Blau-schwarz statt schwarz-weiß getarnt dreht der Mercedes EQC seine letzten Testrunden in südspanischer Hitze. Wir sind in einem seriennahen Prototypen mitgefahren.
Alméria – Die Bar, irgendwo nördlich von Almeria, heißt "Route 66 Tabernas". Und so sieht sie auch aus: Draußen stehen zwei alte Tanksäulen, drinnen hängt die Front eines alten Chrysler an der Wand. Manche Sitzgruppen bestehen aus ausgemusterten Autositzen. Einer der Gäste heißt Michael Kelz. Der Daimler-Ingenieur wird uns gleich im Prototypen des Mercedes EQC über die Bergstraßen chauffieren. Das Auto rollt gerade in leuchtend blau-weißer Tarnfolie auf den staubigen Schotterparklatz. Der Vorbote der Daimler-Zukunft passt so gar nicht zu den Retro-Benzinpumpen. Der Mercedes EQC braucht keinen Sprit. Mercedes' erstes Elektroauto einer neuen Generation ist hier wegen der südspanischen Hitze, wie so viele Touristen jedes Jahr. "Serie 0, Baulos 2", wie Kelz sagt. Bei Baulos 4 ist es serienreif. Die Teile des EQC wurden bereits auf Original-Werkzeugen gefertigt, aber noch nicht aufeinander abgestimmt. Dafür wirkt der EQC schon recht ordentlich beisammen, soweit man das erkennen kann. Den Innenraum versteckt Mercedes unter schwarzen Matten. Das freistehende Widescreen-Display, die glänzende Mittelkonsole, einige bekannte Schalter lassen sich erahnen. Und einige neue Formen sowie Lüftungsdüsen in Rosé-Gold. Mercedes EQC im HitzestressQuelle: Daimler Kelz klemmt sich hinters Steuer. „Wir fahren hier das Standardprogramm“, erklärt er. Also die üblichen Hitzetests, die man auch mit Verbrennern macht. Zusätzlich achten die Tester „on top“ besonders auf Batterietemperatur und Klimatisierung sowie Ladeverhalten. Dafür quälen sie den EQC mit viel Beschleunigung und viel Rekuperation beim Bremsen. Die Ladeverluste sollen sich trotz der Belastung im minimalen Bereich bewegen. „Wir haben eine kräftige Klimatisierung“, verspricht Kelz. Das Akkupack wird aktiv übers Kühlwasser gekühlt und bei Kälte entsprechend mollig gehalten. Der EQC rollt knirschend auf die Landstraße. Je ein Elektromotor sitzt an Vorderachse und Hinterachse. Beide leisten je 150 kW (204 PS), sind aber „unterschiedlich gewickelt“, sagt Kelz. Hinten geht es mehr um Leistung, vorne etwas mehr um Effizienz. Die Ruhe, mit der der EQC sich vorwärts schiebt, ist selbst für ein E-Auto ungewöhnlich. Keine Spur vom typischen „Tram-Surren“. Das liegt an einem Käfig, in den Mercedes die vordere Antriebseinheit steckt. Der Motor sitzt in einem Träger, der ihn mehrfach von der Fahrzeugstruktur entkoppelt. Flexible Produktion mit GLC und C-KlasseQuelle: Daimler Vor allem simuliert die Struktur die Abmessungen und Aufhängungspunkte eines Verbrennungsmotors. So kann der EQC am gleichen Band gefertigt werden wie ein GLC oder eine C-Klasse. Mercedes kann so flexibler auf die Nachfrage reagieren. Der EQC basiert ohnehin auf einer weiterentwickelten MRA-Plattform (C-, E-Klasse etc.). Alle Elektromodule stammen aus dem Baukasten und können Plattform-übergreifend eingesetzt werden. Um bis zu 25 Prozent ließe sich vom EQC in Bremen über Plan produzieren. Wie genau der Plan aussieht, verrät Daimler nicht. Kelz steuert den EQC mit Schmackes über kleine, gewundene Straßen. Der EQC schluckt weg, was man ihm vorsetzt. Er rollt leise ab und kippelt kaum. Trotz immerhin 2,5 Tonnen Gewicht gelingt es Mercedes, ein geschmeidiges Setup zu finden. Ganz ohne Luftfederung. Der EQC wird anders als der konventionelle GLC stets auf Stahlfedern stehen. Eine Niveauregulierung an der Hinterachse gibt es dennoch. Vom GLC übernimmt der EQC große Teile der Achsen und die Grundform. Die Front polstert Mercedes noch stark, auch an den Flanken und am hinteren Seitenfenster steckt viel Plastik unter der Folie. Doch auch so sieht man: Der EQC wird eleganter als der GLC. Er misst 10 Zentimeter mehr in der Länge bei gleichem Radstand. Das meiste davon steckt im hinteren Überhang. Das hilft dem Kofferraumvolumen. Wegen der niedrigeren Dachlinie – der EQC ist 4 Zentimeter niedriger als der GLC – würde es sonst knapp. Mindestens ein 70-kWh-Akku im EQCDie Reichweitenanzeige im Digital-Display verspricht nach einigen Kilometern Fahrt etwas mehr als 200 Kilometer, bei etwa Dreiviertel vollem Akku. Das wäre für die versprochenen 500 Kilometer Reichweite nach NEFZ recht knapp. Doch die Batteriekapazität ist für die Tests begrenzt auf etwa 75 Prozent. Im Serienfahrzeug wird das bei „70 kWh Plus“ liegen, sagt man bei Daimler. Insgesamt 400 sogenannte Pouch-Zellen in rechteckigen Gehäusen liegen im Unterboden. Jede Zelle hat die Größe eines etwas zu großen Reclam-Heftes. Bei der Daimler-Tochter Deutsche Accumotive in Kamenz werden die Batterien produziert, die Zellen kauft Daimler zu. Vorerst wird es nur eine Akugröße geben, weitere Varianten dürften später folgen. Fürs Laden bietet Mercedes zwei Onboard-Varianten an, entweder mit 7,2 oder mit 11 kW Leistung. Zuhause sollte der Akku damit in 7 bis 8 Stunden voll sein. Eine DC-Säule kann den Strom mit maximal 115 kW in den Akku pumpen. Die 350 kW der geplanten Ionity-Säulen schafft der EQC noch nicht. Auch nicht die 150 kW, die Audi dem E-Tron verpasst. Damit dauert die Ladung von 10 auf 80 Prozent 45 Minuten. Rekuperieren mit bis zu 100 kWQuelle: Daimler Die Straße windet sich in engen Kehren den Berg herunter. Kelz zieht am linken Lenkradpaddel und wechselt auf maximale Rekuperation. "D--" zeigt das Display. Jetzt kann der EQC theoretisch mit einer Leistung zwischen 75 und 100 kW Energie in die Batterie schaufeln. Wer mag, kann ihn mit einem Pedal fahren. Am anderen Ende der Fahrmodi segelt der EQC, dazwischen bremst das Auto etwa genauso stark wie ein Verbrenner per Motorbremse. Für die Traditionalisten unter den Kunden. Zum Abschluss der Testfahrt biegt Kelz noch für ein paar Runden auf die Rennstrecke ab. Keine schlechte Idee. Sogar vom Beifahrersitz aus ist erlebbar, wie das Torque-Vectoring zwischen Vorder- und Hinterachse seine Arbeit tut. Schneller als ein ESP das könnte, verteilen die beiden Motoren des EQC ihre Kraft je nach Bedarf und Grip zwischen den Achsen. Die Momentverteilung ist vollständig variabel. Zwischen 150 kW hinten und 0 kW vorne oder umgekehrt ist alles darstellbar. Soweit man das beurteilen kann, geht der EQC bei dynamischer Gangart neutral bis übersteuernd ums Eck. Dabei bleibt die Seitenneigung minimal. Die rund 600 Kilo Akku liegen eben tief unten. Das hilft. Beim Preis kein SchnäppchenDer erste Kontakt mit dem EQC macht Lust auf mehr, aber so schnell wird das nichts. Zwar rechnen wir noch in diesem Herbst mit der Premiere, doch der Marktstart folgt nicht vor dem zweiten Quartal 2019. Was die Zukunft kosten soll, verrät Daimler natürlich noch nicht. Ein Schnäppchen wird der EQC nicht. Aber welcher Mercedes ist das schon - er dürfte nicht viel teurer werden als der GLC. Der etwas schwächere AMG GLC 43 kostet bereits deutlich mehr als 63.000 Euro. Der EQC wird über eine umfangreiche Serienausstattung verfügen. Das weiterentwickelte Infotainmentsystem MBUX wird an Bord sein, das große Assistenzpaket, das Widescreen-Display und einige andere Annehmlichkeiten. Mercedes will nicht gegen das angekündigte Basis-Model-3 von Tesla antreten, sondern gegen Audi E-tron oder Jaguar I-Pace. Günstiger als Letzterer wird der EQC sicher, der Brite kostet fast 80.000 Euro. Immerhin: Schon recht bald danach könnte ein kompakter Strom-Benz kommen, ein EQA für deutlich weniger Geld. Weitere SUVs in verschiedenen Größen sind ebenfalls angekündigt. Bis 2022 soll es 10 reine E-Autos von Daimler geben. Drei davon stammen von Smart, den Rest stellt Mercedes. ***** In eigener Sache: Wir verschicken unsere besten News einmal am Tag (Montag bis Freitag) über Whatsapp und Insta. Klingt gut? Dann lies hier, wie Du Dich anmelden kannst. Es dauert nur 2 Minuten. |