Ein Stardesigner am Zeichenbrett und japanische Qualitätsstandards: Der Renault 19 war auch in Deutschland ein Verkaufsschlager. Rückblick auf den kompakten Franzosen.
Köln - Vor 30 Jahren bereitete sich Frankreich auf den 200. Jahrestag der Erstürmung der Bastille vor, europaweit zeichnete sich das Ende des Eisernen Vorhangs ab. Da kam der Renault 19 gerade richtig. Denn dieser französische Kompaktwagen sollte die Vorherrschaft des VW Golf angreifen und Renault als Nummer eins in Europa etablieren. Das Design stammte vom Schöpfer des ersten Volkswagen Golf, Giorgetto Giugiaro. Quelle: Renault Wie den VW gab es den Renault in den Karosserieformen drei- und fünftüriges Schrägheck, als viertürige Limousine und als Cabriolet. Letzteres gebaut beim niedersächsischen Karossier Karmann, also dort, wo auch der offene Golf entstand. Tatsächlich gelang der französischen Kompaktklasse im italienischen Design kurzzeitig, wovon fast alle Konkurrenten vergeblich träumten: den Golf ernsthaft gefährden. Das gelang Renault sogar in Deutschland. Direkt nach der deutschen Wiedervereinigung war der R19 in den neuen Bundesländern populärer als der Golf. Dafür bedankte sich Renault beim deutschen Publikum auf spezielle Art. So erhielt er als Stufenhecklimousine im Jahr 1993 in Deutschland die Bezeichnung "Bellevue" nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten. Weniger Glück hatte Renault mit dem R19 16V, der gegen den VW Golf GTI nicht wirklich eine Chance hatte. Ein "Japaner aus Frankreich"Für Renault war der R19 ein Schlüsselprodukt in schwerer Zeit. Er setzte den Schlussstrich unter wirtschaftlich verlustreiche Jahre und trug als letzter Renault eine Zahl im Typencode. Zudem war Nummer 19 als erster Franzose nach japanischen Qualitätsmaßstäben finalisiert worden. Dennoch: Fast wäre aus der Modellpräsentation des Nachfolgers der Typen R9 (Stufenheck) und R11 (Schrägheck) ein Desaster geworden. Quelle: Renault VW Golf, Opel Kadett, Peugeot 309, Citroën BX, aber auch Toyota Corolla und Co zählten ab Ende 1987 zu den Konkurrenten des Renault 19. Um ihnen gefährlich zu werden, fehlte ihm aber zunächst die erforderliche Fertigungsqualität, weshalb Renault-Chef Raymond H. Lévy im letzten Moment alle Signale auf Halt setzte. Das neu installierte Renault-Institut für Qualität besserte den Renault 19 so erfolgreich nach, dass die deutschen Medien das Mitte 1988 lancierte Fastbackmodell als "Japaner aus Frankreich" lobten. Tatsächlich erwiesen sich die Japaner als gute Lehrmeister. Der Renault 19 konnte sich in Qualitätsrankings und Pannenstatistiken weit besser platzieren als seine Vorgänger. Schon das Exterieurdesign mit präzisen Spaltmaßen nach Wolfsburger Vorbild und ein hochwertiges Interieur ohne französisches „Laissez-faire“ verblüfften und sorgten dafür, dass die Kunden bereitwillig mehr Geld für einen Renault 19 bezahlten als die Konkurrenz für ihre Kompakten berechnete. Verkaufsfördernd wirkte auch die für ein französisches Fahrzeug ungewohnt straffe Fahrwerksabstimmung nach deutschem Vorbild. Hinzu kamen die durchzugsstarken, sparsamen Motoren mit einem breiten Leistungsband zwischen 58 PS und 135 PS sowie Details wie der große Kofferraum mit asymmetrisch umklappbarer Rücksitzlehne, damals noch eine Seltenheit. Nicht zu vergessen die elegante Formensprache des Renault, der sich in seinen stattlichen Abmessungen (Länge 4,16 Meter und damit fast 20 Zentimeter mehr als der Golf) am oberen Rand der Kompaktklasse positionierte. Von Giorgetto Giugiaro gezeichnetZwar stammten erste Entwürfe für den Renault 19 vom Renault-Hausdesigner Alain Jan. Dennoch entschied sich die Konzernführung letztlich für ein Konzept, das der italienische Stardesigner Giorgetto Giugiaro 1985 präsentierte. Giugiaro hatte zuerst den Golf und dann eine ganze Reihe von Golf-Konkurrenten koreanischer und italienischer Marken erfolgreich in Form gebracht. Wie Renault-Ingenieure bei der Pressevorstellung des R19 verrieten, fanden Giugiaros Linien Zustimmung, weil sie kraftvoll wirkten und von einer Produktqualität kündeten, die dem VW Golf vergleichbar sein sollte. Quelle: Renault Bis der Renault in den Markt startete, dauerste es nach der Premiere weitere sechs Monate. Die Marke mit dem Rhombus wollte jene Fehler vermeiden, die den Vorgängern des R19 zum Verhängnis geworden waren: also dem kurios geformten Renault 14 von 1976 und zuletzt dem Renault 11 von 1983. Beiden mangelte es vor allem an der erforderlichen Verlässlichkeit. Deshalb musste sich der Renault 19 in aufwendigen Straßentests bewähren, ehe er endlich im Januar 1989 als Drei- und Fünftürer in Deutschland auf den Markt kam. Als im September auf der Frankfurter IAA 1989 die Stufenheckversion Chamade vorgestellt wurde, war der Renault 19 hierzulande schon das meistgekaufte Importauto der Kompaktklasse. Renault zog es früh gen OstenVor allem hatten die Franzosen mit dem Renault 19 den richtigen Pfeil im Köcher, um nach dem Mauerfall am 9. November 1989 die Bürger der untergehenden DDR zu begeistern. Früher als andere Hersteller begann Renault dort mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes. Der R19 errang 1990 gemeinsam mit dem Clio einen sensationellen Marktanteil von bis zu zwölf Prozent in den neu hinzukommenden Bundesländern. Quelle: Renault Renault-Präsident Lévy ließ es sich deshalb zum Jahresbeginn 1990 nicht nehmen, in Bonn unverblümt zu politischen Fragen ob der offenen Grenzen Stellung zu nehmen. Ein für Unternehmensführer damals höchst ungewöhnlicher Vorgang, für den Lévy viel Beifall erntete. Lévy erklärte das Auto zum Instrument der Freiheit und er betrachtete die deutsch-französische Freundschaft als Schlüsselelement im europäischen Geschehen. Renault legte vom Typ R19 anschließend das Sondermodell „Champion“ auf, und die Zulassungszahlen des Kompakten hoben jetzt erst richtig ab. Dazu beitragen konnte wenig später der in Kooperation mit Karmann realisierte Frischluftstar R19 Cabrio. Das Besondere: Im Gegensatz zum Golf benötigte der Franzose keinen störenden, feststehenden Überrollbügel, was diesem Bestseller bis heute eine Fanszene sichert. Täglich wurden in vier Werken 1.800 Renault 19 gebaut. Fast passgenau zum Tag der Deutschen Einheit im Herbst 1990 wurde bereits der einmillionste Renault 19 an einen deutschen Kunden ausgeliefert. Vier Jahre in Folge war der Kompakte das meistverkaufte deutsches Importauto. Auch auf dem französischen Heimatmarkt ging es dank des R19 aufwärts. Die finanzielle Krise der bis dahin staatlichen Régie Renault wurde überwunden und der Konzern konnte privatisiert werden. Der Renault 19 machte die Bahn frei für einen Neuanfang, den der 1995 nachfolgende Mégane mit ersten Crossover-Typen fortführte. Chronik Renault 19
Quelle: Sp-x |