Es gibt keine Scheunenfunde mehr? Dieser Toyota Corolla Tercel 4WD wurde im Neuwagenzustand aus einer Garage geholt. Jetzt dient er Classic Data in Bochum als exotisches Winterauto.
Quelle: Marius Brune/Classic Data Von Haiko Prengel Bochum – Kurbelfenster, keine Servolenkung, kein ABS: Dieses Auto ist eine Reise in die Vergangenheit. Zum vollen Genuss hat Marius Brune die alten Musikkassetten aus seiner Jugend hervorgekramt. "Wir nennen ihn auch 'Die Zeitmaschine'", sagt der Klassiker-Fan über den alten, allerdings ziemlich neuwertigen Toyota Corrola Tercel 4 WD, mit dem er neuerdings durch das Ruhrgebiet fährt. Einmal ans Steuer gesetzt, fühlt man sich wieder ins Jahr 1993 zurückversetzt. Quelle: Marius Brune/Classic Data In jenem Jahr ist der Japaner in Silberblau-Metallic vom Band gelaufen. Extras: keine. Außer vielleicht das Philips-Radio mit zeitgenössischem Kassettendeck, das Brune neuerdings mit Hits aus den frühen Neunzigern füllt. "Would I lie to you" von Charles & Eddie war damals einer der Superhits im Radio. In der Disco tanzte man zu den Beats von Snap und Captain Hollywood Project. An diese Musik mögen sich manche noch erinnern. Aber an den Toyota Corolla Tercel? "Dieses Auto war damals schon ein Exot auf den Straßen", erklärt Marius Brune von der Kfz-Sachverständigenorganisation Classic Data. Die Bochumer beobachten seit mehr als 30 Jahren die Preisentwicklung historischer Fahrzeuge. Darüber hinaus pflegen sie einen eigenen kleinen Firmenfuhrpark mit automobilen Klassikern. Ihr spektakulärer Neuerwerb: Der Toyota Corolla Tercel 4WD aus Rentnerhand. Mit gerade einmal 5.300 Kilometern auf der Uhr. Ein Opfer der AbwrackprämieDer skurrile Allrad-Kombi mit der steil abfallenden Heckklappe und Baujahr 1993 wurde an einen älteren Herrn aus dem Raum Osnabrück verkauft. Kombis sind meistens Lastenesel. Der Herr aus Norddeutschland scheint den Japaner aber nur sehr selten gefahren zu haben, anders ist die sensationell geringe Laufleistung nicht zu erklären. Dann verstarb der Besitzer und das Auto stand abgemeldet jahrelang in einer Garage herum. Quelle: Marius Brune/Classic Data Nun sind und waren Toyota Corolla alles andere als Exoten, auch nicht auf deutschen Straßen. Die Limousine der Baureihen E9 und E10 war vor 30 Jahren eines der meistverkauften Modelle der unteren Mittelklasse. Für den Kombi entschieden sich dagegen wenige Käufer, erst recht für den Tercel mit serienmäßigem Allradantrieb und manuellem Diff-Lock, also zuschaltbarer Differenzialsperre. So etwas boten sonst nur waschechte Geländewagen. "Ein Opel Frontera dagegen zum Beispiel nicht, das war ein Möchtegern-Geländewagen", sagt Marius Brune. In den Nullerjahren endeten viele Toyota Corolla dann auf Schrottplätzen. Der Japaner war ein typisches Opfer der Abwrackprämie. Umso größer ist heute die Überraschung, wenn man einen der seltenen Tercel-Kombis noch auf den Straßen entdeckt – zumal wie bei dem Auto aus Osnabrück im Zustand 1 bis 2. Dabei ist das Auffälligste an dem Kombi eigentlich, dass er so unaufällig aussieht. "Der geht im Straßenverkehr unter wie eine graue Maus", sagt Marius Brune. Selbst Kenner der Marke Toyota verschätzen sich beim Baujahr und datierten den Wagen auf 2000 oder 2001. Der Nase nach ein NeuwagenClassic Data bekam Wind von dem bizarren Schmuckstück, als ein Partner der Sachverständigen-Organisation sich bei den Bochumern meldete. Aus dem Bekanntenkreis des verstorbenen Erstbesitzers sei jemand mit dem seltenen Toyota-Youngtimer vorgefahren und wollte ein frisches HU-Siegel haben, berichtete der Kfz-Gutachter. Das Auto sei rostfrei und habe keine 10.000 Kilometer auf dem Tacho. Der Neubesitzer wolle den Kombi als "Baufahrzeug" nutzen. Quelle: Marius Brune/Classic Data Da wurden die Leute von Classic Data hellhörig. Offensichtlich hatte man es mit einem seltenen Youngtimer aus Fernost im Neuwagenzustand zu tun. Sogar die Folien an den roten Zierstreifen der Außenbeplankungen hatte der Erstbesitzer nicht entfernt. Viel zu schade jedenfalls, um das Schätzchen als Baufahrzeug herunterzureiten. Die Bochumer fackelten also nicht lange und kauften den Wagen. Classic Data hat noch einige andere hübsche Klassiker in ihrem Firmenfuhrpark stehen. Darunter sind ein Fiat 124 Spider, ein Audi 200 (Typ 43) und drei Mercedes der Baureihe 124. "Der Toyota Corolla Tercel ist unser erster Neuwagen", sagt Marius Brune augenwinkernd. Tatsächlich: Auch im Innenraum wirkt ein Vierteljahrhundert nach Erstauslieferung alles wie neu. Ein Ex-Mitarbeiter von Toyota bestätigte Classic Data den Quasi-Neuwagenzustand des Kombis, wie Brune berichtet: "Der hat sich 'reingesetzt, ein paar tiefe Züge Luft geholt und gesagt: 'Ja, genau so haben die Autos damals neu gerochen." Ein zweiter Frühling für den Corolla Tercel 4WDInzwischen nehmen Marius Brune und seine Kollegen regelmäßig ein paar Luftzüge in dem Youngtimer – je nachdem, wer gerade mit dem Wagen unterwegs ist. Und schieben alte Musiktapes in den Kassettenschacht des Radios. Classic Data hat sich entschieden, den Allradler als Winterauto zu nutzen. Klar, das ist sinnvoll, auch wenn in Bochum deutlich seltener Schnee fällt als noch vor 30 Jahren. Auf trockener oder regennasser Straße fühlt sich ihr neuer, alter Toyota pudelwohl. Für einen Tausender bekam der Kombi einen Satz neue Reifen spendiert, alle Betriebsflüssigkeiten wurden gewechselt und der Zahnriemen kam neu. "Das heißt, für die nächsten 100.000 Kilometer ist jetzt erst einmal freie Fahrt", sagt Marius Brune. Das klingt nach einen beherzten zweiten Frühling für ein Auto, das heute kaum noch jemand kennt. Toyota Corolla Tercel 4WD (1992-1997) - Technische Daten
Quelle: Haiko Prengel |