Mercedes baut den Nissan Navara zum eigenen Pick-up um. Die X-Klasse fährt entspannter und luxuriöser, sie bleibt aber ein Nutzfahrzeug. Der X 250d im Test.
Quelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch Berlin – Das Geräusch kennen wir schon. Beim Ausfahren aus der MOTOR-TALK-Tiefgarage kratzt die Dachantenne der X-Klasse an den niedrig hängenden Querträgern. Krchhht, krchhht, verstärkt durch Vibrationen des Dachblechs. Beim Nissan Navara klang das genauso. Kein Wunder, denn beide Autos sind technische Zwillinge, die auf dem gleichen Kastenrahmen aufbauen. Damals wie heute ist es kein gutes Gefühl, wenn ein Autoteil an der Garage kratzt. Vor allem dann, wenn das Auto großzügig mit den Maßen, aber sparsam mit der Übersicht ist. Man gewöhnt sich trotzdem dran. An alles davon. An gut 5,30 Meter Länge, an Einsteigen mit Trittbrett und an den stetigen Wunsch, nochmal kurz am Baumarkt anzuhalten. Wir waren zwei Wochen lang mit der Mercedes X-Klasse unterwegs, ausgestattet mit 190 Diesel-PS aus einem 2,3-Liter-Vierzylinder, Automatikgetriebe und Allradantrieb. In Gedanken verglichen wir den dicken Daimler mit seinem japanischen Bruder, der Ende 2017 zum Test antrat. Und wir suchten nach einer Berechtigung für ein Nobel-Pick-up. Abmessungen | Platzangebot | KarosserieQuelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch In den USA nennt man das Segment der X-Klasse „Mid-Size“. Übersetzt bedeutet das: riesig. Die Dual-Cab-Konfiguration mit ausreichend großer Ladefläche und längs eingebautem Antrieb erfordert Platz. Ist bei Ford Ranger, VW Amarok und Nissan Navara nicht anders. In Zahlen: Der Benz misst 5,34 Meter in der Länge, 1,82 Meter in der Höhe und 1,92 Meter in der Breite. Mit Außenspiegeln notiert Daimler 2,11 Meter Spannweite. Ein ordentlicher Klotz, auch im Vergleich mit großen SUV. Die hohe Front lässt sich nur schwer überblicken, man befürchtet stets weniger Nähe zum Vordermann, als tatsächlich vorhanden ist. Kameras helfen, vor allem in engen Parkhäusern und schmalen Lücken. Nach hinten ist die X-Klasse ein Legostein, also gut überschaubar. Aber das Ende ist weit, weit weg. In der Kabine sitzen vier Personen bequem, eine fünfte passt zur Not auch noch hinein. Im Fond nimmt man deutlich höher Platz als vorne, die Kopffreiheit genügt aber völlig. Zugriff auf die Ladefläche gibt es in erster Linie von außen, sie ist getrennt vom Innenraum. Einzige Verbindung: ein kleines, elektrisch öffnendes Fenster in der Heckscheibe. Daimler übernimmt die Ladefläche des Navara, verändert aber ein wichtiges Detail. Eine breitere Spur sorgt dafür, dass die Radhäuser weiter nach außen rücken. So passt eine quer liegende Euro-Palette auf die Ladefläche der X-Klasse. Der Nissan schafft das nicht. Quelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch Eine wichtige Eigenheit teilt sich die X-Klasse mit allen anderen Pick-ups: Ihre Ladefläche ersetzt keinen Kofferraum. Schutz gegen Wind und Wetter gibt es nur optional. Die Beladung selbst ist mühselig, lange Gegenstände lassen sich kaum transportieren. Was in den hinteren Ecken landet, kann man von außen kaum erreichen. Letztendlich klettert man beim Be- und Entladen am besten drauf. Kleiner Trost: Das sieht ziemlich cool aus. Innenraum | Verarbeitung | MaterialienDaimler gibt sich viel Mühe, den Pick-up nach Mercedes aussehen zu lassen. Außen gelingt das gut – jedes Blechteil ist neu. Innen dürfte es gern etwas mehr sein. Es wirkt, als hätte man einen gewissen Anteil vom Partner übernehmen müssen. Startknopf, Schlüssel, Allradsteuerung und diverse Verkleidungsteile kommen in beiden Autos vor. Rund um die Mittelkonsole wird die X-Klasse lieblos, es fehlt an Ablagemöglichkeiten und Schmuck. Nicht gemessen an anderen Pick-ups, sondern an anderen Mercedes. Ganz untypisch: Der Wählhebel für die Automatik sitzt nicht am Lenkstock, sondern in der Mittelkonsole. Dem Lenkrad fehlt außerdem eine Verstellung in der Tiefe. Die obere Hälfte des Armaturenbrettes gestalten die Schwaben. Tacho, Infotainment und Lüftungsdüsen stammen aus anderen Mercedes-Modellen oder orientieren sich zumindest an ihnen. Rund herum gibt es Kunstleder mit hübschen Nähten – zumindest in der getesteten Top-Ausstattung „Power“. Dass die X-Klasse ein Nutzfahrzeug ist, kann sie aber trotzdem nicht verstecken. Quelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch Es kommt auf den Maßstab an. Verglichen mit anderen Pick-ups wirkt der Mercedes wertig und schick. Verglichen mit anderen Mercedes wirkt die X-Klasse robust und zweckmäßig. Sie fühlt sich nicht nach Baustelle an, aber eben auch nicht nach Luxus. Nicht wie die G-Klasse, schon gar nicht wie eine der größeren Limousinen. Eher zweckmäßig. Fahrverhalten | Fahrwerk | LenkungDas spürt man vor allem beim Fahren. Der Diesel knurrt kernig und laut, wenn die Fenster offen sind. Gute Dämmung fängt viel davon wieder ein, wenn man die Fenster schließt. Dem Fahrwerk traut man einiges zu. Mercedes verbreiterte die Nissan-Achsen unter anderem, damit sich der Pick-up in Kehren besser abstützen kann. Das gelingt, Kurven räubert man mit dem Auto trotzdem nicht. Der Schwerpunkt sitzt hoch, die Karosserie neigt sich ordentlich. Immerhin: weniger als die des Navara. Schlaglöcher und miese Straßen kommen deutlich spürbar im Innenraum an. Der Pick-up gleitet nicht über Kopfsteinpflaster wie ein Pkw, sondern holpert darüber. Trotz Schraubfedern und Mehrlenker-Achsen vorn wie hinten. Die X-Klasse ist eben kein Pick-up-SUV, sondern ein Pick-up-Nutzfahrzeug. Mit allen Vor- und Nachteilen. Zu letzteren gehört der Wendekreis von 13,4 Metern. Gut eine Tonne Zuladung und 3,5 Tonnen Anhängelast sind genügend Argumente, um auf Komfort zu verzichten. Hinzu kommen gut 20 Zentimeter Bodenfreiheit, 60 Zentimeter Wattiefe und viel Potenzial im Gelände. In unserem Alltagstest kamen wir ohne Differenzialsperre, Untersetzung oder Allradantrieb aus. Dass die X-Klasse sich offroad gut schlägt, erfuhren wir schon bei anderer Gelegenheit. Infotainment | Radio | KonnektivitätQuelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch Das Infotainmentsystem der X-Klasse stammt vollständig von Mercedes. Allerdings bekommt der Pick-up nicht die jüngste Generation (MBUX), sondern das Auslaufmodell. Ein veraltetes System, aber dafür ein bewährtes. Ein Dreh-Drück-Regler steuert die meisten Funktionen, ein Touchpad unterstützt beim größeren Modell. Die Bedienung geht leicht von der Hand. Serienmäßig baut Mercedes ein Radio mit 7-Zoll-Display ein. USB und Bluetooth gehören immer dazu. Gegen Aufpreis (250 Euro) gibt es ein CD-Laufwerk, weitere 595 Euro erweitern das System zum Navi. Smartphone-Standards wie Android Auto oder Apple CarPlay bietet Mercedes in der X-Klasse nicht an. Schade: Optisch ist die Bedieneinheit unter den Lüftungsdüsen nicht schön integriert. Ihre Krümmung passt nicht zur Form des Armaturenbrettes. Es wirkt, als habe Mercedes das Bauteil aus irgendeinem Auto genommen und fix hineingesteckt. Assistenzsysteme | SicherheitFür Infotainment- und Assistenzsysteme gilt: Nur ganz neue Fahrzeugarchitekturen unterstützen alle modernen Extras. Deshalb hält sich die X-Klasse bei den Helfern enorm zurück. Einen Tempomat bekommt die X-Klasse serienmäßig. Der hält aber nur die Geschwindigkeit, nicht den Abstand zum Vordermann. Eine Distronic ist nicht verfügbar. Quelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch Immerhin: Die X-Klasse erkennt serienmäßig Verkehrszeichen, Fahrbahnmarkierungen und Hindernisse. Droht eine Kollision, bremst der Pick-up automatisch. Nur die Topmotorisierung X 350 d bekommt einen aktiven Spurassistenten. Alle anderen Varianten melden nur, wenn das Auto die Fahrspur verlässt. Antrieb | Motor | GetriebeDer Antrieb in unserem Testwagen stammt von Nissan. 2,3-Liter-Vierzylinder-Diesel, Siebengang-Automatik und der Antriebsstrang mit zuschaltbarer Vorderachse und Untersetzung übernimmt der X 250d 4Matic aus dem Navara. Entsprechend unterscheiden sich beide Autos in Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit kaum. Der X 250d bemüht sich in 11,8 Sekunden auf Tempo 100 und läuft 180 km/h Spitze. Der kleine Diesel komt mit den gut 2,2 Tonnen der X-Klasse problemlos zurecht. Zwischen 1.500 und 2.500 Touren liegen 450 Newtonmeter an. Wer das Auto flott bewegen will, muss hohe Drehzahlen akzeptieren. Der Fokus liegt auf Nutzfahrzeug, mit Pkw-Aufgaben kann er trotzdem gut umgehen. Selbst dann, wenn es mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn geht. Im Berliner Stadtverkehr spritzte der Motor auf kurzen Strecken durchschnittlich rund 11 Liter Diesel in die Brennräume. Auf der Pendelstrecke ins Umland sank der Durst auf 8 Liter. Das liegt nah am Normverbrauch: Mercedes gibt 7,9 Liter pro 100 Kilometer an. Gemessen an Größe, Gewicht und Stirnfläche liegt der Durst der X-Klasse auf anständigem Niveau. Ausstattung | Preis | FazitQuelle: ausblenden.de I Marlene Gawrisch In der Basis steht die X-Klasse ganz schön nackt da. Mercedes baut 17-Zoll-Stahlfelgen, unlackierte Stoßfänger und Halogenlampen an. Elektrische Spiegel, Multifunktionslenkrad, Bluetooth-Radio, Tempomat, ein paar Helfer und eine Klimaanlage gibt es serienmäßig. Innen gibt es in erster Linie tristen Kunststoff, der Fahrersitz ist höhenverstellbar. Basispreis in der Testmotorisierung: 40.114,90 Euro brutto.Den gleichen Antriebsstrang gibt es im Nissan Navara günstiger. Er ist ab der Ausstattung „Acenta“ verfügbar und kostet mit etwas mehr Schmuck sowie einigen serienmäßigen Extras (18-Zoll-Alus, CD-Radio, Keyless Go) 31.205 Euro. Ein riesiger Unterschied. Die X-Klasse soll allerdings nicht mit dem Navara konkurrieren, sondern seine eigene Klasse aufmachen. Ein bisschen nobler, besser gedämmt und mit mehr Spielraum nach oben. Zum einen durch den Sechszylinder, den Mercedes im X 350d anbietet. Außerdem eben durch mehr Extras. Ein X 250d mit der getesteten Ausstattung „Power“ kostet mindestens 47.190 Euro. Sie beinhaltet viel Kunstleder, LED-Lampen und 18-Zöller. Unser Testwagen mit Navi, Rundum-Kamera und etwas Ladeflächen-Zubehör steht mit 50.301,85 Euro in der Preisliste. Nicht günstig – aber ungefähr auf Augenhöhe mit dem VW Amarok 3.0 TDI (204 PS). Technische Daten Mercedes X250d 4Matic
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