Für ihn war sie das Beste, der Anfang und das Ende. Die Nordschleife ist "Strietzel" Stucks Wohnzimmer. Ein Gespräch zum 90. Geburtstag - der Strecke, nicht des Fahrers.
Quelle: ADAC 24h-Rennen Nürburgring & dpa/Picture Alliance Berlin/Ellmau/Nürburg – Die Pistenklause, jene Kneipe am Ring, ist wie das Archiv der Nordschleife. Nicht so alt, aber ähnlich abgenutzt. Es ist 22 Uhr, an einem Abend wie jedem. Die Küche kocht noch Essen, in der Regel bis Mitternacht. Die Menschen hocken in Grüppchen zusammen, so fünf, sechs. Zugeprostet wird mit Bier, den Hunger stillt Fleisch. An den Wänden kleben Unterschriften, manche auf Bildern von Rennfahrern und Rennautos. Einige davon sind tot, andere lebende Legenden. Vereinzelte unbekannte Helden. Die Pistenklause atmet Motorsport und spuckt betrunkene Träumer aus. Man kann die Nordschleife hier riechen, aber nicht sehen. In diesen Tagen jährt sich die Eröffnung des Nürburgrings. Die verschrobenste, verfluchte Rennstrecke wird 90 Jahre alt. Viele Menschen hat der Rausch auf ihr beglückt, ungezählte sind bei der Suche danach für immer irgendwo zwischen Himmel und Hölle geblieben. Die Zahl der Toten kennt nur die Strecke. Am Wochenende vor 90 Jahren begann das Kapitel Nürburgring. Am Wochenende des 18. und 19. Juni 1927 wurde sie feierlich eröffnet. Natürlich wissen das alle in der Pistenklause. Der Nürburgring feiert mit viel Tamtam. Ich frage die junge Kellnerin nach Hans-Joachim Stuck, wo denn sein Porträt hänge? Das wisse sie leider nicht, antwortet sie. Ihre Augen sagen: Wer? Stuck? Quelle: MOTOR-TALK Strietzel Stuck ist einer der Größten auf dem Ring, immer schon. Und zwar nicht nur in gemessenen Lebendzentimetern. Auch bei den Mädchen war der Stucki stets weit vorn, damals, in seiner wilden Zeit. Verehrt wird er aber wegen seiner Fahrten auf der Nordschleifen. Wild, schnell, erfolgreich wie die Wenigsten. Die Leute, die hier mit verschwitzten Gesichtern und leuchtenden Augen sitzen, lieben den Strietzel. Sein Name „H-J Stuck“ hängt ganz rechts auf dem großen Umriss des Nürburgrings, der die Wand hinter dem Tunnel zwischen alter und neuer Boxengasse schmückt. Alle Sieger internationaler Rennen sind dort verewigt. Und ein gewisser „Didi“, der sich immer wieder mit Edding ergänzt – egal, wie oft sein Name entfernt wird. 90 Jahre Nürburgring, seit 47 Jahren mit StrietzelAnruf bei Stuck. Er ist und isst oft in der Pistenklause, sagt er. Irgendwo müsste auch ein Bild von ihm hängen. Wo, weiß er nicht genau. Die Nordschleife ist sowas wie Stucks Wohnzimmer. Seit 1960 treibt er sich dort rum. „Ich war mit neun Jahren schon oben, wenn ich mit meinem Vater unterwegs war.“ Auch der alte Hans Stuck ist eine deutsche Motorsportlegende, nur eben eine etwas angestaubte. Sein Sohn, der Strietzel, wie ihn alle nennen, hat seine Karriere in der Eifel begonnen. Als erster Sieger des legendären 24-Stunden-Rennens stand er ganz oben auf dem Podium, vor 47 Jahren. Stuck fuhr mit Clemens Schickentanz auf einem BMW 2002 TI, war gerade 19 Jahre alt. Als Preis gab es unter anderem einen Wohnwagen. „Den habe ich zu mir nach Hause geschleppt und an junge Kollegen vermietet – damit die sich mit ihrer Freundin mal treffen konnten“, erzählt er. „Bis meine Mutter drauf kam. Dann war das vorbei.“ Eine andere Geschichte, die gerne erzählt wird: Stuck soll mal mit der Dampfwalze über die Nordschleife gefahren sein. Ganz so war das nicht, sagt er. Durch Nürburg sind sie gerollt. „Es war der grobe Plan mit der Dampfwalze auf den Nürburgring zu fahren. Aber das hätte ewig gedauert, das Ding ging ja nicht schnell genug.“ Graue Gedenksteine vor rosa BetonSolche Geschichten gibt es reichlich aus 90 Jahren Nürburgring. Sie gehören genauso zur Historie wie die Rennsieger und die Tragödien. Weil der Ring kein Museum ist, trifft die Geschichte an vielen Stellen auf die Gegenwart. Unscheinbar steht ein kleines Türmchen am Eingang zum alten Fahrerlager. Früher stand es hoch oben auf der alten Tribüne – als VIP-Loge. Die historische Boxengasse gibt es noch. Sie war rechteckig angelegt und liegt heute vorm Tunnel, der in den Innenbereich des Grand-Prix-Kurses führt. In einer Ecke gibt es eine Garage, die gefüllt ist mit Erinnerungsstücken aus den frühen Jahren des Rings. Gesammelt von Privatleuten. Vermutlich gibt es nirgendwo eine größere Ansammlung von Tanksäulen aus der Frühzeit des Automobils. Erinnerungen an Zeiten, als in der Boxengasse noch geraucht wurde. Beim Tanken. Vor dem Dorint-Hotel, einem rosa Klotz aus den 1980er-Jahren, steht der Grundstein von 1925 in einem unscheinbaren Beet. Daneben erinnert ein Gedenkstein an Rudolf Carraciola, den ersten Sieger des ersten Rennens. Gleich daneben erinnert einer an Cenek Junek. Er war das erste Opfer. Der Ring forderte es am 15. Juli 1928. Ein Jahr nach der Eröffnung. Die Zeit hat die Nordschleife überholtQuelle: ADAC 24h-Rennen Nürburgring Es gab noch viele mehr. „Viele Erinnerungen hat man leider von Tragödien, die passiert sind“, sagt Stuck. Beim Lauda-Unfall 1976 war er nah dran. Er traf kurz nach dem Crash am Unfallort ein. Zum Glück. Der Fahrer des Krankenwagens kannte sich nicht aus. „Ich habe ihn angewiesen, nicht über Start und Ziel zu fahren, sondern Breidscheid hochgeschickt. Das hat den Niki eine gute Stunde Krankenwagenfahrt gespart.“ Als Dankeschön hat Lauda ihm später eine Uhr geschenkt. Der Unfall Herbert Müllers ist Stuck im Gedächtnis. Der verbrannte 1981 beim 1.000-Kilometer-Rennen unterhalb vom Karussell. Stuck hat damals mit Nelson Piquet den Sieg herausgefahren. „Den hätten sie verschenken können, den wollte keiner haben“, sagt er. Die Anekdoten und die Toten – sie gehören zu jeder historischen Rennstrecke, zur Nordschleife besonders. „Die Strecke gehört zu den schwersten und sicherlich zu den gefährlichsten. Wer da siegt, der steht in den Geschichtsbüchern“, sagt Stuck. Das gilt noch heute. Doch: „Der Nürburgring ist ein bisschen von der Zeit eingeholt worden.“ Die Formel 1 wurde nach Laudas Unfall verbannt, die Gruppe C auch. Fast hätte es die GT3 erwischt. Bei der VLN, der Langstreckenmeisterschaft, zu der das 24-Stunden-Rennen gehört, dürfen die Autos nicht mehr schneller werden. Es gibt keine Auslaufzonen – und viel ändern lässt sich daran nicht. Gefährlich wird die Nordschleife immer bleiben. „Alles, was über 200 km/h geht, ist gefährlich“, so Stuck. Die Nordschleife ändert sich – so gut es gehtQuelle: dpa/Picture Alliance Stuck ist als Präsident des Deutschen Motor Sport Bundes (DMSB) mit dafür verantwortlich, das Risiko zu minimieren. Das stößt oft auf Widerstand. Am sogenannten Flugplatz kam es 2015 zu einem schweren Unfall. Jann Mardenboroughs GT3-Nissan hob ab, als er die Kuppe am Flugplatz überfuhr. Der Wagen krachte in die Zuschauermenge. Ein 49-jähriger Mann starb. Die Zulassung der FIA war in Gefahr, der DMSB verhängt ein Tempolimit. 2016 wird die Kuppe am Flugplatz entschärft. Nicht alle fanden das gut. „Da wurde ja von Schikanen geredet, von allem möglichen Quatsch. Die Kante abzuflachen war die beste Alternative, damit die Autos nicht mehr abheben“, sagt Stuck. „Das ist jetzt ein runder schöner Buckel geworden. Aber: Auf der anderen Seite wird die Kurve sogar noch schneller. Das ist hoch interessant.“ Er steht zum Umbau und zur Entscheidung des DMSB. Auch zum Speedlimit, das davor galt. Eine einstimmige Entscheidung von fast 30 Leuten sei das gewesen. „Mich dann als denjenigen hinzustellen, der das Speedlimit eingeführt hat – das sind ja Deppen. Aber: Einer muss den Kopf dafür hinhalten, ich bin nun mal der Präsident. Da habe ich kein Problem mit.“ Ohne Nordschleife lieber kein Rennwagen mehrQuelle: dpa/Picture Alliance Ein bisschen aufregen kann er sich trotzdem darüber. Das merkt man. Er hat selbst Erfahrung mit schweren Unfällen. Sein letzter Unfall im Jahr 2010 hätte ihn fast das Leben gekostet. Erst lange nach dem Crash trat eine Hirnblutung auf. Dem Ring den Rücken zu kehren, wäre ihm trotz all der Tragödien nie eingefallen. „Auf der Nordschleife nicht mehr fahren zu können oder aus irgendeinem Grund nicht mehr zu dürfen – da würde ich kein Rennauto mehr anfassen!“ Stuck ist sein erstes und sein letztes Rennen als Profisportler auf der Nordschleife gefahren. 2011 trat er beim 24-Stunden-Rennen mit seinen beiden Söhnen Johannes und Ferdinand an. Ein Wunschtraum von ihm. „Geboren wurde die Idee schon 1988 in Le Mans. Stuck war für Porsche am Start, Mario Andretti auch. Mit ihm auf dem Auto fuhren seine Söhne Jeff und Michael. „Einen Buben hatte ich schon, der zweite war in der Planung“, erzählt Stuck. „Da habe ich gedacht, das wäre doch geil, wenn die auch mal Rennen fahren – Stuck, Stuck, Stuck.“ Der Traum ging in Erfüllung, die Stucks wurden 2011 auf einem Lamborghini Gallardo GT3 15. Der Respekt vor der Nordschleife muss bleibenEs gibt eine kleine Hall of Fame am Nürburgring. Sie liegt versteckt im gläsernen Neubau neben dem TÜV-Tower. Normalerweise kommen dort nur die Rennfahrer nach der Siegerehrung durch. Fahrerporträts hängen hier, von Rudolf Carraciola bis Michael Schuhmacher. Bei vielen fällt das Datum des Karriereendes zusammen mit dem Todesjahr. Auch Hans Stuck hängt hier, Hans-Joachims Vater. Er war 36 Jahre Rennfahrer, 1960 hat er seine Karriere beendet, sein Sohn hat es auf 43 Jahre gebracht. Beide haben die Nordschleife überlebt. Stuck sagt, bei den vielen Kilometern, die er dort abgespult hat, müsse er wohl einen Schutzengel gehabt haben. Naja, und einen guten Ratgeber. „Das hat mein Vater mir mitgegeben: Der hat gesagt, Bubele, auch wenn du noch so viel Spaß hast, verliere nie den Respekt vor der Nordschleife.“ |