Autos verbrauchen auf der Straße mehr, als im Prospekt steht. Die Forschergruppe "ICCT" ermittelt jährlich die Differenz. Und kommt auf aktuell 42 Prozent Abweichung.
Quelle: dpa / Picture Alliance Berlin – Dass der Verbrauch von Autos im Prospekt nichts mit der Realität zu tun hat, wissen die meisten Autofahrer. Doch dass die Angaben so weit auseinanderliegen wie sie es tun, überrascht doch viele. Neuwagen verbrauchen in Europa auf der Straße deutlich mehr Sprit als auf dem Prüfstand im Normzyklus gemessen - und vom Hersteller angegeben. 2016 betrug die Kluft laut einer aktuellen Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) durchschnittlichen 42 Prozent. Das ist im Vergleich zu 2013 (25 Prozent) und erst Recht zu 2001 (9 Prozent) eine deutliche Steigerung. Der Forscher-Verbund erhebt diese Daten seit 2013 jährlich. Die realen Verbrauchswerte erhob das ICCT nicht selbst, sondern bediente sich anderer Quellen: Tests von Fachzeitschriften wie auto, motor und sport und Autobild sowie Datenbanken wie spritmonitor.de und Emissions Analytics. Insgesamt nutzte das ICCT 14 Datenquellen aus acht Ländern. Darin stecken die Verbrauchswerte von 1,1 Millionen Pkw. Quelle: ICCT Stieg die Kluft bei Privatautos auf 39 Prozent, waren es bei Firmenwagen 45 Prozent. Für Autofahrer kann das gegenüber dem Theorie-Wert eine Mehrbelastung von 400 Euro jährlich bedeuten. Aber: Das ICCT hat auch eine gute Nachricht. Erstmals seit Beginn der Erhebungen verlangsame sich das Wachstum der "Sprit-Lücke", teilen die Forscher mit. Plug-in-Hybride mogeln am effektivstenBesonders ausgeprägt sind die Abweichungen bei Audi, BMW und Mercedes – diese Modelle werden oft in der Flotte und auf der Langstrecke genutzt. Der Grund liegt zuerst bei der synthetischen Messmethode. Bisher werden die Autos im Labor gemessen, nicht im realen Fahrbetrieb. Reifendrücke sind erhöht, Spalten abgeklebt und in den Motoren fließen besonders flüssige Leichtlauföle. Im bisherigen Messzyklus NEFZ war außerdem das Testen der nackten Basis erlaubt – bei deaktivierten Nebenverbrauchern wie der Klimaanlage. Auch bei Plug-in-Hybrid-Modellen greifen die Hersteller tief in die Trickkiste, die das Messverfahren vorsieht. So zählte Strom aus der vollgeladenen Batterie bei einem Plug-in-Hybrid bisher nicht zum Verbrauch, gemessen wird nur der Spritverbrauch. Dadurch erreicht ein Mercedes E350 e laut NEFZ nur 2,1 Liter auf 100 Kilometer, ein Porsche Panamera E-Hybrid nur 2,5 Liter auf 100 Kilometer. Allerdings geben die Hersteller mittlerweile auch den kombinierten Energieverbrauch bei ihren Hybridfahrzeugen an. Beim E350e sind es 11,5 kWh/100 km, was grob einer Energie von 1,4 Liter Superbenzin entspricht, beim Porsche 15,9 kWh/100 km, das sind 1,9 Liter Superbenzin. WLTP wird die Lücke verkleinernSeit September gehören die Phantasiewerte aus dem alten Messzyklus der Vergangenheit an, zumindest für neu entwickelte Fahrzeugtypen. Statt NEFZ heißt es nun WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure). Der neue Zyklus ist dynamischer, die Lasten steigen und damit auch der Verbrauch. Auch die Prozeduren werden deutlich komplexer und praxisnäher: So fließen künftig auch schwere Sonderausstattungen in den Normwert mit ein. Ab September 2018 wird das neue Testverfahren für alle neuen Pkw zur Pflicht. Die ICCT-Forscher gehen deshalb davon aus, dass die Kluft zwischen Angaben im Prospekt und Realität in den nächsten Jahren wieder kleiner wird. Sie rechnen mit bis zu einer Halbierung der Diskrepanz zwischen Normwert und realem Verbrauch. Heißt aber auch: Die meisten Autohersteller rechnen damit, dass die Prüfstandsverbräuche um bis zu 20 Prozent steigen. Damit erhöht sich die Kfz-Steuer, denn die ist an den CO2-Ausstoß und damit an den angegebenen Verbrauch gekoppelt. Umweltverbände kritisieren AutoindustrieUmweltverbände nutzten die neue Untersuchung zu scharfer Kritik an der Autoindustrie. "Die Spritverbrauchslüge der Autoindustrie wird immer offenkundiger", sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Die Ergebnisse müssten ein letzter Weckruf für die EU-Kommission sein, mit dem angekündigten Gesetzespaket zur Ausgestaltung der CO2-Grenzwerte für Pkw ein ambitioniertes Konzept vorzulegen. Auch die künftige Bundesregierung müsse eine "Verkehrswende" einleiten. Der Verkehrsexperte des Verkehrsclubs VCD, Michael Müller-Görnert, kritisierte: "Seit Jahren betrügen die Automobilhersteller ihre Kunden beim Spritverbrauch." Um möglichst kostengünstig CO2-Ziele einhalten zu können, nutzten die Konzerne Schlupflöcher beim Testverfahren "schamlos" aus, anstatt tatsächliche Verbrauchsreduktionen zu erzielen. "Die Zeche zahlen die Autofahrer." Die grüne EU-Abgeordnete Rebecca Harms sagte, es sei seit Jahren bekannt, dass die Hersteller "sehr viel Erfindungsgeist" entwickeln, um ihre Wagen für den Testbetrieb statt für die Straße zu optimieren. Das Problem werde leider auch durch WLTP nicht vollständig gelöst. Am Mittwoch will die EU-Kommission Vorschläge für die weitere Verschärfung der CO2-Grenzwerte in den Jahren 2021 bis 2030 vorlegen. Greg Archer von der Umweltorganisation Transport & Environment forderte die Brüsseler Behörde auf, ehrgeizige Vorschläge zu machen. "Wenn Vizepräsident Sefcovic und Kommissar Cañete es ernst mit der Senkung der CO2-Emissionen aus dem Verkehr meinen, sollten sie eine Minderung des Ausstoßes bei neuen Autos um 45 Prozent von 2020 bis 2030 sowie ein verpflichtendes Ziel für Null-Emissions-Fahrzeuge anstreben", sagte Archer.
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