Ein klassischer Golf-Konkurrent rollt aktuell in neuer Generation zu den Händlern: Ford pries Focus Nummer vier vollmundig an. Der Hoffnungsträger im Alltagstest.
Berlin – Mit dem Modellwechsel entdeckte Ford den Superlativ. „Das beste Auto der Kompaktklasse“, soll Focus Nummer vier sein. Sagt die Presseabteilung. Außerdem „der beste Ford aller Zeiten“, wie die Leute vom Marketing meinen. Jedenfalls ist er aus deutscher Sicht der wichtigste Ford: Sogar der angegraute Vorgänger ging im Jahr 2017 laut KBA 45.391 Mal weg, da kommt bestenfalls der kleinere Fiesta mit. Im gleichen Zeitraum verkaufte VW mehr als fünfmal so viele Golf VII. Bis die Wolfsburger ihr Kernmodell 2019 erneuern, wird der Focus etwas aufschließen. Wie nahe er dem kompakten Bestseller kommen kann, ob er Konkurrenten wie Opel Astra (56.327 verkaufte Autos 2017) oder Skoda Octavia (59.147 verkaufte Autos 2017) einholt? Hängt davon ab, wie gut die neue Generation wirklich ist. Der Focus Mk 4 im Alltagstest - mit 120 PS starkem 1,5-Liter-Diesel und sportlicher ST-Line-Ausstattung. Abmessungen | Platzangebot | KarosserieQuelle: mobile.de Focus Nummer vier ist groß geworden. Mit 4,37 Metern überragt er seinen Vorgänger um rund 1,8 Zentimeter. Die Kombi-Version Focus Turnier misst sogar 4,60 Meter. Fords Kompakter wurde schnittiger, gewann an Breite (1,825 Meter) und verlor etwas an Höhe (1,452 Meter). Als erstes Modell überhaupt nutzt er die neuentwickelte C2-Plattform. Der Unterbau soll mehr Steifigkeit bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme ermöglichen. Ford verlängerte den Radstand im Vergleich zum Vorgänger um 5 Zentimeter – nur ein Grund, warum Fond-Passagiere im Focus nun angenehmer sitzen. Daneben ist der Mitteltunnel flacher, die Lehne der vorderen Sitze etwas schmaler. Haben Großgewachsene ihre Beine erst einmal über die recht hohen Einstiege gewuchtet, finden sie ausreichend Platz. Hünen stören sich nur an der knappen Kopffreiheit zur Seite. Der größte Fan des hinteren Karosserie-Aufbaus sitzt vorne links: Dem Fahrer ermöglicht die schmale C-Säule gute Übersicht beim Spurwechsel. Der Gepäckraum fasst 375 Liter, bei umgeklappter Rückbank passen 1.354 Liter in den Ford. Die Lehnen der zweiten Reihe fallen im Verhältnis 60:40, im Bereich des mittleren Platzes gibt es eine Luke zum Durchladen sperrigen Transportguts. Für Kleinzeug stehen nicht übermäßig viele Ablagen bereit. Mit Ausnahme des Staufaches unter der Mittelarmlehne gilt im Focus: What you see is what you get. Also ein kleines Fach inklusive Handy-Ladeschale (150 Euro) im unteren Bereich der Mittelkonsole, die Fächer in den Türen und zwei Vertiefungen an den Ecken der Kofferraum-Öffnung – Kleinod gehört da nicht rein, es kann durch eine kleine Öffnung in die Reserveradmulde fallen. Innenraum | Verarbeitung | MaterialienQuelle: mobile.de Der Focus ist ein Pragmat: Aus den Cockpits teurerer Autos kennen wir gebürstetes Alu, hier finden wir „gebürstetes Plastik“ an der Mittelkonsole. Das ist optisch und haptisch weit cooler als es klingt. Insgesamt fühlt man sich im Focus wohl. Der Innenraum wirkt solide verarbeitet, die Lederpolster der Armlehnen sind angenehm unterfüttert und das Armaturenbrett ausreichend unterschäumt. Aber klar: Wer das Cockpit nach Hartplastik abklopft, wird spätestens im unteren Bereich fündig. Das Armaturenbrett geriet weniger klobig als jenes des Vorgängers. Erstmals kommt der Focus mit freistehendem, aufgesetzten Display. Die Schalter und Tasten könnten gerne hübscher sein. Unser Testwagen kam über die sportlich getrimmte ST-Line-Ausstattung zu roten Ziernähten am belederten Lenkrad und tief verbauten Sportsitzen. Nach wildem Racing sehen die elektrisch verstellbaren Hocker nicht aus, doch der Seitenhalt passt dank der kaum nachgiebigen Flanken. Die lange Sitzfläche lässt sich weit nach hinten neigen, womit sich der Fahrer beim härteren Bremsen nicht als Rodeo-Reiter fühlt. Wer mit voll besetztem Auto glüht, sollte Rücksicht nehmen: Auf die Taillierung der hinteren Sitzlehnen hat die Auswahl der sportlichsten Focus-Ausstattungslinie keinen Einfluss. Antrieb | Getriebe | Motor | FahrleistungenFord deckt mit vier Aggregaten insgesamt acht Leistungsstufen ab: Ein 1,0-Liter-Dreizylinder-Benziner liefert 85, 100 oder 125 PS. 1,5 Liter Hubraum sorgen verteilt auf drei Brennräume für 150 oder 182 PS. Der stärkste Diesel leistet 150 PS – ein 2,0-Liter-Vierzylinder. Darunter gibt es den 1,5-Liter-Vierzylinder-Diesel mit 95 oder 120 PS. Im Motorraum unseres Testwagens arbeitet die stärkere Version des kleinen Selbstzünders. Und das im Leerlauf recht deutlich hörbar, unterwegs vernahmen wir das Nageln nicht. Laut Datenblatt liegt die maximale Leistung bei 3.600 Umdrehungen an, das maximale Drehmoment von 300 Newtonmetern von 1.750 bis 2.250 Umdrehungen. Gefühlt liefert der Motor ab rund 2.000 Umdrehungen brauchbaren Vortrieb, praktisch bis zum Drehzahllimit bei rund 5.000 Touren. Quelle: mobile.de Nach druckvoller Fahrt über die Autobahn und etlichen Kilometern im Berliner Stadtverkehr zeigte der Bordcomputer einen Verbrauch von 6,7 Litern. Bei ruhigerer Fahrweise und flüssigem Verkehr steht eine Fünf voran. Den Ad-Blue-Kanister kann man im Tankstellen-Shop lassen – der intern 1,5 EcoBlue genannte Antrieb nutzt zur Abgasreinigung das einfachere LNT-System anstelle eines SCR-Katalysators. Euro 6d-Temp erfüllt der Antrieb dennoch. Unser Testmodell kommt mit einer Achtgang-Wandlerautomatik (1.900 Euro Aufpreis) anstelle des manuellen Sechsgang-Getriebes. Statt des gewohnten Pistolenschaltknaufes verbaut Ford einen Drehregler, wie man ihn etwa aus Land-Rover-Modellen kennt. Sieht klasse aus und spart Platz – doch wenn es beim Wechsel zwischen D und R einmal schnell gehen muss, vermisst man den gewohnten Knüppel. Das System schaltet bei Gaswegnahme angenehm früh zurück, beim Heraufschalten legt der Automat manchmal einen Tick zu spät nach. Die Arbeitsweise lässt sich nur bedingt über die Wippen am Lenkrad beeinflussen. Besonders im scharfen Fahrmodus blieb der Focus oft stur bei seiner Gang-Wahl. Fords Kompakter ist aktuell ausschließlich mit Frontantrieb erhältlich, Allradantrieb gibt es wohl erst später im Topmodell Focus RS. Fahrwerk | Lenkung | Federung | FahrverhaltenQuelle: mobile.de Focus Nummer vier gehört zu den sportlichen Vertretern des Kompakt-Segments. Ford verbaut eine direkte Lenkung mit ungewohnt großen Rückstellkräften. Und wählte die Spontanität um die Mittelstellung mit Vernunft: Gering genug, um das Auto nicht schwammig wirken zu lassen. Gleichzeitig so groß, dass man beim Niesen nicht gleich vier Fahrspuren wechselt. Antriebseinflüsse ließ uns dieser Fronttriebler über das Lenkrad praktisch nicht spüren. Erstmals können Focus-Fahrer zwischen den Fahrmodi Normal, Eco und Sport wählen (serienmäßig). Das gewählte Programm beeinflusst den Lenkwiderstand und die Gaspedal-Kennlinie. Bei Modellen mit optionalem Adaptiv-Fahrwerk ändert sich daneben die Arbeitsweise der Dämpfer. Außerdem kommen die Fahrmodi Komfort und Eco-Komfort hinzu. In den Federdomen unseres Testwagens steckt ein sportlicher abgestimmtes, 10 Millimeter tieferes Fahrwerk (serienmäßig bei ST-Line) - jedoch ohne adaptive Steuerung. Es ist straff und sorgt für wenig Karosserie-Neigung, ohne der Lendenwirbelsäule über Wellen zu viel zuzumuten. Allenfalls strapaziert es den Gehörgang: Auf Berliner Kopfsteinpflaster klapperte im hinteren Bereich mitunter irgendetwas. Assistenzsysteme | SicherheitQuelle: mobile.de Mit dem Modellwechsel kommen mehr Assistenzsysteme. Ford bietet unter anderem Totwinkel- und Notbremsassistent, außerdem den adaptivem Tempomaten ACC und einen Lenkassistenten. Bei Automatik-Modellen arbeiten die als Stauassistent zusammen: Das Auto folgt im Stop-and-go-Verkehr der Fahrspur, hängt sich an den Vorausfahrenden. In der Praxis klappt das nicht immer wie gedacht. Der Lane-Keep-Assistant meldet sich bei geringer Geschwindigkeit zu oft ab. Das ACC agiert souverän – beim Wiederanfahren trödelt das System aber. Wir fanden keine Option, den Focus zur zügigeren Verfolgung zu animieren. Der Notbremsassistent bewies ein Herz für Nahverkehrsinfrastruktur, schlug im Vorbeifahren bei nahezu jedem Metallpfeiler der Stadtbahnbrücke in Kreuzberg an. Immerhin: Bis zum Stillstand zog der Focus die Bremsung zum Glück nie durch, es blieb bei kurzen Eingriffen. Die Funktionsweise des Ausweichassistenten konnten wir im Alltag nicht testen. Zum Glück. Fords Einparkassistent übernimmt bei Automatikmodellen alles. Also Lenken, Bremsen und den Gangwechsel. (Dass man dafür zunächst in den Leerlauf gehen muss, glaubt man dem Bordcomputer lange nicht). Der Active Park-Assist findet in rechtwinkelige und parallele Lücken, braucht dabei aber länger als ein geübter Fahrer aus Fleisch und Blut. Dem steht in unserem Testmodell als Hilfe noch die Rückfahrkamera zur Verfügung. Im Zweifelsfall ist auf deren Aufnahme mehr Verlass als auf den übervorsichtigen Parkpiepser. Infotainment | Radio | BedienungQuelle: mobile.de Der stehende Screen an der Mittelkonsole ist neu, der Menüaufbau wie von Ford gewohnt: Nicht exorbitant schön, aber man findet sich schnell zurecht. Komplexer wird es, wenn man in die Tiefen des Bordcomputers abtauchen muss – meist geht es dort um Grundsätzliches, etwa die Arbeitsweise der Assistenten. Die Bedienung erfolgt über die Tasten rechts am Lenkrad. Die Gegenstücke links steuern den Tempomaten. Analoge Instrumente zeigen Drehzahl und Geschwindigkeit, vieles Weiterführende lässt sich am aufgesetzten Head-up-Display (450 Euro) einblenden. Die Tastenbatterie im unteren Bereich der Mittelkonsole regelt die Klimaanlage. Ford bietet im Focus (serienmäßig ab der Ausstattungslinie Titanium beziehungsweise ST-Line) einen WLAN-Hotspot für bis zu 10 Geräte. Außerdem eine App (FordPass), über die Tankfüllung und Ölstand abgefragt werden können. Daneben lässt sich das Auto per Smartphone entriegeln und – praktisch im Winter – auch starten. Ausstattung | Preis | KostenFord bietet den neuen Focus ab 18.700 Euro an, der Vorgänger startete geringfügig höher. Zu diesem Preis gibt es den 85-PS-Benziner mit Sechsgang-Handschaltung in der untersten Ausstattungslinie „Trend“. Enthalten sind LED-Tagfahrlicht, das personalisierte Schlüsselsystem MyKey (ermöglicht Profile für mehrere Fahrer), Notbremsassistent und ein Lenkassistent. Außerdem kommt jeder Focus mit Fahrmodus-Schalter. Die zweite von fünf Ausstattungslinien („Cool and Connect“) kostet ab 22.600 Euro. Dann stecken die 100-PS-Variante des 1,0-Liter-Benziners und ein manuelles Getriebe im Motorraum. Zum Serienumfang gehören das Navigationssystem Sync 3 mit acht Zoll großem Touchscreen (wie in unserem Testfahrzeug), Sportsitze und die Mittelarmlehne vorne. Die „Titanium“-Linie kostet ab 25.200 Euro mit dem 125 PS starken Dreizylinder-Benziner. Hier kommen unter anderem LED-Rückleuchten, der WLAN-Hotspot, ein schlüsselloses Zugangssystem und das Head-up-Display hinzu. Als „Vignale“ (ab 28.700 Euro mit 125-PS-Benziner) liefert Ford den Focus in seiner nobelsten Form. Dann gibt es serienmäßig etwa Lederpolsterung für den Innenraum oder Ambiente-Beleuchtung. Quelle: mobile.de Die ST-Line steht im Grunde außerhalb, bildet die sportliche Alternative. Ab 25.200 Euro (als 125 PS-Benziner) kommt der Focus mit aggressiveren Schürzen, eigenen 17-Zoll-Felgen, Sportsitzen, Doppelrohr-Auspuffanlage und einem sportlich abgestimmten, tieferen Fahrwerk. Innen gibt es Sportsitze, WLAN-Hotspot und das großen Infotainmentsystem. In der getesteten Variante mit 120 PS starkem 1,5-Liter-Diesel und Achtgang-Automatik kostet der Focus ST-Line laut Liste mindestens 29.500 Euro. Bei unserem Testmodell in Dynamic-Blau (715 Euro) kamen unter anderem das Head-up-Display (450 Euro), LED-Scheinwerfer (950 Euro) und die induktive Handy-Ladeschale (150 Euro) hinzu. Der Einparkassistent fand über das 550 Euro teure Easy Parking-Paket ins Auto, der Totwinkel-Assistent kostet 480 Euro. In Summe kommt das abgebildete Fahrzeug mit Panorama-Glasdach (1.200 Euro) im Konfigurator auf 36.395 Euro. Für die Kombi-Version Focus Turnier verlangt Ford stets 1.000 Euro Aufpreis. Der Klassen-Primus VW Golf VII startet bei 18.075 Euro, ebenfalls mit 85-PS-Benziner. Der technisch vergleichbare 115 PS starke 1,6-Liter-TDI kostet mit Siebengang-Doppelkupplungsgetiebe ab 24.725 Euro. Mit dem sportlichen R-Line-Paket beträgt der Preis des Wolfsburgers mindestens 30.415 Euro. Der Opel Astra startet bei 17.995 Euro mit 90-PS-Benziner. Der 1,6-Liter-Diesel mit 136 PS und Sechsgang-Automatik ist ab 27.520 Euro erhältlich. Für den 115 PS starken Octavia Diesel mit Doppelkupplungsgetriebe veranschlagt Skoda mindestens 26.890 Euro. FazitDieser Focus wirkt solide. Und spaßig. Die meisten Änderungen zum Vorgänger bringen klare Verbesserungen. Wer die Raffinessen moderner Assistenzsysteme ausloten will, wird mit dem kompakten Ford nur bedingt glücklich. Sie funktionieren, doch anderswo agieren die Helfer souveräner. Was den Focus wirklich ausmacht: die unaufdringliche, latente Sportlichkeit. Man fährt recht unspektakulär durch den Alltag – und doch fühlt sich das nie langweilig an. Dazu kostet er bei ähnlicher Ausstattung meist weniger als der Gegner von VW. Ob er der beste Ford aller Zeiten ist, der beste Kompakte am Markt? Zumindest ist er in der ST-Line eine echte Option für jene, die nicht permanent glühen, doch gelegentlich einmal flotter abbiegen. Also für die große Masse zwischen den kreuzbraven und den richtig Wilden. Technische Daten Ford Focus Mk4 1,5 l EcoBlue ST-Line
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