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Medienbericht: Airbag-Steuergeräte speichern Fahrdaten - Mehr als weiße Luft: Airbags speichern Unfall-Infos

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Ein Computer-Magazin zeigt: Der Airbag ist die Black-Box im Auto. Sein Steuergerät speichert Daten zum Unfall - und wie er entstand. Theoretisch zum Auslesen für jeden.

Ein Airbag funktioniert mit Luft und Sprengladung. Doch den Auslösezeitpunkt bestimmt ein Steuergerät. Nun zeigt sich: Es speichert auch Daten zum Unfall und den Metern vor dem Einschlag. Zugreifen kann darauf theoretisch jeder (Symbolbild) Ein Airbag funktioniert mit Luft und Sprengladung. Doch den Auslösezeitpunkt bestimmt ein Steuergerät. Nun zeigt sich: Es speichert auch Daten zum Unfall und den Metern vor dem Einschlag. Zugreifen kann darauf theoretisch jeder (Symbolbild) Quelle: dpa / Julian Stratenschulte

Hannover – Seit dem 31. März 2018 protokolliert das Auto offiziell mit: Das in der EU für Neuwagen verpflichtende eCall-System sendet bei einem Unfall automatisch den Fahrzeugstandort an eine Leitstelle der Rettungskräfte. Mitgeliefert werden unter anderem Daten zu Antriebskonzept, Zahl der Passagiere (sprich: angelegter Gurte) und Fahrtrichtung. Die Datenerfassung beginnt also nicht erst zum Zeitpunkt des Einschlages - Datenschützer sehen das kritisch, manche von ihnen fordern gar die Abschaffung des Systems.

Doch nun scheint klar, dass anderorts im Fahrzeug schon weit länger Fahrdaten gespeichert werden – zumindest wenn es zu einem Unfall mit Airbag-Auslösung kam. Dann sichert das Airbag-Steuergerät mitunter Daten zum Crash und den Metern zuvor. Das geht aus einem Bericht des Computertechnik-Magazins c`t hervor. Was die Sache pikant macht: eCall muss seine Datensätze per Gesetz immer wieder löschen, doch auf dem Airbag-Steuergerät bleiben die Informationen zu Geschwindigkeit, Pedalstellung und aufgetretenen Kräften offenbar bestehen. Sie lassen sich noch lange nach dem Crash von Privatpersonen ohne Verbindung zum Hersteller öffnen – was dem Unfallfahrer unter Umständen Vorteile bringt. Doch Manipulationen sind ebenso denkbar.

Test mit Steuergeräten aus Unfallwagen

Steuergeräte von Airbags müssen gewisse Parameter erfassen. Sie dienen als Grundlage zur Berechnung von Art und Zeitpunkt der Auslösung. Doch ob und wie lange die Informationen gespeichert werden dürfen, regelt weder die deutsche, noch die europäische Gesetzgebung. In den USA müssen die Datensätze sogar gespeichert werden. Die Idee: Die Analyse der so genannten Pre-Crash-Daten kann Aufschluss über den Unfallhergang geben.

Für die c`t-Redaktion gab es Grund zur Annahme, dass hierzulande verbaute Systeme die Daten ebenfalls aufbewahren. So zum Beispiel die Werkstattdokumentation von BMW: Dort steht, dass der Unfalldatenspeicher nach einer bestimmten Anzahl von Vorfällen vollgeschrieben wäre und damit der Austausch des Airbags-Steuergeräts notwendig sei.

Für den Test erstand man auf ebay entsprechende Steuergeräte von Mercedes C-Klasse (Baujahr 2015), Audi A4(Baujahr 2017), VW Golf (Baujahr 2016) und BMW 7er (Baujahr 2017) – allesamt Exemplare aus verunfallten Modellen.

Theoretisch kann jeder auslesen

Der Test offenbarte: Mit Ausnahme des Airbag-Steuergerätes aus dem Golf wären sämtliche Geräte grundsätzlich zur Speicherung von Unfall- und Pre-Crash-Daten in der Lage. Beim Mercedes waren sie auch vorhanden und vollständig auslesbar. Der Audi speicherte ausschließlich die Unfalldaten, nicht die Informationen zu den Metern vor dem Einschlag. Beim BMW waren die Speicher leer. Der lädierte 7er-Ersattzteilspender dürfte in keinen Crash mit Airbag-Auslösung verwickelt gewesen sein. Mercedes und BMW nutzen übrigens ähnliche Continental-Steuergeräte, bei Audi arbeitet Bosch-Technik. Im Volkswagen steckt ein System von TSR.

Interessant ist im konkreten Fall der Weg zu den Daten. Der Test fand ohne Beteiligung eines Herstellers statt. Ein Experte erstand auf ebay ein Hardware-Diagnosegerät mit der Mercedes-Diagnosesoftware Xentry. Nach einigen Adaptionen gelangte man damit in die Dateien der Systeme sämtlicher vier Hersteller. Es lag also keine Grundverschlüsselung vor.

Komplexe Deutung der Daten

Das Magazin will nicht zur Nachahmung anregen, keine Details zu den Umbauten nennen. Nur so viel: Einfach war die Sache nicht. Komplex ist auch die Deutung der erhaltenen Datensätze. Schließlich spuckt das Fahrzeug hier keine Tabelle mit allem von A wie Anhalteweg bis Z wie Zangenstellung der Bremse aus. Sondern eine Zahlen-Kolonne, in der jeder Wert von einer ID-Nummer eingeleitet wird. Ob die Geschwindigkeit in km/h, die Gaspedalstellung in Prozent oder die Tage bis Weihnachten angibt? Schwer zu beurteilen. Nach mühseliger Arbeit hatte man den Code entschlüsselt.

Dann liegen Daten vor, die ein Sachverständiger wie Dr. Ingo Holtkötter im Gespräch mit dem c`t deuten kann: Eine Geschwindigkeitsänderung von etwa 70 km/h innerhalb von 100 ms – sieht nach schwerem Frontalcrash mit einem stehendem Lkw oder einem Baum aus, deutet der Experte. Holtkötter findet auch Hinweise auf den Eingriff eines Notbrems-Assistenten.

Manche Daten können manipuliert werden

Das zeigt, wofür diese Daten in der Praxis gebraucht würden: Sachverständige können das Unfall-Geschehen notfalls auch ohne der Zahlenbasis relativ genau rekonstruieren. Doch die Funktionsweise der Fahrassistenten ist hier schwer abzuschätzen. Klassisches Beispiel: Der Unfallfahrer sagt, der automatische Bremseingriff des adaptiven Tempomaten setzte plötzlich aus. Der Hersteller dementiert. Dann steht es bei Verhandlungen zur Produkthaftung Aussage gegen Aussage – mit der schlechteren Ausgangsposition für den Fahrer. Der Hersteller kann aktuell nur bedingt zur Herausgabe der Daten gezwungen werden.

Insofern ein Vorteil, dass Experten ohne Verbindung zu den Herstellern an die Pre-Crash-Informationen herankommen. Das Problem: Diese Datensätze können zum Teil theoretisch umgeschrieben werden. (Für Insider: Es geht laut c`t um Daten auf einem externen, seriellen Flash-Baustein). Dass jemand in der Zahlenflut treffgenau die richtigen Werte schönt, ist in der Praxis unwahrscheinlich. Doch die bloße Möglichkeit dazu nimmt den Daten viel von ihrer Validität, besonders vor Gericht. Klarere gesetzliche Vorgaben zu Speicherart und Auslese-Berechtigung würden die Situation für Hersteller und Käufer definitiv verbessern.

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