Der Mercedes W 140 weiß es, wie kein zweites Automobil: Größe macht einsam. Nach dem Spott von einst droht der "Kohl-S-Klasse" nun das Vergessen. Es wäre schade um ihn. Keiner weiß genau, wo die vielen Mercedes W 140 geblieben sind. Im Osten, heißt es.
Ich hatte kürzlich einen Traum. Irgendwo in der endlosen Steppe Sibiriens sah ich einen weiten Krater, den Nachlass eines gewaltigen Meteoriteneinschlags. Dort hortete ein verrückter Riese alle Mercedes W 140, die er picken konnte. In Reih und Glied schob er sie zurecht, es war ein Reservat für automobile Saurier. Er hatte das auch mit anderen Modellen probiert. Doch sie waren ihm nur so zwischen den Fingern zerbröselt.
Ein Auto mit der Statur und Langlebigkeit Helmut Kohls
Mercedes hat den W 140 so groß und wuchtig gebaut, dass er allen Zeitenstürmen trotzt. Er ist die letzte bundesrepublikanische S-Klasse, seit 1982 hatten sich Mercedes-Ingenieure um ihre Entwicklung gekümmert. Doch als sie 1991 endlich auf den Markt rollte, verschmolzen Ost und West bereits miteinander. In dieser neuen Weltordnung fremdelte der Mercedes W 140. In ihm steckte etwas Absolutes, und Mercedes hätte mit vielem gerechnet, nur nicht mit Häme. Doch kurz nachdem auto motor und sport noch bewundernd zwei Zentimeter mehr Radstand als bei einem Rolls-Royce in Langversion konstatierte, verhöhnten andere die S-Klasse, weil sie so breit war, dass sie nicht auf die Waggons des Autoreisezugs nach Sylt passen wollte. Dabei ignorierten sie völlig, dass der Fond Helmut Kohl mit Anstand schluckte. Und wahrlich: Das ist eine Leistung.
Sie sollte das beste Auto der Welt werden, hat der damalige Mercedes-Chef Werner Niefer betont. Vielleicht haben sie das in Riga, St. Petersburg und Moskau auch gehört und schnell zugegriffen, als der Mercedes W 140 bei uns als wenig geliebter Gebrauchtwagen debütierte. Noch gut erinnere ich mich an jenen Tag vor zehn Jahren, an dem ich einen VW Golf beim Autovermieter abholen wollte. "Wir haben einen Upgrade für Sie", sagte die Dame am Schalter und schob mir einen Mercedes-Schlüssel zu: "Sie fahren S-Klasse, und wir sparen uns die Überführung." Gern, antwortete ich. Flüsternd flog der Riese über die Autobahn, so sanft, so sicher, so selbstbewusst, so souverän, als habe er sich von dieser Welt entkoppelt.
Auf der Suche nach dem verschmähten Riesenbaby
Alle hatten dieses Auto verstanden. In den USA war Größe ein Plus, ebenso in Fernost, selbst in Japan. Nur hier zu Lande war die Gesinnung wenig freundlich. Sein Auftritt wurde als klobig bekrittelt, als unelegant, doch 5,21 Meter sind eben ein stolzes Maß. Prunk dagegen hielt niemand ernsthaft dem Mercedes W 140 vor, denn sein Zierrat war bescheiden. Noch heute sieht er so aus, als habe man eine C-Klasse aufgepumpt. Die Proportionen stimmen, nur scheint alles eine Nummer zu groß zu sein. Ein Riesenbaby.
Ich wollte trotzdem einen. Es war die Neugier, nach zehn Jahren dem zu begegnen, was mich so beeindruckt hatte. Und ich suchte ein Auto zum Reisen, einen großen Wagen für die Strecke. Ich war bereit für einen Selbstversuch. Bis zum Ende der Kohl-Ära - 1998 war das - hatten die Stuttgarter immerhin 406.532 Exemplare des Mercedes W 140 verkauft. Doch nur selten haben die Auto-Höker noch ein Exemplar unter ihren Fähnchen stehen. Im Internet fand ich einige Mercedes W 140, fotografiert zwischen Baumaschinen, mit Laufleistungen jenseits der 300.000 Kilometer und der Warnung "nur Händler oder Export". Man traut ihnen nicht.
Über Wochen suchte ich. Dann tauchte ganz in der Nähe ein Mercedes W 140, genauer: ein 500 SEL auf. Ein frühes Modell von 1991, 186.000 Kilometer, für 5.700 Euro - mehr als 90 Prozent Rabatt auf den einstigen Neupreis. Dazu der kryptische Zusatz: "sehr gepflegt ohne worte familien wagen". Sollten Familien also einen 500 wagen?
Meisterleistungen der Ingenieure
Ich fuhr los, mit Frau und Tochter. Der 500er hatte sich in einer Gasse breitgemacht. Sein Besitzer war Kroate, der ein italienisches Restaurant betrieb. "Ich muss nicht verkaufen", begrüßte er mich, "verstehst du?" Ich verstand nicht. Aber ich hatte keine Wahl. Es gab nur diesen, und auf den ersten Blick schien er proper zu sein. Wir gingen auf Probefahrt. Mit einem leisen Schmatzer saugte die Zuziehhilfe die Türen des Mercedes W 140 ins Schloss, in der Ferne säuselte der mächtige V8. Es dauerte einen Moment, bis er losbrach, als sammle der Wandler Kraft, bevor er den Befehl zum Abmarsch gibt. Der gelingt dann sehr zügig, wenn der Gasfuß gut füttert.
Ich prüfte die Gimmicks des Mercedes W 140, bewunderte das Doppelglas der Scheiben, ließ das Heckrollo hoch- und runterfahren, spielte mit den Silhouettenschaltern der Sitzverstellung und dem elektrisch justierbaren Innenspiegel. Die Sitzheizung glühte auf allen vier Plätzen durch dickes, schwarzes Leder, aus dem Becker-Radio plätscherte ein Schlager. Sogar die beiden Peilstäbe am Heck schoben sich nach oben, als ich den 500er rückwärts steuerte: Wie kein anderes Teil dieses Mercedes W 140 manifestieren sie die ingeniöse Hingabe seiner Macher. Alberne Dekadenz? Heute sind die auf- und abfahrenden Chromstummel längst Kult. Ihr unschätzbarer Vorteil: Sie nerven nicht, weil sie nie piepen.
Ich hatte schon schlechtere Mercedes W 140 gesehen. Wir verhandelten, doch der Verkäufer ließ nur wenig nach. Ein Trip nach Kroatien hatte ihn zum Fan gemacht. Letztlich fuhr er den 500 nur ein halbes Jahr. Dann war sein Führerschein weg. Meine Zweifel an der Laufleistung halfen mir wenig. Ich fand keine Argumente, das Scheckheft hatte schon der zweite Besitzer nicht weitergeführt. Immerhin gab es die Datenkarte noch, auf der ich lesen konnte, dass eine Steuerberatungssozietät in Markgröningen das Schiff am 26. November 1991 erstmals zugelassen hatte.
Nun also ich. Die S-Klasse ist im Volk angekommen, selbst im V 140-Format - das V steht im Mercedes-Jargon für die Modelle mit verlängertem Radstand. Trotz seiner Würde zieht der Mercedes W 140 leicht nach rechts, und ab und zu dringt ein stumpfes Knacken nach innen. Ein Dröhnen ist dagegen immer da: Es sind die alten, breiten Falken-Reifen.
Eine Woche später folgt die erste große Fahrt im Mercedes W 140. Italien. Motor und Automatikgetriebe haben frisches Öl erhalten, die gebrochenen Vorderachsfedern und ein Querlenker sind getauscht. Das Knacken ist weg, nur die Türverkleidungen knarzen noch mürrisch vor sich hin. Dafür rollt der schwere Wagen auf den neuen Michelin-Pneus sehr diskret und nutzt beinahe behände sein überlegenes Fahrwerk - Reifen machen Welten aus. Der Satz originaler Alu-Räder für den Mercedes W 140 kostete in einer Internet-Auktion übrigens nur rund 90 Euro. Und das ist ein üblicher Preis.
Souveräne Motorisierung, akzeptabler Verbrauch
So flüstert sich der 500er Richtung Süden. An der Grenze zu Italien der erste Tankstopp: 12,7 Liter auf 100 Kilometer, weniger als erwartet für fünf Liter Hubraum, 326 PS, 480 Nm und über zwei Tonnen Gewicht - auf den Test der Abregelung bei 250 km/h verzichteten wir allerdings. Sogar Euro 2 erfüllt der Mercedes W 140, wie die grüne Plakette bestätigt. Und er darf wahrlich als nachhaltig gelten - nicht nur, weil Mercedes schon 1991 versprochen hat, dass sich diese S-Klasse zu 75 Prozent recyceln ließe. Sondern auch, weil sie hält: Bisher sind es 16 Jahre. Und ein Ende ist keineswegs in Sicht.
Allerdings absolviert der 500er seine Premiere dann doch nicht völlig frei von Tadel. Im dichten Stop-and-Go bei Mailand fällt das Gaspedal plötzlich ins Nichts. Mit Standgas rollt der Mercedes W 140 Richtung Haltebucht. Haube auf, die Diagnose: Ein mürbes Gummiteil hat den Gaszug aus dem Hebel gelöst. Mit Draht lässt er sich fixieren. Die Werkstatt zu Hause kennt den Fehler gut. Ein Pfennigartikel war es, der das beste Auto der Welt stranden ließ. Dennoch, das muss ich zugeben, verstehe ich den Mercedes W 140 seither etwas besser. Auf dieser Reise sind wir vielen S-Klassen begegnet - neueren Modellen hauptsächlich. Aber auch einige W 126 waren unterwegs, sogar mancher W 116. Doch Mercedes W 140? Fehlanzeige. Wir sahen nur einen Einzigen: unseren.
Quelle: Motor Klassik
103 Antworten
Ich bin vor paar Wochen den 140er S500 von meinem Chef gefahren...
Das ist ja mal ne geile Kiste!
Bin noch nie in einem Auto gefahren was so viel platz hat.
Mein Chef ist gerade mal 1,60m gross, seine Frau ein wenig kleiner, die können beide gerade so übers Lenkrad kucken :-D
Einen 140er CL420 wollte ich mir vor paar Jahren mal kaufen bevor ich geheiratet habe.
Aber gefahren bin ich sowas noch nie.
Wenn ich mal 5-6.000,-€ Spielgeld habe hole ich mir so ein Coupe.
...an meinen W140 Diesel habe ich auch nur die besten Erinnerungen...!
Die Verbräuche unter 9 Liter waren völlig in Ordnung für den Platz und Komfort.
Erschreckend ist aber der Neid, der Einem mit so einem Auto entgegenschlägt... - spricht aber für das Auto...
Klar, dass die Autos hier weggekauft werden, gibt ja auch schlaue Leute außerhalb der Landesgrenzen...
Aber die Zeiten für so dicke Wagen sind hierzulande eigentlich schon vorbei: Raumnot, Luftverschmutzung, Praktikabilität, etc.
Mit was kleinem flinken hat man doch mehr Spaß!
wie wahr, S Klassen aller Baureihen sind zu sehen, den 140er hat es aber irgendwie von den Straßen gefegt. War, bzw. ist aber auch ein ganz schönes Trumm.
Zitat:
Wo sind die Dicken hin?
Leider meist im Besitz von dubiosen Türkischen oder Jugoslawischen Mitbürgern die rücksichtslos damit rumbrettern oder wie im Beitrag erwähnt "im Osten".
Zitat:
Original geschrieben von amgolfV
Zitat:
Wo sind die Dicken hin?
Leider meist im Besitz von dubiosen Türkischen oder Jugoslawischen Mitbürgern die rücksichtslos damit rumbrettern oder wie im Beitrag erwähnt "im Osten".
anscheinend habe diese Leute Geschmack ?!
Wenn Sie einen erhalten möchten, kaufen Sie sich doch einen !
Die anfängliche Häme war nicht unberechtigt, kam sie doch teilweise auch von der mangelnden Zuladung gut ausgestatter W140, die dann nur noch 2 Personen aufnehmen durften, ohne das zGG zu überschreiten. Peinlich für Mercedes, auch ich habe damals sehr gelacht!
Go East, ich vermisse das saufende Dickschiff nicht!
Also, spätestens wenn es bei den Autos in die höheren Ausstattungs und Zustandskategorien geht, ist mit 5-6 Mille nix mehr zu machen.
Grade an den späteren Modellen nagt der Rost, die müssen sich hinter keinem W210 verstecken...
Bremsen, Reifen, Fahrwerksteile halten dem hohen Gewicht aber genau so wenig stand wie eine Tankfüllung. Ein sparsam gefahrener 6-Zylinder geht bei 13-16 Liter los, braucht auf Kurzstrecker aber auch gerne mehr, ein V8 nimmt auch um 15, der V12 geht bei 18-25 Litern zur Sache.
Auch die Unterhaltskosten sind nicht ohne, grade wenn es an Motorteile geht, braucht man eigentlich blos noch eine Scheinsorte, nämlich rosa. Mit grünen kommt man ausm Blättern nicht raus.
Reifen sind heut zu Tage deutlich günstiger als früher, aber, wirklich länger halten tun die immer noch nicht. Zu Lebzeiten gab es die nur von Michelin, die hatten LIEFERZEIT und mit 400 Mark das Stück konnte man den Satz Reifen alle 25.000km samt der Bremsen tauschen.
Grade Reparaturen an Klimaanlagen und dem ganzen elektronischen Klimbim sind auch nicht zu verachten. Hier mal ein Fensterheber für ein paar hundert, da mal 150€ für n Schalter, dort mal n tausi für nen Klimaverdampfer, hier mal wieder n tausender für ne Ölende Servopumpe, oder einfach mal fürn 500er für 500€ n Verteilersatz, das sprengt jedes Normalverdienerbudget.
Da nützt auch Autogas nicht viel, was der Grund ist, warum viele W140 mitlerweile alle weg sind.
Meine letzten Zulassungszahlen 1.1.2010 weisen 19.000 W126 gegen 10.000 W140 aus, letztere Zahl ist aber noch rapide sinkend.
Irgendwas ist an den Autos immer kaputt. Vor allem, wenn sie ordentlich ausgestattet sind... Irgendwas ist immer. Nicht zuletzt der Rost, und kein Mercedes den ich kenne rostet so im verborgenen, wie der W140. Da sieht man von außen garnichts, und mir ist schonmal einer in der Waschanlage auseinandergefallen.
Die hat die Platikplanken einfach so von den dahinter gut versteckt abgerosteten Kotflügeln gerissen, Achsträger, etc. war alles weg.
Es sind bei den 10.000 verbliebenen aber immer noch sehr viele Alltagsgurken dabei, die einfach immer wieder bei den Inspektionen von MB zusammen repariert wurden und nun nach 15-20 Jahren aussortiert werden. Dazwischen einen guten W140 zu finden hat für mich 2,5 Jahre gedauert, von München über Köln, Flensburg bis Rostock, quer durchs Bundesgebiet.
Und für 5 Mille, da gibt es nur Schrott, oder Ausstattungs- und Motorlose Autos.
Dafür sind die Autos eine richtige S-Klasse.
Ein Quantensprung im Vergleich mit dem W126, der ist da mehr ein /8 als ein modernes Auto. Sie fahren leicht und Agil wie ein neuer Kleinwagen durch die Stadt, solange Platz da ist. Auf der Autobahn ruhig und Gradlinig, aber ohne die billigste Verarbeitung und das Geknartsche eines W220.
Schöner Beitrag, obwohl ich weder Mercedesfan bin etc. fand ich den Text sehr schön zu lesen und die einzelnen Details wie die Fahrt nach Italien und den Gebrauchtwagenkauf sehr toll.
Viel Spaß
Ich denke, ich werde mir mal einen zulegen. Allerdings - wie der Vorredner sagte, schwer zu finden. Leider.
Der W140 ist Klasse, aber mittlerweile, wie schon gesagt wurde, schwer zu bekommen, vorallem im guten Zustand.
Aber es gibt einen würdigen Nachfolger und nennt sich: VW Phaeton
Einfach mal Probefahren!
Der direkte Nachfolger ist der Maybach. Der teilt sich u. A. die Bodengruppe mit dem W140.
Ob die Dicken von osteuropäischen Leuten gekauft wurden sei mal dahingestellt... ich tippe eher auf organisierte Klau banden..
Zitat:
Original geschrieben von 316limo
Ob die Dicken von osteuropäischen Leuten gekauft wurden sei mal dahingestellt... ich tippe eher auf organisierte Klau banden..
Nö, die meisten 140-er wurden schon legal exportiert, werden dort aber langsam auch ausgemustert. Budapest z.B. war vor 10 Jahren recht voll mit 140-ern, heute siehst du kaum noch einen (und wenn ja, dann recht runtergeritten). Die Autos sind einfach teuer im Unterhalt...
Der W140 hatte schlichtweg ein Imageproblem...kurz nach der Wende debütiert, kam er direkt in einer wirtschaftlichen Rezession (1991 - 1994) zur Welt, in der er einfach unpassend wirkte. Damals war Understatement schick. Es debütierten der Golf VR6 u. a. also Kompaktwagen mit Oberklassemotorisierungen. Oder Mittelklasselimousinen mit V8 Motoren wie der E500 und 540i...man trug dem den Pelz nach innen.
MB hat daraus gelernt und den Nachfolger verschlankt.
P. S.: mein Vater fuhr zwei W140 als 500SE (Vor-FL) (1991 - 1994) und S500 (FL) (1994 - 1996), diese Kisten strotzen damals vor Mängeln, so dass er den zweiten W140 1996 gegen einen E 50 AMG eintauschte.