Das Projekt Pick-up von Daimler geht in die nächste Runde: Mit dem X 350 d 4Matic steckt mehr Mercedes und weniger Nissan in der X-Klasse - und ein V6-Diesel. Erste Fahrt.
Lubljana – Um es mit einer großen Baumarktkette zu sagen: Was zählt, ist das Projekt. Zum Beispiel der Gartenteich, der Datschenabriss oder der Carport. Handwerkern gehört zum Lifestyle, spätestens seit die Werkzeug- und Baustoff-Dealer den Humor in der Werbung entdeckt haben. Das passende Auto zum Projekt (sprich: Lifestyle) ist der Pick-up. Eines der wenigen Segmente, die Mercedes in den vergangenen Jahrzehnten nicht bediente. Der Kooperation mit Renault-Nissan sei Dank geht das jetzt. Die X-Klasse läuft seit dem Herbst 2017 auf Navara-Basis in Barcelona vom Band. Allerdings nur mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Diesel. 190 PS und 450 Newtonmeter Drehmoment, das ist für Mercedes-Verhältnisse vielleicht doch zu viel Life und zu wenig Style. Also geht das Stuttgarter Projekt Pick-up jetzt mit dem X 350 d 4Matic in die zweite Runde. Diesmal mit eigenem und standesgemäßem Antriebsstrang. Unter der Haube sitzt ein 3,0-Liter-V6 mit 258 PS und 550 Newtonmetern Drehmoment, die schon ab 1.400 Touren anliegen und erst bei 3.200 U/min nachlassen. Damit lässt sich problemlos ein Motorboot zum Gardasee ziehen. Oder Baumaterial fürs Sommerhaus in die Toskana. Mercedes X 350 d 4Matic: Souveräner V6-DieselBei den ersten Testfahrten im bergigen Slowenien mangelte es uns an Boot und Baumaterial, keinesfalls aber an Leistung und Drehmoment. Der alte V6-Turbodiesel mit der Kennung OM 642 schiebt die 2.285 Kilo lässig nach vorne. In der Ebene schaltet Daimlers 7G-Tronic meist nicht mal runter, wenn man mehr Schub fordert. Bergan legt der Wandler mal einen, bei stärkerer Steigung oder im Sport-Modus auch mal einen zweiten Gang tiefer ein. Dazu brummt der V6 zufrieden. Zwar nervte uns der 2,3-Liter-R4 im Nissan Navara auch nicht mit rauem, angestrengtem Lauf. Die Souveränität eines V6 liefert aber nur ein V6. 7,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 sind beachtlich für den Brocken, der Durchzug beeindruckt noch mehr. Mercedes hat schon für den X 250 d einiges am Fahrwerk getan, um ihn vom Nissan abzuheben. Breitere Achsen, eine andere Geometrie, eine andere Abstimmung, eine direktere Lenkung. Für den X 350 d war nicht mehr viel nötig. Die Vorderachse stimmten die Ingenieure anders ab, auch um dem höheren Gewicht des 3,0-Liter-V6 Rechnung zu tragen. Ansonsten bleibt es bei der Doppelquerlenker-Achse und dem Mehrlenker-Setup mit starrer Achse hinten. Das und die Schraubenfedern rundum hat auch das Double-Cab vom Navara. Gutes Geräuschniveau, wenig VibrationenDer X 350 d wird durch die Änderungen nicht zum Sportler, logisch. Die Lenkung mag direkter sein als im Navara, absolut gesehen kurbelt man trotzdem viel. Flott kommt man mit dem X 350 d durchaus um die Kurven, soll es wirklich schnell gehen, wird es mühsam. Der X 350 d ist groß (5,34 m Länge), schwer (2.285 kg) und hoch (1,82 m), das spürt man. Gemessen an Maßen und Massen fährt er gut, federt aber ein wenig kippelig. Auch hier fordern Gewicht und starre Hinterachse ihren Tribut. Beim Geräuschniveau darf man ebenfalls kein Pkw-Niveau erwarten. Schon gar kein Mercedes-Pkw-Niveau. Doch die Experten der „NVH“-Abteilung (Noise, Vibration, Harshness=Geräusch, Vibration, Grobheit) haben einen ordentlichen Job gemacht. Der X 350 d fährt sich nicht schlechter als viele SUVs, aber doch anders als die meisten Mercedes. Man nimmt es dem X nicht übel, ein bisschen kernig ist ok. Dass ihm viele Assistenzsysteme fehlen, die Daimler bis hinunter zur A-Klasse als selbstverständlich ansieht, stört auch nicht wirklich. Die X-Klasse hält weder den Abstand noch die Spur, warnt aber immerhin vor einer drohenden Kollision und bietet per 360-Grad-Kamera eine gute Rundumsicht. Mit 600 Millimetern Wattiefe gut fürs GeländeBräuchte man nicht zwingend. Die Enden der Karosserie lassen sich gut abschätzen, Front- und Heckschürze liegen hoch genug über dem Boden, um selten anzuecken. Sie kann nämlich Gelände, die X-Klasse. Wer mag, kann mit der X-Klasse durch bis zu 600 Millimeter tiefes Wasser waten, über gut 20 Zentimeter hohe Findlinge rollen oder bis zu 45 Grad steile Steigungen erklimmen. Schräglagen von bis zu 49 Grad Prozent sind möglich, der Böschungswinkel vorne beträgt 29 Grad, hinten 24. Ein optionales Fahrwerk mit erhöhter Bodenfreiheit verbessert die meisten Werte noch. Die X-Klasse kraxelt nicht ganz so gut wie eine G-Klasse, doch das liegt vor allem am längeren Radstand (3,15 m). Den Antriebsstrang hat sie weitgehend vom ausgelaufenen G 350 d. Minus Sperrdifferenzial in der Vorderachse. Die Kraftverteilung legt Mercedes auf 40 zu 60 fest, mit dem Großteil des Moments an der Hinterachse. Bergabfahrhilfe und Geländeuntersetzung sind selbstredend an Bord. All das reicht, um mehr zu können als die meisten Fahrer. Auf dem Weg zum Baumarkt oder auf die Datsche werden die meisten X-Klasse-Fahrer nicht viel davon abfordern. Bekommen sie stattdessen Lifestyle? Im Prinzip ja. Doch es gibt ein paar Dinge, die man ihr genau wegen dieses Anspruchs ein bisschen übel nimmt. Zu viel hartes Plastik zum Beispiel. X-Klasse Ausstattung: Progressive mit viel PlastikZwar bietet Mercedes den X 350 d erst ab der zweiten Ausstattungslinie Progressive an, doch die fällt nicht luxuriös aus. Armaturenbrett, Türinnenverkleidung, Armlehnen, weite Teile der Mittelkonsole – alles besteht aus hartem Plastik der gut abwischbaren Sorte. Nicht ungewöhnlich fürs Segment, aber ungewohnt für Mercedes. Außerdem bestückt Mercedes nicht nur den Antriebsstrang mit Dingen, die im Pkw-Bereich schon fast der Vergangenheit angehören. Lenkrad, Infotainment, Armaturenträger – kennt man alles als Mercedes-Fahrer, und zwar aus der C-Klasse vor dem Facelift. Oder aus der noch aktuellen V-Klasse. Mit der Ausstattung "Power" wird es etwas schicker im Innenraum. Das Armaturenbrett ist dann im oberen Bereich mit Kunstleder bezogen und die Armauflagen gepolstert. Die Sitze lassen sich elektrisch verstellen und werden mit einer Kombination aus Kunstleder und Microfaser bezogen – und kommen uns aus dem Navara bekannt vor. Wer ein anderes als das etwas trostlose schwarze Zierelement am Armaturenbrett möchte, muss Geld ausgeben (131 Euro für Alu-Optik, 327 Euro für Holzoptik). Zugegeben: schicker als die meisten Konkurrenten wirkt die X-Klasse. Aber diese Latte liegt nicht hoch. Der Preis schon: Der X 350 d 4Matic mit V6-Diesel kostet mindestens 53.360 Euro. Zum Marktstart bietet Mercedes allerdings die etwas günstigere Progressive Edition (47.490 Euro) und die gut ausgestattete Power Edition für 53.490 Euro. Ab dem 13. Juli nimmt Daimler Bestellungen entgegen. Technische Daten Mercedes X 350 d 4Matic
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