oft regenerieren, ohne schneller zu verschleißen. Das Problem ist die Asche. Sie verbrennt nicht und verstopft ihn auf lange Sicht. Asche entsteht vor allem durch verbranntes Motoröl. Für die Lebensdauer des DPF ist also der Ölverbrauch des Motors verantwortlich. Darauf hat das Update keinen Einfluss. Das sagt der Experte: „Eine häufigere Regeneration des Partikelfilters verursacht theoretisch höhere Kraftstoffverbräuche. In der Praxis wird dies nicht messbar sein, weil auch bei veränderter Software die Häufigkeit der Regenerationsvorgänge so gering ist, dass diese im Gesamtverbrauch kaum noch eine Rolle spielen.“ Eine kleine Menge Asche entstehe zudem durch das Verbrennen der Rußpartikel. Die werde jedoch „kaum messbar sein und nicht zu Beeinträchtigungen führen.“ Laufleistungen von 180.000 Kilometern seien weiterhin realistisch. Strömungsgleichrichter beim 1.6 TDIQuelle: dpa / Picture Alliance Als einziger Motor bekommt die EA189-Variante mit 1,6 Litern Hubraum eine mechanische Veränderung. VW baut einen sogenannten Strömungsgleichrichter ein. Ein Bauteil, das aussieht wie ein Plastiksieb. Es soll den Luftstrom im Ansaugtrakt stabilisieren – und damit die Messresultate des Luftmassenmessers präzisieren. Bisher konnte der Luftmassenmesser nicht genau arbeiten. Turbulenzen verfälschten das Ergebnis. Mit sauberem Luftstrom kommt ein genauer Wert im Steuergerät an. Einspritzmenge und -zeitpunkt sind darauf abgestimmt. Das verbessert die Verbrennung. Die anderen betroffenen Motoren (1.2 TDI und 2.0 TDI) hatten solche Bauteile bereits serienmäßig im Ansaugtrakt. Bei allen Motorvarianten soll der Luftmassenmesser nun präziser arbeiten. Das sagt der Experte: Die Wirkung des Strömungsgleichrichters schätzt Lenzen als gering ein. „Allerdings kann die Abstimmung präziser erfolgen und hilft, in das gesetzlich erlaubte Emissionsfenster zu gelangen.“ Leistung und Drehmoment bleiben nach dem Update gleichDie Ingenieure schreiben nicht die ganze Motorsteuerung neu. Am Volllast-Kennfeld ändert sich zum Beispiel nichts. Dieser Bereich ist nicht Teil der Messzyklen und wurde deshalb nicht beanstandet. Höchstleistung und -drehmoment entsprechen deshalb dem alten Stand. Die Motoren werden nicht stärker oder schwächer, die Autos nicht langsamer oder schneller. Das gelte auch für getunte Autos, sagt VW. Für Fahrzeuge mit gesteigerter Leistung erarbeitet der Konzern gemeinsam mit den Tunern neue Softwarestände. Einzige Voraussetzung: Die Maßnahme muss eingetragen sein. Fahrer von getunten Fahrzeugen sollen sich an ihren Händler wenden. So testet der Konzern die neue SoftwareDie VW-Ingenieure schrieben insgesamt 296 Softwarestände für verschiedene Motor-, Getriebe- und Ausstattungskombinationen. Konzernweit sind es etwa 750 Varianten. Die Kernmarke war mit 223 Fahrzeugen auf Verbrauchs- und Vergleichsfahrten auf der Straße unterwegs. Die Tests hätten außerhalb einer Messungenauigkeit von +/-0,1 Liter pro 100 Kilometer im realen Betrieb keinen Mehrverbrauch ergeben. Allerdings waren nicht für alle Kombinationen Testfahrzeuge verfügbar. Hersteller lagern nicht jede Variante ihrer Autos. VW kaufte deshalb weltweit ein, fand aber nur für 77 Prozent aller Datenstände passende Autos. Einige Kombinationen aus Motor, Getriebe und Ausstattungsvariante wurden schlicht zu selten gebaut. Die fehlenden Modelle haben einen Anteil von zwei Prozent am Gesamtvolumen der betroffenen Fahrzeuge. Einige Varianten wurden laut VW gar nicht abgefragt. Das Kraftfahrtbundesamt hat die Updates für alle Konfigurationen genehmigt. Das bedeutet, dass sich bei Leistung und NEFZ-Verbrauch nichts ändert. Eine unabhängige Messung des Realverbrauchs bei allen Fahrzeugen wurde nicht durchgeführt. Der ADAC hat in Stichproben Fahrzeuge getestet und die Wirksamkeit des Updates bestätigt, zum Teil allerdings einen höheren Kraftstoffverbrauch festgestellt. Die Differenz lag zwischen 0,5 und 2,7 Prozent. Etwa 145.000 der betroffenen Fahrzeuge reinigen ihre Abgase mit der Harnstofflösung AdBlue in einem sogenannten SCR-Kat. Hier erhöht VW die Einspritzmenge dieser Flüssigkeit. Der AdBlue-Verbrauch steigt. Der Konzern gibt zum Ausgleich Gutscheine für fünf vollständige AdBlue-Betankungen aus. Den Autofahrern sollen keine Mehrkosten entstehen. Das sagen die Fahrzeugbesitzer zum UpdateNach dem Update scheinen nicht alle Fahrzeuge so problemlos zu fahren wie von VW beschrieben. Auf MOTOR-TALK schreiben Nutzer von defekten Einspritzdüsen, zugesetzten AGR-Ventilen und Partikelfiltern, die viel zu oft regenerieren müssen. Häufig treten diese Defekte kurz nach dem Update auf. Ein Zusammenhang liegt nahe. Er muss aber nicht bestehen. Zum Beispiel: Ein Partikelfilter, der bereits viel Asche gesammelt hat, bietet eine geringere Kapazität für Ruß. Nach dem Update muss er unangemessen häufig regenerieren. Der Schaden kommt nicht durch das Update, sondern durch verbranntes Öl. Seine Kapazität war bereits vorher eingeschränkt. Es fiel allerdings nicht auf. Mit der neuen Software ist er aber praktisch nicht funktionsfähig. Bei Bauteilen, die seit bis zu zehn Jahren in Betrieb sind, lässt sich die Schuld aber schwer zuweisen. VW gibt in Deutschland keine Garantie, bietet aber eine „vertrauensbildende Maßnahme“ an. Schäden sollen schnell und kulant beseitigt werden. Dieses Zugeständnis gilt allerdings nur, wenn das betroffene Fahrzeug bei VW gewartet wurde. Ist das nicht der Fall, zahlt der Kunde. VW gibt an, 98 Prozent der Diesel-Fahrer seien mit dem Update zufrieden. Bei etwa 2,5 Millionen betroffenen Fahrzeugen bedeutet das allerdings, dass 50.000 Kunden nach dem Update Probleme mit ihren Autos haben. Ihre Autos verbrauchen mehr, ruckeln oder müssen repariert werden. Trotz einer Umrüstquote von 90 Prozent in Deutschland ist der Abgasskandal also noch längst nicht ausgestanden.
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