Mehr als drei Millionen Autos von Mercedes sollen zurück in die Werkstatt. Daimler will sie sauberer machen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Diesel-Rückruf.
Berlin/Stuttgart - Das Klima ist schlecht. Sowieso und vor allem für den Diesel. In vielen Städten werden Fahrverbote diskutiert, um den Feinstaub- und Stickoxidausstoß an belasteten Orten in den Griff zu bekommen. Beschlossen sind sie noch nirgendwo, doch Kommunen, Städte, Verbände und Gerichte beschäftigen sich mit dem Thema. Aktuell verhandelt das Stuttgarter Verwaltungsgericht über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Sie will die Landesregierung zwingen, sämtliche Diesel ohne Euro-6-Norm aus den Zentren zu verbannen. Es bewegt sich also was. Nur, was und wohin ist noch immer eher unklar. Am 2. August will die Bundesregierung sich deshalb mit Vertretern der Bundesländer und der Autoindustrie zum Diesel-Gipfel treffen. Vorab sendet der ein oder andere Hersteller schon mal Signale. Audi und BMW etwa haben sich grundsätzlich bereit erklärt, die Hälfte ihrer Euro-5-Diesel umzurüsten und so für weniger Schadstoffausstoß zu sorgen. Festgeklopft ist das noch nicht. Jetzt prescht Daimler vor. Der Konzern startet eine riesige Nachrüstaktion, um die Schadstoffwerte seiner Wagen zu verbessern. Nicht nur für Euro-5-Diesel. Auch Autos, welche die neuere Schadstoffnorm Euro 6 erfüllen, sollen in die Werkstatt für ein Update. Europaweit sollen mehr als 3 Millionen Fahrzeuge betroffen sein, in Deutschland ca. 1 Million Autos. 220 Millionen Euro soll das kosten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen: Welche Mercedes-Modelle sollen nachgerüstet werden?Quelle: Daimler Fast alle Mercedes-Diesel mit den Abgasnormen Euro 5 und 6 sollen in die Werkstatt. Dort bekommen sie ein Software-Update aufgespielt. Aktuell läuft bereits eine "freiwillige Serviceaktion" für kompakte Mercedes-Modelle und die V-Klasse, nachdem diese Sterne im KBA-Test besonders auffällig waren. Die geplante Offensive bedeutet eine massive Ausweitung dieser Aktion. Laut einem Daimler-Sprecher sind fast alle Motoren und damit fast alle Baureihen betroffen. Also: Alle 1,5-Liter-Diesel vom Kooperationspartner Renault/Nissan, die in der Kompaktklasse zum Einsatz kommen. Der 1,6-Liter-Diesel (C-Klasse) muss ebenfalls in die Werkstatt. Den größten Teil der Aktion dürfte der Diesel mit der Kennung OM 651 ausmachen. Das Aggregat mit 2.143 ccm oder 1.796 ccm Hubraum kommt seit Jahren in fast allen Baureihen von der Kompakt- bis zur S-Klasse und bei den kleineren Nutzfahrzeugen zum Einsatz. In den großen SUV GLE Coupé und GLS sowie in der aktuellen S-Klasse wird das OM 651-Aggregat nicht eingesetzt. Sie werden jedoch oft von V6-Dieseln angetrieben. Dieser Motor (OM 642) soll ebenfalls das Update erhalten. Mercedes setzt ihn auch in der E-Klasse der aktuellen Generation (213) ein. Die hatte Daimler erst kürzlich mit einem größeren SCR-Katalysator ausgestattet - um den Stickoxidausstoß zu senken. Welche Diesel sind nicht betroffen?Nur die jüngste Motorengeneration bleibt vom Update verschont. Aktuell sind das zwei Diesel in je zwei Leistungsstufen. Mercedes E 200 d und E 220 d werden vom OM-651-Nachfolger OM 654 angetrieben. Der erfüllt bereits die ab September für neue Fahrzeugtypen relevanten Stickoxid- und Feinstaubgrenzwertefür den realen Fahrbetrieb auf der Straße. Das gleiche gilt für den neuen 3,0 Liter großen Sechszylinder-Reihenmotor OM 656 in der gelifteten S-Klasse. Alle gelifteten S 350 d und S 400 d, die ab 22. Juli auf die Straße kommen, müssen also nicht gleich weider heim zum Daimler. Autos von vor der Modellpflege mit V6-Diesel schon. Die neue Diesel-Generation will Daimler jetzt schneller in den Markt bringen als bislang geplant. Was macht Daimler mit den Motoren?Quelle: Daimler Wie bei den bereits im Rückruf befindlichen Kompaktmodellen und der V-Klasse, will Daimler eine neue Software aufspielen. Allein dadurch soll sich der Schadstoffausstoß verringern. Zum einen soll das gelingen, indem das sogenannte "Thermofenster" verändert wird. Aktuell schaltet die Abgasreinigung unterhalb und oberhalb von bestimmten Temperaturen ab. Das soll den Motor schützen, wie Daimler und andere Hersteller argumentieren. Das Fenster soll nach oben und unten vergrößert werden, damit die Reinigung häufiger aktiv ist. Genaue Zahlen nennt Daimler nicht, da neben der Temperatur weitere Faktoren eine Rolle spielen würden. Etwa Last oder Drehzahl. Nach unten hin soll die Abgasreinigung bis in den niedrigen einstelligen Bereich voll aktiv sein, heißt es. Zum anderen soll die neue Software den Ausstoß schädlicher Stickoxide (NOx) generell senken. "Aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklung der neuen Dieselmotoren-Familie" seien hier eingeflossen. So habe man dazu gelernt, wie sich das Potenzial der Abgasrückführung (AGR) weiter ausnutzen lasse. Bei Modellen mit SCR-Kat werde durch das Update die Harnstoff-Einspritzung ("Adblue") besser gesteuert und so effizienter. Konkreter wird Daimler nicht. Spürt man das Update sonst irgendwie?An Verbrauch, Leistung oder Drehmoment der Motoren soll sich durch das Update nichts ändern. Der Besitzer werde keinen Unterschied an seinem Auto bemerken, versichert Daimler. Man rechne nicht einmal mit einem signifikant höheren Adblue-Verbrauch bei Modellen mit SCR-Kat. Dass der ein oder andere Fahrer trotzdem öfter den Harnstofftank auffüllen muss, mag man jedoch nicht ausschließen. Hier sei das Fahrprofil entscheidend. Vereinfacht ausgedrückt: Wer besonders oft sportlich mit hoher Last und hohen Drehzahlen bei niedrigen Temperaturen unterwegs ist, könnte einen Mehrverbrauch spüren. Einfach, weil die Temperaturen früher womöglich außerhalb des Thermofensters lagen, jetzt aber bereits Adblue zugeführt wird. Zum Trost: Immerhin bei neuen Mercedes-Modellen ist der Adblue-Tank gut zugänglich neben dem Tankstutzen verbaut. Wann läuft die Aktion an?Quelle: Daimler Daimler startet mit der Umrüstung in den "nächsten Wochen". Wann genau es losgeht, hängt davon ab, wann das KBA die Updates freigibt. Wie beim VW-Rückruf wird das nicht in einem großen Paket erfolgen können, sondern gestaffelt nach Motoren und Baureihen. Die Genehmigung eines Updates für den Kompaktwagen A 160 d gilt nicht für den A 200 d und natürlich erst recht nicht für den GLE 350 d. Wie lange die Aktion dauern wird, kann Daimler nicht exakt bestimmen. Die rund 220 Millionen Euro teure Aktion soll "bis weit ins Jahr 2018" dauern. Muss ich als Mercedes-Fahrer tätig werden?Daimler will die Besitzer aller betroffenen Fahrzeuge informieren. Sie werden angeschrieben und sollen dann einen Termin in der Werkstatt vereinbaren. Dort bekommt das Fahrzeug die neue Software, das Ganze dauert etwa eine Stunde und kostet den Kunden nichts außer seiner Zeit. Als Fahrer selbst auf die Werkstatt zuzugehen, bringt wenig. Erst wenn das Update vom KBA geprüft und genehmigt wurde, kann die Werkstatt tätig werden. Aktuell ist die Reihenfolge der Rückrufe noch nicht festgelegt. Je nach Fahrzeugtyp, Leistungsstufe des Motors und Getriebeart kann es noch einige Monate dauern, bis bestimmte Modelle dran sind. Was bringt das Update überhaupt?Um wie viel der Ausstoß an schädlichem Stickoxid mit dem Update gesenkt wird, sagt Daimler nicht. Das politische Ziel hinter dem Update ist klar: Fahrverbote zu verhindern. Die werden derzeit in zahlreichen Städten diskutiert. Daran richtet Daimler das technische Ziel aus: Flottenübergreifend soll eine Reduktion um etwa den gleichen Wert erreicht werden, den auch Fahrverbote zur Folge hätten. Das ist denkbar unkonkret und noch nicht festgelegt. Möglicherweise wird beim Diesel-Gipfel zwischen Ländern, Bund und Autoherstellern am 2. August ein Zielwert vereinbart. Dafür bräuchte es allerdings zuverlässige Prognosen. Und: Die Mitwirkung aller Automobilhersteller. Von Fahrverboten wäre schließlich die gesamte Dieselflotte betroffen. Unabhängig vom Markenlogo auf dem Kühlergrill. Audi und BMW haben ihre Bereitschaft signalisiert, aber noch nicht konkretisiert. Dass sich überhaupt ein realistischer Zielwert vereinbaren lässt, ist nicht ausgemacht. Und auch nicht, ob der rechtlich Bestand hätte. Beim Prozess der DUH gegen die Baden-Württembergische Landesregierung meldete der zuständige Richter am Verwaltungsgericht Bedenken an. Er sieht die Nachrüstlösung offenbar skeptisch. Und Berechnungen zum Zeitplan und zur möglichen NOx-Reduktion seien "von maximalem Optimismus getragen". Eine Entscheidung wird in der kommenden Woche erwartet. Quelle: Mit Material von dpa |