Ganz viel neu, doch alles beim Alten? Die G-Klasse W463 macht im Jahr 2018 einen Riesenschritt: Größer, edler, technischer und noch geländegängiger. Alltagstest im G 500.
Berlin – Die G-Klasse ist nichts für Schwächlinge. Um die Türen zuzubekommen, muss man ordentlich Schwung holen. Dann rummsen sie mit dem typischen G-Klasse-Sound ins Drehschnappschloss. Das klingt beim aktuellen G 500 so wie bei seinen Vorgängern. Aus nostalgischen Gründen. Daher lautet der interne Code noch immer W463 – obwohl die seit Mai 2018 auf dem Markt befindliche Generation weit mehr ist als ein Facelift. Die G-Klasse verweigert sich an vielen Stellen dem Fortschritt. Das Alltagsleben mit der G-Klasse wird dadurch zwar nicht leichter. Aber irgendwie aufregender. Wir waren zwei Wochen im Mercedes G 500 unterwegs. Karosserie | Platzangebot | Abmessungen Der Kofferraum ist verbaut. Eine große Stufe blockiert direkt hinter den Rücksitzen, die Radkästen ragen weit ins Innere. Besonders breit ist die Heckklappe auch nicht. Gut: Die Sitzfläche der Rückbank lässt sich nach vorne klappen, dann klappen die lehnen um und vergrößern so den Stauraum erheblich. Die Neigung der Rücklehnen lässt sich verstellen. Maximal bekommt man 1.941 Liter hinter die Vordersitze. Für Passagiere gibt es jetzt mehr Platz auf der Rückbank, nicht nur an den Knien, sondern auch seitlich. Überdurchschnittlich ist allerdings nur die Kopffreiheit in der G-Klasse. Fahrer und Beifahrer sitzen jetzt mit deutlich mehr Ellenbogenfreiheit. Wenn man erstmal den Sitz bestiegen hat, blickt man von weit oben herab auf die Autowelt. Weil die G-Klasse noch immer so kantig ist wie eh und je, weiß man genau, wo sie anfängt und endet. Die aufgesetzten Blinker geben zusätzliche Orientierung. Für die Waschanlage ist die G Klasse aus den selben Gründen nicht gut geeignet. Innenraum | Verarbeitung | Materialien Offroad traut man sich in der G-Klasse nur ohne aussteigen zu. Dazu sind die Materialien zu edel, das Leder zu fein, die Hochglanzflächen zu kratzempfindlich. Robust wirkt das Ensemble allerdings. Wobei das Dekor in Alu-Optik rund um die Lüftungsdüsen beim Klopftest sofort klar macht, dass es wirklich nur Optik ist und kein Alu. Außerdem konnte die Klimaanlage nicht recht überzeugen. Zugegeben, die G-Klasse hatte mit hohen Außentemperaturen zu tun. Trotzdem sollte die Lüftung nicht pusten wie der böse Wolf. Offenbar hat die Klimaautomatik Schwierigkeiten, den großen Innenraum abzukühlen. Und manchmal knarzte es auf holprigem Asphalt leicht irgendwo von der rechen Seite des Armaturenbretts. Infotainment | Radio | Bedienung Gut, dass Android Auto und Apple Carplay an Bord sind. Wobei die Bedienung per Dreh-Drücksteller hier immer wieder an ihre Grenzen gerät. Man spürt, dass die Smartphone-Standards für Touchscreens optimiert sind. Davon abgesehen funktioniert das Mercedes-System mit Controller auf der Mittelkonsole beim Fahren sicherer als Touchscreens. Kleiner Nerv-Faktor: Wie in allen Mercedes-Modellen mit Widescreen verschwindet auch in der G-Klasse immer mal eine Bildschirmecke hinter dem Lenkradkranz. Der Screen sitzt einfach zu nah dran. Assistenzsysteme | Sicherheit Selbständig lenken kann der G 500 nicht, doch er bremst zurück in die Spur, wenn man sie zu verlassen droht. Das funktioniert ordentlich, passiert aber zu oft. Das System reagiert oft, obwohl die Spurmarkierung noch nicht mal berührt wird und bremst einen rigoros ein. Die Park-Piepser sind ebenfalls zu konservativ. Die klassisch runden Scheinwerfer leuchten nun serienmäßig mit LED. Am Testwagen waren sogar die Multibeam genannten Matrix-Leuchten verbaut, die den Gegenverkehr nicht blenden. Immer an Bord und cool: die runden LED-Leisten fürs Tagfahrlicht. Motor | Getriebe | Fahrleistungen Im zivilen G 500 leistet der BiTurbo wie gehabt 422 PS und schickt 610 Newtonmeter Drehmoment an alle vier Räder. Nach 5,9 Sekunden stehen 100 km/h auf dem Tacho, bei 210 km/h wird abgeregelt. Auf dem Weg dahin wird aus dem Bollern ein Rauschen, vulgär wird er jedoch nie. Der Biturbo drückt nicht wie irre, aber vehement. Mehr braucht niemand in so einem Auto. Dass der G 63 trotzdem das meistverkaufte Model ist, muss andere Gründe haben. Der Verbrauch scheint für die Kunden ohnehin eine untergeordnete Rolle zu spielen. Schon der G 500 säuft wie ein Kamel. Serienmäßig passen trotzdem nur 75 Liter in den Tank, unser Testwagen hatte den optionalen 100-Liter-Behälter. Der sorgt für erschreckend hohe Tankrechungen, reicht aber für ordentliche 600 bis 700 Kilometer Reichweite. Knapp 15 Liter verfeuerte der V8 im Schnitt, er musste den G 500 aber auch viele Kilometer über die Autobahn schieben. Die G-Klasse ist mit der Stirnfläche einer mittleren Kleingarten-Datsche gesegnet, aber weniger windschlüpfig geformt. Bei höherem Tempo steigt der Verbrauch des G 500 massiv an. Da kann die Neungang-Automatik mit ihren zwei zusätzlichen Gangstufen nur begrenzt helfen. Die schaltet meistens sanft und schnell, schien im Testwagen aber nicht optimal auf den V8 abgestimmt. Zuweilen hing sie im Stadtverkehr etwas zu lange im kleinen Gang fest. Bei wechselnden Lasten gab es vereinzelt harte Stöße im Antriebsstrang. Fahrwerk | Lenkung | Fahrverhalten Auf der Straße dagegen fahren die meisten SUVs der G-Klasse davon. Wie ein Pkw fährt die G-Klasse nicht. Im Komfortmodus federt sie weich-schwingend und wackelt über pickeligen Asphalt wie ein Mittsechziger mit künstlichem Hüftgelenk. Aber sie rollt erstaunlich komfortabel ab. Dafür neigt sie sich tief in die Kurven. Tempo wird da schnell mühsam. Der Sport-Modus hilft ein bisschen. Die gefühllose, eher indirekte Lenkung macht es dennoch schwer, in Kurven einen geraden Strich zu ziehen. Auf der langen Strecke ist der G 500 nur zuhause, solange das Tempo nicht zu hoch wird. Schneller als 150 km/h mag man nur fahren, wenn man gerade Streit mit der Beifahrerin hat. Da kann man sich wenigstens nicht unterhalten. Neben der Grundform liegt das vor allem an den „Regenrinnen“, um die der Wind zischt. Wasser leiten die nicht mehr ab, sie erfüllen nur einen optischen Zweck. Mercedes G 500: Preis | Ausstattung | KostenDieses Kapitel können wir abkürzen. Wer die G-Klasse will, der zahlt. Rund 107.000 Euro kostet der G 500 in der Basis. Zu diesem Preis sieht er im Innenraum allerdings nicht nach 107.000 Euro aus. Für gut 3.600 Euro ändert sich das mit der AMG Line, die das Edelstahl-Paket für gut 2.000 Euro erfordert. Schöneres Leder, rote Ziernähte und rote Gurte machen den Innenraum sportlicher. Das Äußere wird durch AMG Felgen, Trittbretter, eine schickere Reserverad-Abdeckung und weitere Kleinigkeiten aufgebretzelt. Dazu kamen am Testwagen noch: Schiebedach, Burmester-Soundanlage, das Widescreen-Cockpit mit zwei großen Bildschirmen, Multibeam-LED-Scheinwerfer, das adaptive Fahrwerk und einige weitere „Kleinigkeiten“. Alles in allem kostete unser Testwagen knapp 140.000 Euro. Fazit: Ein Solitär entzieht sich dem Zeitgeist Warum wir die Zeit mit ihr trotzdem genossen haben? Vermutlich, weil sie so anders ist als die Legion von Baukasten- und Plattform-SUVs. Weil sie genial aussieht. Weil sie mehr kann, als man jemals brauchen könnte. Weil es schlicht keine vernünftigen Gründe für dieses Auto gibt und man es trotzdem haben will. Unnötig, aber schön. Technische Daten Mercedes G 500
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