30 Jahre Renault 19: Kompakter Bestseller aus Frankreich

Wie der Renault 19 den Golf bedrohte

MOTOR-TALK

verfasst am Tue Nov 06 13:06:52 CET 2018

Ein Stardesigner am Zeichenbrett und japanische Qualitätsstandards: Der Renault 19 war auch in Deutschland ein Verkaufsschlager. Rückblick auf den kompakten Franzosen.

Der Renault 19 sollte der französische Golf-Konkurrent werden. Dafür wanderte der R19 auch auf dessen Spuren
Quelle: Renault

Köln - Vor 30 Jahren bereitete sich Frankreich auf den 200. Jahrestag der Erstürmung der Bastille vor, europaweit zeichnete sich das Ende des Eisernen Vorhangs ab. Da kam der Renault 19 gerade richtig. Denn dieser französische Kompaktwagen sollte die Vorherrschaft des VW Golf angreifen und Renault als Nummer eins in Europa etablieren. Das Design stammte vom Schöpfer des ersten Volkswagen Golf, Giorgetto Giugiaro.

Für den R19 standen Aggregate zwischen 58 PS bis 135 PS zur Verfügung
Quelle: Renault
Wie den VW gab es den Renault in den Karosserieformen drei- und fünftüriges Schrägheck, als viertürige Limousine und als Cabriolet. Letzteres gebaut beim niedersächsischen Karossier Karmann, also dort, wo auch der offene Golf entstand. Tatsächlich gelang der französischen Kompaktklasse im italienischen Design kurzzeitig, wovon fast alle Konkurrenten vergeblich träumten: den Golf ernsthaft gefährden. Das gelang Renault sogar in Deutschland. Direkt nach der deutschen Wiedervereinigung war der R19 in den neuen Bundesländern populärer als der Golf.

Dafür bedankte sich Renault beim deutschen Publikum auf spezielle Art. So erhielt er als Stufenhecklimousine im Jahr 1993 in Deutschland die Bezeichnung "Bellevue" nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten. Weniger Glück hatte Renault mit dem R19 16V, der gegen den VW Golf GTI nicht wirklich eine Chance hatte.

Ein "Japaner aus Frankreich"

Für Renault war der R19 ein Schlüsselprodukt in schwerer Zeit. Er setzte den Schlussstrich unter wirtschaftlich verlustreiche Jahre und trug als letzter Renault eine Zahl im Typencode. Zudem war Nummer 19 als erster Franzose nach japanischen Qualitätsmaßstäben finalisiert worden. Dennoch: Fast wäre aus der Modellpräsentation des Nachfolgers der Typen R9 (Stufenheck) und R11 (Schrägheck) ein Desaster geworden.

Der Renault 19 wurde nach japanischen Qualitätsmaßstäben gefertigt
Quelle: Renault
VW Golf, Opel Kadett, Peugeot 309, Citroën BX, aber auch Toyota Corolla und Co zählten ab Ende 1987 zu den Konkurrenten des Renault 19. Um ihnen gefährlich zu werden, fehlte ihm aber zunächst die erforderliche Fertigungsqualität, weshalb Renault-Chef Raymond H. Lévy im letzten Moment alle Signale auf Halt setzte. Das neu installierte Renault-Institut für Qualität besserte den Renault 19 so erfolgreich nach, dass die deutschen Medien das Mitte 1988 lancierte Fastbackmodell als "Japaner aus Frankreich" lobten.

Tatsächlich erwiesen sich die Japaner als gute Lehrmeister. Der Renault 19 konnte sich in Qualitätsrankings und Pannenstatistiken weit besser platzieren als seine Vorgänger. Schon das Exterieurdesign mit präzisen Spaltmaßen nach Wolfsburger Vorbild und ein hochwertiges Interieur ohne französisches „Laissez-faire“ verblüfften und sorgten dafür, dass die Kunden bereitwillig mehr Geld für einen Renault 19 bezahlten als die Konkurrenz für ihre Kompakten berechnete.

Verkaufsfördernd wirkte auch die für ein französisches Fahrzeug ungewohnt straffe Fahrwerksabstimmung nach deutschem Vorbild. Hinzu kamen die durchzugsstarken, sparsamen Motoren mit einem breiten Leistungsband zwischen 58 PS und 135 PS sowie Details wie der große Kofferraum mit asymmetrisch umklappbarer Rücksitzlehne, damals noch eine Seltenheit. Nicht zu vergessen die elegante Formensprache des Renault, der sich in seinen stattlichen Abmessungen (Länge 4,16 Meter und damit fast 20 Zentimeter mehr als der Golf) am oberen Rand der Kompaktklasse positionierte.

Von Giorgetto Giugiaro gezeichnet

Zwar stammten erste Entwürfe für den Renault 19 vom Renault-Hausdesigner Alain Jan. Dennoch entschied sich die Konzernführung letztlich für ein Konzept, das der italienische Stardesigner Giorgetto Giugiaro 1985 präsentierte. Giugiaro hatte zuerst den Golf und dann eine ganze Reihe von Golf-Konkurrenten koreanischer und italienischer Marken erfolgreich in Form gebracht. Wie Renault-Ingenieure bei der Pressevorstellung des R19 verrieten, fanden Giugiaros Linien Zustimmung, weil sie kraftvoll wirkten und von einer Produktqualität kündeten, die dem VW Golf vergleichbar sein sollte.

Für das Design ist der Italiener Giorgetto Giugiaro verantwortlich. Dieser zeichnete bereits den VW Golf
Quelle: Renault
Bis der Renault in den Markt startete, dauerste es nach der Premiere weitere sechs Monate. Die Marke mit dem Rhombus wollte jene Fehler vermeiden, die den Vorgängern des R19 zum Verhängnis geworden waren: also dem kurios geformten Renault 14 von 1976 und zuletzt dem Renault 11 von 1983.

Beiden mangelte es vor allem an der erforderlichen Verlässlichkeit. Deshalb musste sich der Renault 19 in aufwendigen Straßentests bewähren, ehe er endlich im Januar 1989 als Drei- und Fünftürer in Deutschland auf den Markt kam. Als im September auf der Frankfurter IAA 1989 die Stufenheckversion Chamade vorgestellt wurde, war der Renault 19 hierzulande schon das meistgekaufte Importauto der Kompaktklasse.

Renault zog es früh gen Osten

Vor allem hatten die Franzosen mit dem Renault 19 den richtigen Pfeil im Köcher, um nach dem Mauerfall am 9. November 1989 die Bürger der untergehenden DDR zu begeistern. Früher als andere Hersteller begann Renault dort mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes. Der R19 errang 1990 gemeinsam mit dem Clio einen sensationellen Marktanteil von bis zu zwölf Prozent in den neu hinzukommenden Bundesländern.

Nach dem Mauerfall begann Renault schon früh, im Osten Deutschlands ein Vertriebs- und Servicenetz aufzubauen
Quelle: Renault
Renault-Präsident Lévy ließ es sich deshalb zum Jahresbeginn 1990 nicht nehmen, in Bonn unverblümt zu politischen Fragen ob der offenen Grenzen Stellung zu nehmen. Ein für Unternehmensführer damals höchst ungewöhnlicher Vorgang, für den Lévy viel Beifall erntete. Lévy erklärte das Auto zum Instrument der Freiheit und er betrachtete die deutsch-französische Freundschaft als Schlüsselelement im europäischen Geschehen.

Renault legte vom Typ R19 anschließend das Sondermodell „Champion“ auf, und die Zulassungszahlen des Kompakten hoben jetzt erst richtig ab. Dazu beitragen konnte wenig später der in Kooperation mit Karmann realisierte Frischluftstar R19 Cabrio. Das Besondere: Im Gegensatz zum Golf benötigte der Franzose keinen störenden, feststehenden Überrollbügel, was diesem Bestseller bis heute eine Fanszene sichert.

Täglich wurden in vier Werken 1.800 Renault 19 gebaut. Fast passgenau zum Tag der Deutschen Einheit im Herbst 1990 wurde bereits der einmillionste Renault 19 an einen deutschen Kunden ausgeliefert. Vier Jahre in Folge war der Kompakte das meistverkaufte deutsches Importauto. Auch auf dem französischen Heimatmarkt ging es dank des R19 aufwärts. Die finanzielle Krise der bis dahin staatlichen Régie Renault wurde überwunden und der Konzern konnte privatisiert werden. Der Renault 19 machte die Bahn frei für einen Neuanfang, den der 1995 nachfolgende Mégane mit ersten Crossover-Typen fortführte.

Chronik Renault 19

  • 1983: Mit der Codenummer X-53 beginnt die Entwicklung eines Kompaktklassemodells, das gegen Ende des Jahrzehnts die Modelle Renault 9 (Stufenheck) und Renault 11 (Schrägheck) ablösen soll
  • 1984: Die ersten Designstudien werden im November vorgestellt
  • 1985: Als Grundlage für die Form des Serienfahrzeugs dienen Entwürfe des Italieners Giorgetto Giugiaro. Georges Besse wird als Nachfolger von Bernard Hanon Chef bei Renault und beginnt mit einem harten Sanierungskurs des Staatsunternehmens
  • 1986: Am 17. November wird George Besse von politisch motivierten Terroristen ermordet. Sein Nachfolger Raymond H. Lévy setzt den Spar- und Sanierungskurs des Konzerns mit Stellenabbau fort, dem Renault 19 fällt eine modellpolitische Schlüsselrolle zu auf dem Weg der wirtschaftlichen Gesundung des Unternehmens
  • 1988: Im Mai debütiert der Renault 19 mit deutlicher Verzögerung als 4,16 Meter langer Fünftürer. Die Verspätung war notwendig, weil Qualitätsmängel abgestellt werden mussten. Die europäische Fertigung des Renault 19 läuft in den Werken Douai, Maubeuge, Valladolid und Setúbal an. Für Südamerika erfolgt die Produktion in Santa Isabel und Córdoba. Der Renault 19 trägt als letztes Renault-Modell eine Zahl als Modellbezeichnung
  • 1989: Im Januar Markteinführung des Renault 19 in Deutschland. Auf der Frankfurter IAA debütiert im September die Stufenhecklimousine Renault 19 Chamade (deutsch: „Herzflimmern“). Sportliches Spitzenmodell wird der anfangs ausschließlich dreitürige Renault 19 16V. Nur einen Monat nach dem Fall der Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten beginnt Renault im Dezember mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes in der damaligen DDR. Schon in seinem ersten deutschen Verkaufsjahr ist der Renault 19 das meistgekaufte Importauto der Kompaktklasse, was Renault zum Sondermodell Renault 19 GTS Champion animiert
  • 1990: Über einen Zeitraum von vier Jahren bis 1994 ist der Renault 19 das meistverkaufte Importauto in Deutschland. Insgesamt erzielt der Renault 19 hierzulande über 460.000 Zulassungen. Zusammen mit dem Clio erreicht der R19 in den neuen Bundesländern einen Marktanteil von über zwölf Prozent. Am 4. Juli wird der Staatskonzern Renault Aktiengesellschaft und der Renault 19 hat dazu beigetragen die staatliche Regie Renault zurück Richtung schwarze Zahlen zu bringen
  • 1991: Im Oktober feiert das Renault 19 Cabrio seine deutsche Markteinführung. Die Produktion der Rohkarosse erfolgt bei Karmann in Osnabrück, die Endmontage in Frankreich im Renault-Werk Maubeuge. Erstmals seit 1979 erreicht Renault in Deutschland wieder einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent und wird erneut größter Importeur mit über 200.000 verkauften Fahrzeugen. Dies vor allem dank des Erfolgs der Modellreihe Renault 19 in den neuen Bundesländern
  • 1992: Im Juni technisches und optisches Facelift für alle Renault 19. In Deutschland gewinnt der Renault 19 den Medienpreis „Goldenes Lenkrad“
  • 1993: Der Renault 19 Chamade erhält in Deutschland die Bezeichnung Renault 19 Bellevue nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten und als Referenz an die Kunden in den östlichen Bundesländern, die den Renault 19 als Stufenheck besonders schätzen
  • 1994: Im Herbst entfällt die 58-PS-Motorisierung aus dem deutschen Lieferprogramm
  • 1995: Der Renault Mégane ersetzt im Herbst den Renault 19, von dem bis dahin über 3,2 Millionen Einheiten gebaut wurden. In Deutschland wurden über 460.000 Einheiten des Renault 19 abgesetzt. Vier Mal in Folge war der Renault 19 meistverkauftes Importauto in Deutschland
  • 1997: Das Renault 19 Cabriolet wird durch den Mégane in ähnlicher Karosserieform abgelöst
  • 2000: Einstellung der Produktion des Renault 19 in Südamerika und für die Türkei

 

Quelle: Sp-x

Kurz nach der Wiedervereinigung war der R19 in den neuen Bundesländern populärer als der Golf
Quelle: Renault
Der Renault 19 wurde nach japanischen Qualitätsmaßstäben gefertigt
Quelle: Renault
Vier Jahre hintereinander war der Renault 19 in Deutschland das meistverkaufte Importauto
Quelle: Renault
Für das Design ist der Italiener Giorgetto Giugiaro verantwortlich. Dieser zeichnete bereits den VW Golf
Quelle: Renault
Die Cabrio-Variante wurde vom deutschen Karossier Karmann verwirklicht
Quelle: Renault
Nach dem Mauerfall begann Renault schon früh, im Osten Deutschlands ein Vertriebs- und Servicenetz aufzubauen
Quelle: Renault
Für den R19 standen Aggregate zwischen 58 PS bis 135 PS zur Verfügung
Quelle: Renault
Damals noch eine Seltenheit: Eine asymmetrisch umklappbare Rückbank
Quelle: Renault