Die vielleicht spannendste automobile Weltmeisterschaft strauchelt - im kommenden Jahr steigen einige Hersteller aus. MOTOR-TALK suchte beim Saisonfinale nach dem Grund.
Kapstadt – Knapp vier Minuten und 15 Sekunden dauerte der finale Lauf des letzten Rennwochenendes 2018. In diesem Zeitraum gab es auf der Strecke mehr Dramen und Zweikämpfe als in so mancher kompletten Formel-1-Saison. Die Rallycross-Weltmeisterschaft, kurz WRX – bis vor kurzem war sie die einzig logische Antwort auf mehrere diffizile Fragen. Wie man jüngere Zielgruppen für den Motorsport begeistern kann. Wie Herstellern zu vertretbaren Kosten Publicity generieren können. Wie E-Antrieb und Motorsport ohne Weltretter-Gedöns zusammenkommen. Nun steckt die Serie in Schwierigkeiten. Zwei Werksteams bestritten nahe Kapstadt ihr letztes Rennen. Das dritte Team signalisierte, dass es mit einem allzu leicht verdienten WM-Titel 2019 wenig anfangen könnte. Hier das Video zum Finallauf der besten Sechs:
Inmitten der Fans auf der Tribüne ahnt man von den Problemen wenig. Nach dem Zieleinlauf jubelt die Menge, in Kurve zwei lässt Sieger Johan Kristoffersson seinen rund 600 PS starken VW Polo rotieren – als Weltmeister stand er längst fest. Die Hersteller-WM holte Volkswagen (offiziell als PSRX Volkswagen Sweden) beim vorletzten Lauf auf dem Estering. Die VW-Dominanz habe die einzig echten Konkurrenten Audi und Peugeot vertrieben, meinen einige. Eher der Aufschub der Elektrifizierung, kontern andere – die geplante Energiewende wurde um ein Jahr verlegt, ist außerdem nicht wirklich garantiert. Große Namen, große PläneQuelle: Volkswagen Bisweilen verdrängt Zweckoptimismus die Krisenstimmung. Tatsächlich ist denkbar, dass es bei manchen Läufen im nächsten Jahr mit ähnlichen Teams und Piloten weitergeht. Also unter anderem mit dem neunfachen Rallye-Weltmeister Sebastien Loeb. Der Franzose fuhr 2018 für Peugeot. 2019 könnte er die schnellen 208 über sein eigenes Team einsetzen. Dem für den Peugeot-Einsatz maßgeblich verantwortlichen Kenneth Hansen wäre Ähnliches zuzutrauen. Schließlich wurde der Schwede für Citroën mehrmals Europameister. Doch ohne jedwede Beteiligung eines Hersteller wäre eine konkurrenzfähige WM-Teilnahme kaum zu stemmen. Am deutlichsten sagt das im Vorfeld des Finalrennens der ehemalige DTM-Champion Matthias Ekström gegenüber Motorsport-Total. Möglich, dass genau dies unlängst in Ingolstadt beschlossen wurde. Denn eine komplette Saison-Teilnahme seines EKS-Teams schloss der Rally-Cross-Weltmeister von 2016 in Südafrika faktisch aus. Schade, denn er und sein norwegischer Teamkollege Andreas Bakkerud holten 2018 mit ihren Audi S1 in der Fahrer-Weltmeisterschaft die Ränge zwei und drei. Volkswagen bräuchte einen echten GegnerQuelle: Volkswagen „Ich telefoniere ständig mit Sebastien (Loeb, Anm. d. Red.) und Matthias (Ekström, Anm. d. Red.)“, erzählt Volkswagen-Pilot und Teamleiter Petter Solberg gegenüber MOTOR-TALK. „Wir suchen nach Lösungen.“ Eine Lösung wäre ein leibhaftiger Gegner für die nahe Zukunft. Denn als einziges werksunterstütztes Team die privaten Mannschaften zu schlagen, das ist für Volkswagens Motorsport-Abteilung wenig reizvoll. Auch, weil der Fokus aktuell auf dem Kundensport liegt. Neben dem Golf GTI TCR für Tourenwagen-Championate bietet man nun den Polo R, erdacht für private Hände und die Rallye-Sonderprüfungen dieser Welt. Auf lange Sicht ist die entscheidende Frage: Was vertrieb die Werke nach der anfänglichen Euphorie für die 2014 etablierte WM? Konkreter: Was braucht es, damit die Serie in Zukunft wieder Hersteller anzieht? „Mehr verschiedene Sieger“, sagt Johan Kristoffersson. Zu diesem Zeitpunkt war er seit acht Rennen ungeschlagen. Mit dem neunten Sieg stellte er gar einen Rekord ein. So viele Siege am Stück bei WM-Läufen, das schaffte zuletzt Sebastian Vettel in der Formel-1-Saison 2013. Tatsächlich sieht der Schwede in seiner Überlegenheit kein Problem. Weil die Rennen selbst knapper verlaufen, als es die Punktetabelle suggeriert. Es sind Feinheiten und Cleverness, die den Schweden immer wieder nach vorne spülen. Elektro-Umstellung als ChanceTechnisch ist Volkswagen wohl weniger überlegen als vor wenigen Jahren in der Rallye-WM. Beim Budget schoben sich 2018 die Wolfsburger und Peugeot gegenseitig die Rolle des Krösus zu. Genaue Zahlen hört man nicht, aber: Schon die kleineren Teams kalkulieren nahe an der Million Euro pro eingesetztem Fahrzeug und Saison. Schäden weitgehend ausgenommen. Auch wenn die Ausgaben der Werke garantiert höher liegen: Günstiger als im Rallycross-WM fährt man um keinen WM-Titel der FIA mit. Quelle: Volkswagen Im Gespräch mit den Chief Financial Officers war die Argumentation eine andere. Der WM-Titel sollte ab 2020 unter E-Autos ausgefahren werden: Sämtliche Hersteller würden ein identisches Chassis mit Kohlefaser-Monocoque und adaptierbarem Radstand erhalten. Darüber würde eine Silhouette in der Optik eines aktuellen Klein- oder Kompaktwagens gestülpt, den Antriebsstrang brächten die Autobauer ebenfalls mit. Bis zu einem gewissen Grad dienten die bisherigen Werkseinsätze der Vorbereitung auf diese Zeit. Der Vorteil der Umstellung: Es wäre E-Racing mit Drifts, Sprüngen und Zweikämpfen - aber ohne Reichweiten-Thematik. Ein Rallycross-Wochenende besteht aus kurzen Sprintrennen. Die Zeit dazwischen langt allemal zum Laden oder Tauschen des Akkus. Und wenn der sportliche Erfolg ausbliebe, könnte man immer noch die Zeit-Vorsprünge zu den weiterhin im Rahmenprogramm vertretenen Supercars ziehen. Anzunehmen ist, dass die Prototypen-Stromer mit einer Systemleistung von rund 680 PS (500 KW) die Zeiten der etwa 600 PS starken 2,0-Liter-Vierzylinder in vergleichsweise seriennahen Karossen unterbieten. Strom allein reicht den Herstellern nichtIm Laufe dieser Saison 2018 wurde die Abkehr vom Verbrenner verschoben. Zu wenige Teams hatten sich klar zum E-Rallycross bekannt. Nun sprechen die Serien-Verantwortlichen von der Umstellung in der Saison 2021 - und auch das ist nur haltbar, wenn eine veritable Anzahl an Teams den Einsatz bis zum 29. März 2019 schriftlich bestätigt. Denkbar, dass die Liste echter Interessenten kurz bleibt. Denn der Erstversuch scheiterte nur bedingt an der zu kurzen Vorlaufzeit für die Antriebs-Entwicklung. Es bräuchte ein stimmigeres Konzept, hört man immer wieder. Außerdem mehr Präsenz. Beides ist Aufgabe des Serien-Promoters IMG. Das Unternehmen erstand Ende 2012 die Rechte an der Europameisterschaft. Zunächst änderten sich Renn-Format und Meisterschafts-Prädikat. Die WM läuft seit 2014 in zahlreichen Sport-Spartenkanälen - auch in Ländern, die selbst weder über einen Wertungslauf noch eine nationale Rallycross-Meisterschaft verfügen. Außerdem gibt es einen aufwändig produzierten Live-Stream auf Youtube. Aktuell zu wenig Investition in die VermarktungQuelle: Volkswagen Aktuell scheint der Innovationswille falsch gerichtet. "Man konzentriert sich zu sehr auf die Suche nach neuen Strecken", sagt Solberg. Und meint damit prominentere Veranstaltungsorte: Der Lauf in England etwa findet in Silverstone statt, Belgiens Austragungsort wird im nächsten Jahr Spa. Auf den klassischen Rundstrecken müssen die kurzen Rallycross-Pisten stets erst geschaffen werden - während man die speziell für diesen Zweck errichteten Rallycross-Strecken im Land verschmäht. "Wichtiger wären Investitionen in die Kommunikation" meint der zweifache Rallycross-Weltmeister Solberg. Klar, auch Rallycross-Fahrzeuge mit Batterien im Unterboden müssten aktiv in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit gerückt werden. Auf der Rallycross-Strecke von Killarney nahe Kapstadt ziehen die Fans langsam wieder ab. Diese Begeisterung in ihren Augen! Diese Euphorie für die kurzweiligen Rennen! Beides beobachtete man in dieser Saison nicht nur beim letzten Lauf. Zugegeben, die Verbesserungsvorschläge der Fahrer sind unkonkret. Doch es lohnt sich, dieses Championat weiterzuentwickeln. Diese Meisterschaft soll nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken, ehe die breite Masse sie kennenlernte konnte - denn danach würde sie garantiert nicht so schnell verschwinden. |