Die G-Klasse macht einen Evolutionssprung. Sie hüpft noch immer fröhlich durchs Gelände, auf der Straße wurde sie besser. Sinn ergibt sie immer noch nicht. Erste Fahrt.
Perpignan – Johann gibt vom Beifahrersitz Zeichen mit dem rechten Arm. Volle Kraft voraus, oder: passt schon. Geröll, zum Teil kinderkopfgroße Brocken liegen im Weg, immer wieder steile, hohe Bodenwellen. Bremsen? Nö. Unnötig, sagt Johann. Er kommt aus Graz, der Heimat der G-Klasse. Er hat sie den berühmten Schöckl hoch und runter gejagt. Die neue schafft die Härteprüfung abwärts in 7:50 Minuten, der Vorgänger brauchte 8:30. Auf dem Offroad-Gelände in Frankreich fühlt sich die G-Klasse etwas unwirklich an. Fein gestepptes Eierschalen-Leder auf den Sitzen und in den Türen, präzise gesetzte Nähte auf dem Armaturenbrett und in der Mittelkonsole. Seidig glänzende Lüftungsdüsen, bläulich schimmerndes Ambiente-Licht. Vor der Nase sitzt das breite, digitale Display. Immerhin der Instrumententräger ist analog, einen digitalen gibt es auch. Mit diesen ungefähr 2,5 Tonnen Luxus brettern wir über die Piste. Der G 500 kostet mindestens 108.000 Euro, dieser hier deutlich mehr. Später braten wir noch um einen kleinen Rallye-Kurs mit dem AMG G 63 für fast 150.000 Euro. Noch schneller, noch brutaler. Es ist, als würde man eine Opernsängerin zum Cagefight in den Ring schicken. G-Klasse W463 (2018): Generationswechsel nach 40 JahrenEs stellt sich raus: Die ambientebeleuchtete Diva ist hart im Nehmen. Der G 63 nimmt Sprünge ohne zu zucken, der G 500 knüppelt ungeahnt komfortabel über die Bodenwellen. Bergauf sind 100 Prozent Steigung möglich, drei Differenzialsperren mit bis zu 100 Prozent Sperrwirkung lassen sich manuell zuschalten. Sobald eine Sperre sperrt, trimmt der "G-Modus" alle Parameter auf Offroad. Das Gleiche passiert, wenn man die Geländeuntersetzung einlegt. Dann klettert die G-Klasse aufreizend leicht Geröllhalden und Felsabhänge hoch. Bergab geht es im ersten Gang ebenso sorglos, dann bremst nur der 4,0-Liter-V8 unter der Haube. Kurz danach eine Wasserdurchfahrt: Durch 70 Zentimeter tiefes Wasser kann die G-Klasse waten, diese Pfütze dürfte etwas tiefer sein. Klaglos zieht die G-Klasse durch. Mittendrin stoppen wir und lassen den V8 ein wenig unter Wasser blubbern. Sie kann es also noch. Das gehört zum Mythos der G-Klasse, oder besser: zum Image. Mercedes hat die G-Klasse nach knapp 40 Jahren gründlich modernisiert. Die Baureihe heißt noch W 463. Reine Nostalgie, wie auch die angetäuschte Regenrinne an der A-Säule. Der 2018er-Jahrgang sieht zwar aus wie der Vorgänger, ist aber komplett neu. Auf der Straße sollte die G-Klasse besser werden. Die Spur wurde deutlich verbreitert, die Vorderräder sind erstmals einzeln aufgehängt. Eine Starrachse gibt es nur noch hinten. Das Fahrwerk wurde zusammen mit AMG entwickelt. Nicht nur beim AMG G 63, auch bei den zivilen Modellen. Quälen bis die Reifen WimmernEin Sportwagen ist die G-Klasse nicht geworden. Nicht mal ein "Sport-SUV" wie der Porsche Cayenne. 2,5 Tonnen Gewicht und fast zwei Meter Höhe lassen sich nicht verstecken. Aber: mit erstaunlichem Tempo in die Kurven werfen. Der G wankt, aber er fällt nicht. Beim Herausbeschleunigen wandert der Geländewagen gerne Bodenwellen hinterher, eine wirklich präzise Linie ist schwer zu treffen. Aber man muss es darauf anlegen, wenn die Reifen wimmern sollen. Der G 63 neigt sich in den Kurven weniger und federt straffer, vor allem im Sport-Plus-Modus. Auch so eine technische Neuerung: Erstmals gibt es in der G-Klasse „Dynamic Select“. Fahrprogramme von Eco bis Sport beim G 500, von Comfort bis Sport-Plus beim G 63. Im Gelände lassen sich darüber beim G 63 die Offroad-Programme Trail, Sand und Rock anwählen. Der G 63 kann auch brutal. Der V8 dreht dann die Gänge voll aus. Aus tiefem Bollern wird ein Gurgeln, dann ein kehliges Sägen. Verrückt, dass sich bislang rund die Hälfte der Käufer für diese Untier entschieden hat. Es fuhr bislang quasi nur geradeaus, jedenfalls, wenn es schnell gehen sollte. AMG G 63: Leistung und Drehmoment im ÜberflussJetzt geht es auch um Ecken. Der V8 donnert dazu bei offenen Klappen. Wer nur den G 500 fährt, denkt: wer könnte mehr brauchen. Wer den G 63 fährt, denkt: Wer braucht so viel? Und vermutlich etwas vulgäres mit Superlativ. Klar, 585 PS und 850 Newtonmeter Drehmoment sind viel. Und wenn sie einen Kubus von knapp fünf mal zwei mal zwei Metern Richtung Horizont schießen, wirkt das noch eine Spur gewaltiger als in einem AMG GT R. Bis das brachiale Erlebnis irgendwann ermüdet. Man kann mit einem Pressluftmeißel eben kein Uhrwerk zerlegen und erwarten, dass es heil bleibt. Auf der Landstraße zügelt man sich freiwillig. Nimmt Tempo raus, fährt langsamer in die Kurven. Und hört dem wunderbar gurgelnden Bollern des V8 in seinem großen Resonanzraum zu. Die G-Klasse für die ReiseKomfortabler ist die G-Klasse geworden. Sie rollt selbst als G 63 geschmeidig ab, federt ordentlich und selten zu straff. Im Comfort-Modus schwingt der G 500 weich über Wellen, fast limousinenartig. Der G 63 schwingt weniger nach, schluckt Buckel aber trotzdem gut. Beide kippeln auf unebenem Belag. Zwei Meter Höhe sind zwei Meter Höhe. Und dann ist da noch der Lärm auf der Autobahn. Bis knapp über 100 km/h zischt der Wind leise um die kantige Karosse, darüber wird es laut. Schon bei 120 km/h muss man die Stimme heben, trotz doppelt verglaster Fenster. Um 50 Prozent hat Mercedes das Geräuschniveau im Innenraum reduziert, aber leise ist anders. Die „Regenrinnen“, die keine mehr sind, dürften ihren Anteil daran haben. Die Kastenform sowieso. Zeitgemäß ist das alles nicht, anders als der Luxus und das Digitale im Inneren. Die G-Klasse ist schizophren. Sie lebt zwischen gestern und heute, zwischen Starrachse und digitalem Cockpit. Unter SUVs ist die G-Klasse der Gelände-König, unter echten Offroadern glitzert sie wie von Swarovski. Genau so einen rollenden Widerspruch dürften die meisten Käufer suchen. Ein Auto, das etwas hermacht, das Eindruck schindet. Das kann die neue G-Klasse noch besser als die alte. Die war ja auch schon nichts für Abenteurer auf Expeditionsreise. Denn komfortable Elektronik steckte schon seit Jahren in der G-Klasse. Technische Daten Mercedes G-Klasse
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